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Der Beginn einer sozialen Epoche

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Vor 30 Jahren wurde der Familienlastenausgleichsfonds ins Leben gerufen. Wolfgang Schmitz, der maßgeblich an der Konzeption dieses „Meilensteins der Sozialpolitik" in Österreich mitgearbeitet hat, erinnert an die ursprünglichen Zielsetzungen des Gesetzgebers.

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Vor 30 Jahren wurde der Familienlastenausgleichsfonds ins Leben gerufen. Wolfgang Schmitz, der maßgeblich an der Konzeption dieses „Meilensteins der Sozialpolitik" in Österreich mitgearbeitet hat, erinnert an die ursprünglichen Zielsetzungen des Gesetzgebers.

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Am 15. Dezember 1954 hat das Parlament das Familienlasten-ausgleichsgesetz beschlossen. Es ersetzte die bis dahin gewährte Kinderbeihilfe für unselbständig Erwerbstätige (nach dem Kinderbeihilfengesetz 1949) durch die Familienbeihilfe, die auch den Selbständigen gewährt wurde, wenn auch zunächst nur ab dem zweiten Kind.

Gleichzeitig wurde die Staffelung der Beihilfen nach der Kinderzahl eingeführt, wenn auch zunächst nur für das fünfte und jedes folgende Kind.

Der materielle Erfolg des Gesetzes, der lediglich aus budgetä-

ren Gründen relativ bescheiden gewesen ist, wird aber von seiner grundsätzlichen Bedeutung bei weitem in den Schatten gestellt.

Diesem Gesetz war ein theoretisches Konzept für den Famüien-lastenäusgleich zugrunde gelegt, welches seine beiden Säulen, die Familienbesteuerung und die Familienbeihilfe, umfaßt und für die folgenden eineinhalb Jahrzehnte richtungweisend gewesen ist.

Das historische Dokument ist der Bericht des Finanz- und Budgetausschusses. Er entsprach mit nur ganz geringfügigen Abweichungen dem Konzept für den Ausgleich der Familienlasten in einer Sozialen Marktwirtschaft, das im Dr. Karl Kummer-Institut für Sozialpolitik und Sozialreform unter Mitwirkung des

österreichischen Familienbundes und des Katholischen Familienverbandes sowie den maßgeblichen Fachleuten, vor allem aus dem Finanzministerium, ausgearbeitet worden ist.

Dieses Konzept beruht auf der Tatsache,

• daß die mit der Erhaltung und der Erziehung von Kindern verbundenen Belastungen den Lebensstandard der Familie um so mehr herunterdrücken, je größer die Kinderzahl der einzelnen Familien ist;

• daß der Ausgleich der Familienlasten zwischen denjenigen zu erfolgen hat, die die Lasten im Interesse der gesamten Gesellschaft tragen, und jenen, die solche Lasten nicht zu tragen haben, jedoch bewußt oder unbewußt daraus Nutzen ziehen, daß es andere für sie tun;

• daß der Ausgleich der Familienlasten, um keine sozialen, politischen oder wirtschaftlichen Störungen zu verursachen, schrittweise erfolgen muß und es sich daher bei dem vorliegenden Gesetz zunächst um den ersten Schritt zu einem allgemeinen Familienlastenausgleich handelt.

Solange es — wie das Konzept weiters hervorhebt — nicht möglich ist, die finanziellen Lasten sofort vollständig auszugleichen, wird der Fehlbetrag zwischen den tatsächlichen Lasten und den ausgezahlten Beihilfen mit steigender Kinderzahl immer größer. Es ist daher erforderlich, daß die Beihilfen für jedes weitere Kind progressiv steigen.

Aus der Tatsache, daß sowohl die ethischen wie auch die ökonomischen und sozialen Begründungen für den Familienlastenausgleich grundsätzlich für alle Familien gelten, ergibt sich die Forderung nach einer Gleichstellung aller Familien ohne Rücksicht darauf, aus welcher Art von Einkommen sie ihren Lebensaufwand bestreiten. Dabei dürfe nicht vergessen werden, daß das Einkommen nicht weniger selbständig Erwerbstätiger unter dem Einkommen vieler unselbständig Erwerbstätigen liegt.

Die Gewährung der Beihilfen ergänzt nach dieser Konzeption die auf dem Gebiete des Einkommensteuerrechts vorgesehene Kinderermäßigung, die progressionsmildernd wirkt. Die in der

Besteuerung der Familienerhalter in höheren Einkommensstufen stärker zum Ausdruck kommende Entlastung gegenüber den Kinderlosen wird nicht nur aus der Natur eines progressiven Einkommensteuertarifs gefolgert, sondern auch aus der gesetzlichen Verpflichtung zur standesgemäßen Erziehung und Erhaltung der Kinder gerechtfertigt.

Dieses Zusammenspiel zwischen den Ausgleichszahlungen (Beihilfen) und der Steuerpolitik sei notwendig, damit diese familienpolitischen Maßnahmen nicht nivellierend wirken und den Grundsatz des Leistungslohnes bzw. des Leistungsertrages nicht beeinträchtigen.

Die Beihilfen sollen in ihrem endgültigen Ausmaß eine solche Höhe erreichen, daß auch der kinderreichen Familie, deren Lasten mangels Steuerpflicht nicht durch steuerliche Maßnahmen teilausgeglichen werden können, eine auskömmliche Lebensgestaltung möglich wird.

Die Aufhebung der Besatzungskostenbeiträge ermöglichte eine leichtere Finanzierung des Familienlastenausgleichsfonds. Als Zuschlag zur Einkommensteuer ist dieser Teil der Finanzierung familiengerecht. Weiters erbringt die Land- und Forstwirtschaft und bringen die Bundesländer einen Beitrag. Die Betrauung des Finanzministeriums mit der Durchführung des Familienlastenausgleiches ist der verwaltungsmäßig einfachste und billigste Weg.

Es ist besonders bemerkenswert, daß das Familienlastenaus-gleichsgesetz 1954 nicht nur Gegenstand eines demonstrativen Konsenses aller drei im Parlament vertretenen politischen Parteien war, sondern auch — ungeachtet der gesellschaftspolitischen Brisanz - das diesem Schritt zugrunde liegende anspruchsvolle, aber klare Konzept: Der erwähnte Ausschußbericht trägt die Unterschriften der Repräsentanten beider Koalitionspartner Pius Fink (ÖVP) und Ferdinanda Flossmann (SPÖ).

Die Sprecherin der Sozialisten nannte das Gesetz einen „Markstein in der gesetzlichen Entwicklung unseres Staates". Der Sprecher der ÖVP sah darin „den Beginn einer neuen Epoche, vielleicht der Politik überhaupt". Keine parlamentarische Fraktion, die nicht für sich in Anspruch genommen hätte, der Idee des Famüien-lastenausgleichs politisch zum Durchbruch verholfen zu haben...

In der Folge wurde der Lastenausgleich ausgebaut: Es wurde

auch das erste Kind der Familien der selbständig Erwerbstätigen und damit alle österreichischen Familien einbezogen und die Bei-hüfen schließlich ab dem zweiten Kind gestaffelt.

Auch auf dem Gebiet der Familienbesteuerung wurde ein weiterer Schritt gemacht. Das Fami-lienlastenausgleichsgesetz 1954 konnte auf einem Einkommensteuertarif aufbauen, dessen Kin-.derermäßigung eine systemgerechte Milderung der Steuerprogression bewirkte, die allerdings bis zu einer Einkommenshöchstgrenze abgebaut wurde.

Dann wurde diese Höchstgrenze, dem Konzept des Ausschußberichtes folgend, aufgehoben, da die gesetzliche Verpflichtung zu dem den Lebensverhältnissen des Steuerzahlers angemessenen Unterhalt seiner Kinder für alle Familienerhalter ohne Rücksicht auf ihre Einkommenshöhe gut.

Von der sozialistischen Alleinregierung wurde dann eine Steuerpolitik verfolgt, die von der seinerzeit mitverantworteten radikal abwich.

Zunächst wurden die progressionsmildernden Steuerfreibeträge für alle Steuerzahler im Jahre 1972 durch Steuer ab setzbeträge ersetzt, die für alle Steuerstufen eine Ermäßigung der Einkommensteuer um den einen gleichen Betrag brachte.

Schließlich wurde im Jahre 1977 dann auf jede steuerliche Berücksichtigung des Familienstandes überhaupt verzichtet und diese durch eine einmalige Aufstok-kung der direkten Familienbei-hüfen ersetzt, verbunden mit einer einmaligen Abdeckung der dadurch verursachten Kosten des Famüienlastenausgleichsfonds.

Diese scheinbar sehr naheliegende Konsequenz hat aber die folgenschwere Wirkung, daß die Familienlasten bei allen späteren inflationsbedingten Senkungen des Einkommensteuertarifs keinerlei Berücksichtigung mehr finden und die Familien lediglich auf die Mittel des stark reduzierten Fonds angewiesen sein werden.

Während die ÖVP-Alleinregierung den Sozialisten einen solide finanzierten Familienlastenausgleichsfonds übergeben konnte, haben diese durch massive Entnahmen für andere Zwecke auch nur eine Werterhaltung der Familienbeihilfen in Zukunft in Frage gestellt. Die Wiederherstellung eines konzeptiven Familienlastenausgleichs wird keine leichte Aufgabe sein.

Der Autor ist Finanzminister a. D. und Nationalbankpräsident a. D.

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