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Der Blitz, der die tiefe Nacht erhellt

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Für eine „mystische und daher geschwisterliche und politische Kirche“ setzt sich der Wiener Pa- storaltheologe Paul Michael Zulehner in seinem neuen Buch ein.

Der Ruf des Engels am Grab „Fürchtet euch nicht!“ findet in der Zweiten und Dritten Welt mehr Gehör als bei uns. Enttäuschte Konzilshoffnungen lassen manche nach Fluchtwegen suchen. Angst und Kleinmütigkeit treiben andere zurück hinter die vermeintlich schützenden Mauern von Kirchenburgen. Ekklesia- le Ghettos entstehen, fast ohne Kommunikation untereinander. Gesetz und Buchstaben werden groß geschrieben. Viele vergessen die österliche Mahnung, den Lebenden nicht bei den Toten zu suchen.

Bemerkenswert auch die geistige Klimaverschiebung in Europa: Tauwetter im Osten, gewisse Erstarrungstendenzen in der katholischen Kirche des Westens. Die einen wollen der tödlichen Lähmung des Kommunismus entkommen, die anderen fürchten die reißenden Schmelzwässer einer Werte relativierenden Frei-

heit. Da wie dort Sicherheitsbedürfnisse und Uberlebensangst. Die Kirche weiß, daß die Pforten der Hölle sie nicht überwältigen werden. Tür und Tor zu verrammeln, wäre daher grundlose Ängstlichkeit. Doch solche Krankheitssymptome mehren sich.

Einst wurde Jona von Gott berufen, nach Ninive zu gehen, um der Stadt Umkehr und Heil zu predigen — doch Jona versuchte, sich dem Ruf zu entziehen. Heute liegt die Versuchung des Jona darin, „uns durch innerkirchliche Vorgänge von unserer Berufung abbringen“ zu lassen, schreibt Paul Zulehner in seiner jüngsten

„kritischen Trostschrift“. Den Gläubigen werde seit geraumer Zeit eine neue Generation von „Wende“-Bischöfen „vor-ge- setzt“: „Wer versteht nicht, daß die Versuchung zur Flucht groß ist?!“ Doch gerade dagegen richtet der Wiener Pastoraltheologe seinen „Aufruf iu kritischer Loyalität“ unter dem Titel „Wider die Resignation in der Kirche“ (das Herder-Buch ist ab 13. März im Buchhandel).

„Eine Spur tiefer Kirchentrauer durchzieht die Weltkirche“, klagt Zulehner. Doch an anderer Stelle räumt er ein, daß nicht alle trauern—„und sie haben mehr gute Gründe für ihre Freude und ihre Politik, als die Enttäuschten gemeinhin zu sehen und zuzugeben berejt sind“.

Der Autor bemüht sich, vieles unter einen Hut zu bringen: seine Empörung gegen eine „schädliche Kirchenentwicklung“ - dagegen müsse man mit „Christenmut“ Widerstand leisten; ein gewisses Verständnis für die „Redlichkeit. jener Verantwortlichen…., die sich berufen wähnen, die Kirche vor Verfall und Verweltlichung retten zu müssen“; das Eingeständnis, daß man die „zwiespältigen Auswirkungen der modernen Lebensverhältnisse auf die Lebensführung freiheitsungeübter Katholiken unterschätzt“ habe; Umgangsregeln für „winterli che Kirchentage“; Hinweise auf manchen „unvermuteten Zugewinn“ durch die Kirchenkrise (daß ein Christ etwa Amt und Autorität nicht überbewerten dürfe); schließlich die Skizze einer „Kirchenvision, die uns trägt und bewegt“.

Es ist ein sehr persönliches Plädoyer gegen Resignation und Emigration, nach Zulehners Worten in wenigen Tagen geschrieben. „Unfertig“, keine durchkomponierte Analyse, aber mehr als ein Durchhalte-Appell, mehr als ein bloßer Weheschrei. Zulehner schreibt sich von der Seele, was vielen durch den Kopf geht: die drohende „Spaltung von oben“, die Isolation der neuen Amtsträger, die schädlich sei, weil gerade aus dem Einheitsbedarf der Kirche heute ein erhöhter Amtsbedarf resultiere: „Wie können aber Amtsträger, die selbst einer extremen Gruppe zugeordnet werden oder sich ihr selbst zurechnen, dieses sensible Amt der Einigung ausüben?“

„Corragio“ und „pazienza“, Mut und Geduld: Das sind jene Tugenden, auf die schon Johannes XXIII. bei der Ablehnung der bekümmerten Unheilspropheten seiner Zeit setzte. Kann nicht der frische Wind, der in vielen Teilen der Weltkirche weht, auch die trübe Altersmüdigkeit einer europäischen Betreuungsreligiosität fortblasen? Der gewaltige Geistes- und Strukturwandel der Kirche nach dem Konzil wird von vielen Gläubigen nur als Verlust ihrer bisherigen Identität wahrgenommen.

Doch ein Blick in die Weite der Welt und Geschichte schafft Gelassenheit, er überwindet Angst und provinzielle Nabelschau. Und produziert nicht auch das „Jona- Syndrom“, wie Zulehner die Fixierung auf Negativa der Kirchenentwicklung nennt, eine illusionäre Angst? Territus terreo, selbsterschreckt schrecke ich ab: dieser Mechanismus gilt wohl nicht nur für die „Fundamentalisten“ in der katholischen Kirche.

Das spürt auch Zulehner, wenn er angesichts einer verbreiteten Unmündigkeit eine „Pastoral der behutsamen Entfaltung“ (in bezug auf die Nachhinkenden) verlangt, wenn er jede persönliche Kritik an Bischöfen oder dem Papst unterläßt und wenn er, bei aller Bitterkeit der Analyse, immer wieder jene Haltung ängstlicher Selbstbekümmertheit vermeidet, die heute viele Gemüter wie Rostfraß erfaßt hat. Ein Den-

ken, das vornehmlich um die Frage des eigenen Wohlbefindens und -gelittenseins kreiste, würde in der Tat verfehlen, was die Stunde verlangt.

Ein Kernstück seiner Überlegungen widmet Zulehner der Frage nach der „Identitätskrise“ ich- schwacher Gläubiger, die es — im Gegensatz zum sogenannten ,J ontifex-Ich“ — nicht verstehen, Brücken zu bauen. Es sind Menschen, die auf Ordnungen und Führer erpicht sind, die ihnen die „lästige Last persönlicher Freiheit“ abnehmen. „Ideologische Persönlichkeiten“, die alles verteufeln, was die sie selbst schützenden Ordnungen schwächt: den Dialog, die Vielfalt, die Freiheit, die Suche nach Wahrheit.

Bei diesem Typus, schreibt Zulehner, wird „Unerschütterlich- keit… zu Halsstarrigkeit, ideale Einstellung zu Verbohrtheit, Meinungstreue zu Unbeweglichkeit, konsequente Haltung zu Kompromißunfähigkeit, Linientreue zu mangelnder Flexibilität, Glau

… sondern kritische Loyalität bensfestigkeit zu fehlender Offenheit. Charakteristisch ist der Hang zu einfachen Ideen, zu Eindeutigkeit. Die Welt wird nach einem Einzelwert eingerichtet: Ordnung, Antikommunismus, Papsttreue können solche zentralen Leitwerte sein.“

Gewiß, auch bei westlichen Agnostikern hat ein Nachdenken darüber eingesetzt, ob die Kirche nicht gut daran tue, nicht dem nachzugeben, was die Menschen ohnedies wollen, sondern unbeirrbar zu sagen, was sie sollen. Selbstverständlich muß identifizierbar bleiben, was katholisch ist. Die säkularisierte Öffentlichkeit von heute „wünscht Kirche nicht als ein Duplikat weltlicher Revolutions- und Emanzipationshoffnungen. Sie verlangt nach ihr gerade dort, wo diesseitige Verheißungen im Griff der Gewalt, der sie erzwingen will, zerbrechen“ (Hans Maier).

Wenn sich Zulehner für eine „mystische und daher geschwisterliche und politische Kirche“ einsetzt, die sich auch um eine gerechtere Verteilung der Lebenschancen bemüht, dann stellt er ins Zentrum den Wunsch, „das Gerücht von Gott wachzuhalten“. Im unendlichen Papierger^schel unserer Tage kann dies fürwahr weniger durch Worte als durch Taten geschehen.

Das Schlimme am Rückzug der Kirche auf sich selbst (der „Amtskirche“ wie vieler Gläubiger) ist es, daß damit Apparate zu Selbstzwecken werden, das Kirchenrecht zu Bastionen und Macht, zu einem unbiblisch genutzten Instrument der Verteidigung gegen die vermeintlichen Feinde draußen und drinnen. Eine „Kirche im Belagerungszustand“, gefährdet vom Vergessen ihres eigentlichen Auftrags, ist offenbar nur schwer imstande zu jenen Erkennungszeichen, auf die die Welt wartet: „Seht, wie sie einander lieben“, „Sie teilten alles miteinander“.

Zulehner trauert über die in der Kirche betriebene Schließung der Offenheit, weil sie als Bedrohung der autoritätsgestützten „Wahrheit“ erlebt und verworfen wird. Der Autor erlebt die Kirche eher spätwinterlich. Doch wäre sie nicht, gar nicht paradox, auch vorfrühlingshaft zu empfinden? Zulehner plädiert für „Vision statt Resignation“, ist aber doch mehr vom Gedanken des „Widerstands“ als des Aufbruchs bestimmt. 17 Jahre lang hat Joseph Cardijn, scheinbar erfolglos, in einem Brüsseler Arbeitervorort gewirkt. Es gibt eine Zeit des Säens und eine des Erntens. Deus semper maior. Unruhe und Ungewißheit in der Kirche von heute: wären sie nicht auch als Zeichen einer vielleicht produktiven Transformation zu verstehen?

Gewiß müssen wir den Blick schärfen für die „innere Apokalypse“ (N. Berdjajew), die Zunahme des Unglaubens im Namen Christi. Warum hat sich das Christentum zwischen Marc Aurel und Konstantin durchgesetzt? Weil die Christen — antwortet der Gräzist (und Agnostiker) Eric R. Dodds - die Hoffnung, die sie predigten, in der Armut und Anonymität der Metropolen von damals durch Liebe und tätige Solidarität unter Beweis zu stellen vermochten.

In unserer Zeit, in der sogar die Klage über die Nichterfahrung Gottes verstummt (weil kaum mehr Antwort erhofft wird), müssen Christen stärker aus der Herzmitte ihres Glaubens - Kreuz und Auferstehung — leben. „Von allen Seiten werden wir in die Enge getrieben und finden doch noch Raum; wir wissen weder aus noch ein und verzweifeln dennoch nicht; wir werden gehetzt und sind doch nicht verlassen; wir werden niedergestreckt und sind doch nicht vernichtet“, schreibt Paulus.

Die Auferweckung Jesu ist der Blitz, der die Nacht bis zum Morgen erhellt. Davon ist heute zu sprechen. Angstmachen gilt nicht. Gerade angesichts der Polarisierung unserer Tage.

WIDER DIE RESIGNATION IN DER KIRCHE. Aufruf zu kritischer Loyalität Von Paul Michael Zulehner. Verlag Herder, Wien 1989.112 Seiten, kart., öS 112,-.

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