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Der Brudi des Grundrechts

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Am 27. November wird im österreichischen Nationalrat im Zuge der Reform des Strafgesetzes seitens der Sozialistischen Partei der Antrag auf Abschaffung des 144 des Strafgesetzbuches, jenes Paragraphen, der die Abtreibung unter Strafsanktion stellt, eingebracht werden. Ein neuer Paragraph, der die Abtreibung innerhalb einer Frist von drei Monaten gestattet, wird an die Stelle des alten 144 treten.

Da die Sozialistische Partei im österreichischen Nationalrat die absolute Mehrheit besitzt, wird ihr Antrag angenommen werden. Möglicherweise werden auch einige Abgeordnete der FPÖ für die Abschaffung des 144 stimmen.

Das Gesetz muß dann noch den Bundesrat passieren. Da in dieser zweiten Kammer des österreichischen Parlaments die SPÖ nicht mehr die Mehrheit besitzt, w;rd der Bundesrat wahrscheinlich von seinem Vetorecht Gebrauch machen. Aber dieses Veto hat nur aufschiebende Wirkung.

Auch eine Geheimabstimmung würde kein anderes Ergebnis bringen. Die Forderung nach Freigabe der Abtreibung ist ein uraltes Postulat: der sozialistischen Parteiren, aufgestellt allerdings in einer Zeit des Elends der Industriearbeiterrnas.sen. Die Disziplin innerhalb der SPÖ ist nun nach wie vor sehr groß, so daß auch bei einer Geheimabstimmung sämtliche Abgeordnete ohne Zweifel für die uralte Parole ihrer Partei gestimmt hätten. Hinter der von den Sozialisten erhobenen Forderung nach Geheimabstimmung, bei welcher jeder Klubzwang aufgehoben wäre, verbarg sich die Hoffnung, daß hinter dem Schleier einer solchen Abstimmung nicht nur die Abgeordneten der eigenen Partei und der FPÖ, sondern auch einige ÖVP-Ab-geordnete für die Aufhebung der Strafbarkeit der Abtreibung stimmen würden und daß man dann mit einem gewissen Recht darauf hinweisen hätte können, daß die Erfüllung der sozialistischen Forderung von weiten Kreisen jenseits der Parteigrenzen begrüßt worden sei.

Mit der Freigabe der Abtreibung beginnt für Österreich ein neues Kapitel seiner Geschichte. Mit der Freigabe der Abtreibung, wobei innerhalb der Dreimonatsfrist keinerlei medizinische oder soziale Gründe für die Tötung des Kindes .genannt werden müssen, wird eklatant das Recht auf Leben, das jeder Mensch besitzt, verletzt. Das Grundrecht des Menschen auf Leben ist jedoch unteilbar. Wird ein Teil dieses Rechtes verletzt, so besteht die Gefahr, daß es zu einem Dammbruch kommt und auch andere Grundrechte nicht mehr gewahrt bleiben.

Für eine Abtreibung innerhalb von drei Monaten müssen in Hinkunft keinerlei medizinische oder soziale Gründe genannt werden. Eine Abtreibung steht von nun an im Ermessen der werdenden Mutter.

In seinem Brief an Kardinal König schrieb Bundeskanzler Kreisky, daß man Frauen, die sich in einer unlösbaren Konfliktsituation befänden, die Chance geben müsse, sich durch die Abtreibung ihres Kindes aus dieser Lage zu befreien. Das ist eine gefährliche Logik: sogenannte „unlösbare“ Konfliktsituationen gibt es leider nur zu oft im Leben der Menschen. Wie oft stehen Menschen ohne ihr Verschulden vor einer scheinbar unlösbaren

finanziellen Konfliktsituation? In Fortsetzung des Gedankens, den Bruno Kreisky entwickelte, dürfte von nun an jeder, der sich in einer solchen Situation befindet, straffrei Wechsel fälschen, oder sich durch Diebstahl das benötigte Geld beschaffen. Wieviel scheinbar „unlösbare“ Konfliktsituationen gibt es übrigens auch in den heutigen Ehen?

Wenn in einem Fall das Recht auf Leben nicht gewahrt wird, warum sollte es in einem anderen Fall geschützt sein? Ein Gericht könnte in Zukunft einen Menschen, der nachweisen kann, daß er in seiner „unlösbaren“ ehelichen Konfliktsituation keinen anderen Ausweg sah, als seinen Ehepartner zu beseitigen, nicht mehr verurteilen.

Wieviel scheinbar unlösbare Konfliktsituationen ergeben sich bei Menschen, die von einer unheilbaren Krankheit befallen sind? Bis jetzt hatten auch sie ein unbedingtes Recht auf Leben. Werden sie es auch weiterhin besitzen?

Natürlich kann sich eine Frau, die ein Kind erwartet, aus den verschiedensten Gründen in einer scheinbar „unlösbaren“ Konfliktsituation befinden. (Wobei die Frage doch nicht unterdrückt werden soll, ob es denn heute, bei perfektionierter Empfängnisverhütung und verbreltet-ster Aufklärung, noch möglich ist, ein Kind zu bekommen, das *nan nicht gewollt hat.) Natürlich darf eine Frau in einer solchen Situation nicht auch noch der Gefahr einer Bestrafung ausgesetzt werden, und insofern ' war der 144 wirklich reformreif. Eine solche Mutter hat, im Gegenteil, das volle Recht, daß ihr die Gesellschaft im weitesten Maß zu Hilfe kommt. Ihr selber kann eine Situation tatsächlich ,.unlösbar“ scheinen, für die Gesellschaft gilt das nicht. Bei dem heutigen Stand der medizinischen Wissenschaft gibt es so gut wie keine Gründe mehr für eine medizinische Indikation. Und es wäre ein trauriges Zeichen für den Zustand unserer Gesellschaft, wenn diese nicht Mittel und Wege finden könnte, einer Frau, die sich in einer scheinbar „unlösbaren“ Konfliktsituation befindet, so zu helfen, daß eine Abtreibung nicht' notwendig ist.

Der österreichische Mediziner muß bei der Beendigung seines Studiums den sogenannten hippokratischen Eid leisten. Aber auch ohne Ablegung dieses Eides wäre er kraft seines Berufes verpflichtet, alles zu tun, um Leben zu erhalten und zu verlängern und alles zu vermeiden, was Leben zerstört oder beendet. Er allein wäre zu bestrafen, wenn er eine Abtreibung vornimmt: nicht durch Freiheitsentzug oder Geldbuße, sondern durch das Verbot, den medizinischen Beruf, dem er durch eine Abtreibung untreu wurde, weiterhin auszuüben.

Die Weltgeschichte ist immer noch das Weltgericht. Auch wenn das scheinbar nicht immer sofort in Funktion tritt. Ungestraft bleibt ein Bruch eines Grundrechtes, wie es die Freigabe der Abtreibung ist, in der kommenden Geschichte Österreichs gewiß nicht.

Das kommunistische Ungarn, das die Abtreibung seit langer Zeit erlaubt, stöhnt heute schon unter den Folgen der Freigabe. Sie sind so negativ, daß die Regierung, die doch nur aus hartgesottenen Atheisten besteht, die Bischöfe Ungarns insgeheim bat, einen Hirtenbrief gegen die Abtreibung zu erlassen ...

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