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Der Berti aus Oberplan

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Der folgende Brief des Schriftstellers Franz Stelz-hamer, der zu den Freunden Adalbert Stifters gehörte, ist in Wirklichkeit nie geschrieben worden. Mit Hilfe von dreizehn fiktiven Briefen, gesammelt von Johann Aprent, einem (authentischen) Freund Stifters, versucht der Autor Hermann Friedl den Stifter-Mythos aufzuhellen und die menschliche Widersprüchlichkeit dieses .fferoen der Dichterkunst“ dem Leser näherzubringen. Diese Biographie in Briefen wird unter dem Titel .^Beginn der Errichtung eines Denkmals“ demnächst im Verlag Sty-ria, Graz, erscheinen.

Wir sind in diesen Wiener Jahren bei Gott eine fidele Kumpanei gewesen: der Türck, die Mugerauer, ich, kann gar nicht alle aufzählen. Fad ist's mit dem Stifter Berti in Gesellschaft niemals nicht gewesen. Flausen haben wir alle gehabt. Die Greipl Fanny hat ihm das Herz bewegt, den Kopf hat ihm die Mali verdreht. Sie war damals noch lang nicht so fein, wie sie als Frau Hofrat dann später getan. Nicht selten war der Berti der wildest von allen. Selbst mein hitziges Innviertlerblut war den Wechseln,1 kalt, warm, siedend heiß und wieder eiskalt, nicht immer gewachsen. Aber von welcher Zeit red ich denn? Ist doch alles längst vorbei.

Es ist schon so, mein lieber Herr Aprent, daß man die alten Sachen am besten sollt lassen ruhn. Was hilft's denn dem Stifter noch? Er hat seine Zeit gehabt, vielleicht kommt sie wieder, wenn ich auch sagen muß, daß, was ich seinerzeit über „Die Feldblumen“ geschrieben hab, für mich heute noch gilt.

„Herr“, hab ich damals geschrieben, „Sie haben da ein gutes, schönes Stück Arbeit geliefert, und die ganze ,Iris' hat durch Ihren hochroten, herzblutigen Farbenstreif Leben und Bedeutung gewonnen. Sie sind zwar kein hereinwetterndes Originalgenie, Sie sind unleugbar nicht weniger in Form als in Stoffwahl ein Jean Paulianer; aber das tut nichts, Ihr großer Fürst und Lehensherr braucht solche wackere Vasallen, die ihm einstweilen vorstreiten und den Weg bereiten und so weiter...“

Es sind dem Stifter diese meine Zeilen in der „Wiener Zeitschrift“ keine reine Freude gewesen. Freilich vom Jean Paul hat er sich langsam gelöst. Es hätte für den Anfang kein Besserer sein können. Jeder fängt ja wo an. Keiner kommt aus dem Nichts und allein von sich selbst. Mit den späteren Sachen, dem „Witiko“ und dem „Nachsommer“, hab ich mich schwer getan. Auch war die Freundschaft, wie ■ Sie es sehn, nicht immer so dick. Jeder geht seinen Weg. Ein jeder muß wissen, was für ihn gut ist und taugt.

Mir war die Schriftsprache seit jeher zu blaß. Hab's lang genug ja probiert und war gewiß nicht der Schlechtesten einer, wenn auch dem Stifter mein „Liebesgürtel“ gar nicht gefallen hat. Demselben Stifter, der selber.doch das sind alte Geschichten.

Ein förmliches Bittgesuch habe ich damals, Ende April im Jahre fünfzig, an den Stifter geschrieben. „Domine exaudi orationem meam et clamor meus ad te veni-at“, hab ich geschrieben, war mein Latein noch recht gut, er soll dem Cotta, der den berühmten Stifter in Linz besucht, meine Gedichte ans Herz legen, nachdem ich selbst in Wien länger als eine Stunde mit Cotta verhandelte. Es kommt doch immer nur darauf an, daß einer, der schon was gilt, dahinter steht.

„Stifter“, hab ich geschrieben, ich weiß es wie heut, „da Du einmal das Glück hast, ein glücklicher Mensch auf Erden zu sein und eine imponierende Stellung im Leben eingenommen hast, so gebrauche sie auch einmal zu Lust und Wohlfahrt statt zu Kummer und Weh des ratlosen Freundes, laß ab von Deiner ungerechten Forderung: daß ein Buch der dämonisch bewegten Neu-Zeit von der ersten bis zur letzten Seite in minnesängerlicher Naivität verharren solle, sage vielmehr Cotta, daß Du (was ja nach Deiner Behauptung bei meinem Buch wird geschehen müssen) die erste gründliche Abhandlung schreiben wollest, und“, so oder ähnlich hab ich geschrieben, „betrachte mein Buch als das, was es ist, nicht ein im Kopf kombiniertes mühevoll und kunstreich gedrechseltes Paradestück, oder Gaukelwerk, sondern als die notwendig gewordene Creation eines Menschengeistes ...“

Ach, was habe ich nicht alles noch geschrieben: dann nämlich, wenn Stifter, und er hätte es können, denn damals haben die Leute noch alles auf ihn gehalten, mit Cotta ernsthaft geredet hätte, wären die Gedichte nicht noch fünf Jahre herumgelegen, bis sie Cotta endlich verlegt hat.

Stifter hätte manches an mir gutzumachen gehabt. Er, der noble Herr Inspektor, Schul- und Hof rat zuletzt, und ich der unstete Franz von Piesenham, wie er einmal über mich geredet hat. Übrigens, wegen meiner abgesagten Linzer Fahrt: Ich hab damals nicht genug Geld dafür gehabt, und mit den großen Fußmärschen ist's lang schon auch bei mir vorbei.

Meine Frau hat sich geschämt wegen unserer Armut, wie die Stifterischen bei uns in Ried gewesen sind. Die Mali war damals schon die feine Frau mit Putz und Kleidern wie aus einem bessern Stall. „Hätte ich nur so ein Wesen“, hat die Frau Schulrat aufs feinste gesagt, weil sie kinderlos war. „So ein Wesen...“, nicht mehr reden hat sie können, wie ihr der Schnabel gewachsen war. Ich hab sie noch anders gekannt, die Frau Schulrat, aber schon als Putzmacherin hat sie sich nobel aufgespielt, als wenn sie weiß Gott was war.

Er, der Stifter, hat es von Anfang an gar wohl verstanden, daß er beim Rechnen nicht zu kurz gekommen ist. Auch hat er's fein aufgeschrieben: „Der Stelzhamer dem Heckenast schuldig...“ Dazu sein Kommentar: „Ich glaube, Du wirst Dich an alles erinnern und diese mit der starresten Buchhalterei gegebene Rechnung in Ordnung finden, da Du wirklich nur drei Aufsätze gebracht hast. Ich bitte um einen andern für .Wiener Kunst' etc. oder, wenn es Dir lieber ist, um 6 fl C. M., wo-* gegen der Aufsatz zurückgegeben wird.“

Zu seiner Ungunst hat er sich nie verrechnet. Hat freilich das Geld gebraucht: die Wohnungen, einmal dort, einmal da, einmal für die Mali, damit sie in Ruhe..., aber was schreib' ich, man hat's ja gewußt, war für mich daran weiter keine Schand.

Er war nachher nicht mehr der gleiche. Ja, sie, die Mali, hat ihn scharf beim Zipfel genommen. War mir deswegen aber nie bang um den Pfiffikus. Immer kostbarer ist er geworden, der Herr Stifter, und hat uns, die wir nicht so kostbar gewesen sind, manches Geschäft mit dem Sauerländer überlassen, der nicht gewillt war, den Stifter anders zu bezahlen wie uns, die ordinären Literaten.

Aus war's mit den Saufereien, aus war's mit der Lustigkeit, aus war's mit der Gemütlichkeit. Steif wie die grobe Leinwand hat er sich gemacht. Zur Instanz für Ordnung und Moral. Hat sich später zwar nicht mit dem Goethe verglichen, war aber doch nah daran. Trotz allem aber glaub ich, wenn wir uns getroffen haben im Inn viertel, wenn er auf Inspektion gewesen ist, oder in Linz, je mehr er der Herr Hofrat geworden ist, beneidet hat er mich um mein unbeschwertes Gemüt, wie er sich eingebildet hat.

Ist ihm freilich damals schon zu gut gegangen, als daß er wußte, wie das Notleiden ist.

Er, der Stifter, hat immer gejammert und sich vor der Armut gefürchtet, die so schrecklich nicht ist. Mußte im geheim oft lachen darüber. War klein und verdruckt die Mali damals in Wien, wie wir den Berti wegen seiner zwei Wohnungen gehänselt haben: die eine auf der Landstraße 351 und die andere in der Teinf alt-straße 65. Ein jeder hat gewußt, wieso und warum, er selbst aber ist nie mit der Wahrheit herausgerückt.

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