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Der Brückenheilige, der um die Welt ging

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„Und von allen Brucken, und aus allen Lucken gucken lauter, lauter Nepomuken", so dichtete einst in seinen jungen Jahren der später berühmt gewordene Prager Poet Rainer Maria Rilke. Und tatsächlich, von vielen böhmischen, aber auch österreichischen, italienischen, deutschen, belgischen, spanischen, lateinamerikanischen Brücken „spuk-ken" Nepomuk-Statuen in den darunter fließenden Fluß. Wieso?

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„Und von allen Brucken, und aus allen Lucken gucken lauter, lauter Nepomuken", so dichtete einst in seinen jungen Jahren der später berühmt gewordene Prager Poet Rainer Maria Rilke. Und tatsächlich, von vielen böhmischen, aber auch österreichischen, italienischen, deutschen, belgischen, spanischen, lateinamerikanischen Brücken „spuk-ken" Nepomuk-Statuen in den darunter fließenden Fluß. Wieso?

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Der heilige Johannes von Nepomuk wurde im Jahre 1729 durch Papst Benedikt XIII. heiliggesprochen, nachdem er bereits im Jahre 1721 seliggesprochen worden war. Dieses Fest der Heiligsprechung wurde in allen Ländern, der Casa d'Austria unterstehend, besonders prächtig gefeiert. Und die Anzahl der Länder, über die damals die Casa d'Austria gebot, war nicht gering.

Zur Verbreitung der Verehrung trug auch bei, daß bald bekannt wurde, daß der neue Heilige - neben dem heiligen Josef - zum Lieblingsheiligen Kaiser Karl VI. geworden war. Von Italien sprang die Verehrung auch nach Spanien über, von dort nach Lateinamerika, schließlich sogar in den fernen Osten. So wurde der heilige Johannes der einzige wirklich international bekannte Heilige Böhmens.

Aber warum wurden die Denkmäler zu Ehren des Heiligen gerade auf Brücken errichtet? Weil der Heilige am 20721. März 1393 durch einen Sturz von der Prager Karlsbrücke in die Moldau - nachdem er vorher noch grausamsten Folterungen unterworfen worden war - gestürzt wurde.

Und wer befahl diese Hinrichtung? Niemand anderer als der damalige König von Böhmen, Wenzel IV., der unwürdige Sohn des großartigen Kaiser und Königs Karl IV., der vom 1378 bis 1419 das Königreich Böhmen regierte und von 1376 bis 1400 auch römischer König, also Herrscher über Deutschland war. Johannes hatte sich den besonderen Zorn des böhmischen Königs zugezogen.

Im südböhmischen Zisterzienserkloster Kladrau war der Abt verstorben und König Wenzel IV. beabsichtigte, an Stelle des Klosters ein Sufra-ganbistum von Prag zu errichten und dieses Bistum mit einem seinerGünst-linge zu besetzen. Aber der Konvent wählte schnellstens einen Abt. Dieser kam nach Prag, um seine Wahl durch den Prager Erzbischof Johannes von Jenstein (1334-1400) bestätigen zu lassen. An Stelle des Erzbischofs bestätigte sein Generalvikar Johannes von Nepomuk die Wahl, was kano-nistisch völlig rechtens war, aber den König zu maßloser Wut und maßlosem Zorn aufstachelte.

Dieser König war ein Wüterich, ein Alkoholiker, alle Welt in Prag munkelte, daß seine Ehe mit seiner zweiten Frau nicht gut gehe (die erste Frau war durch die großen Jagdhunde des Königs zerfleischt worden). Wie sich sein Großvater Johann von Luxemburg kaum um Böhmen kümmerte, so kümmerte sich Wenzel IV. kaum um Deutschland, bis es den Kurfürsten zu dumm wurde und sie Wenzel IV. 1400 einfach absetzten.

Aber nicht nur gegen Johann von Nepomuk richtete sich der Zorn des Königs, auch noch gegen den Offi-zial, den Kapiteldekan des Erzbischofs und weitere Personen, die den Erzbischof zu einem Treffen mit dem König begleiteten. Dieses Treffen zwischen König und Erzbischof fand am 20. März 1393 auf der Prager Karlsbrücke statt, wobei der König den Erzbischof und dessen Begleitung mit Vorwürfen überschüttete und drohte, er werde sie alle in der Moldau „ersäufen" lassen. Der Erzbischof fand die Situation so bedrohlich, daß erra-schest die Flucht ergriff, den Offizial und Kapiteldekan ließ der König tatsächlich verhaften und ins Gerichtshaus der Stadt führen, um die Betroffenen zu verhöhnen. Aber während der Offizial und die anderen verhafteten Begleiter des Erzbischofs relativ kläglich davonkamen, traf der Zorn des Königs ganz besonders den Generalvikar Johannes von Nepomuk, den der König scheinbar als den Hauptschuldigen ansah, daß sein Plan mit Kladrau gescheitert war.

Der arme General vikar war - wie man bei der Erhebung des Leichnams anläßlich der Seligsprechung feststellte - mit harten Gegenständen wie Knüppel oder gar Eisenstangen geschlagen worden, denn sein Skelett zeigte viele zerbrochene Knochen. Bei dieser Folterung scheute sich dieses Scheusal von König nicht, den Generalvikar eigenhändig mit Fak-keln zu brennen, eine besonders grausame und schmerzhafte Tortur. Zum Schluß ließ der König den armen Generalvikar an Händen und Füßen fesseln ließ ihm einen Knebel in den Mund stecken und befahl, ihn von der Karlsbrücke in die Moldau zu werfen.

Sein Leichnam wurde nicht weit von der Brücke an Land geschwemmt, zunächst dort begraben, aber ein halbes Jahr später bereits im St. Veitsdom von Prag beigesetzt, wobei zu verwundern ist, daß der König dies gestattete - vielleicht war die Volksstimmung ob dieser grausamen Tat so gegen ihn aufgebracht -, daß er sich nicht getraute, die Beisetzung im Dom zu verhindern.

Angesichts dieser Folterungen ergibt sich die Frage, welches Geheimnis denn der König dem General vikar entreißen wollte? Wollte er von einer Verschwörung Kenntnis erlangen, in die der Erzbischof verstrickt war? Denn dem König muß bewußt gewesen sein, daß er in seinem Lande

- infolge seines Benehmens - viele Gegner hatte. Hier ergibt sich nun die zweite Frage, warum der so geschundene Generalvikar nicht - unter feierlicher Zustimmung der Straffreiheit -sich erbötig machte, die Namen irgendwelcher Feinde des Königs zu nennen? Aber der Generalvikar schwieg und schwieg, obwohl er sich klar sein mußte, daß der König erst von ihm ablassen werde, wenn er tot sein werde.

Über dieses Verbrechen (als Generalvikar unterstand Johannes von Nepomuk gar nicht dem königlichen Gericht, sondern einem kirchlichen) müssen in Prag alsbald die diversesten Gerüchte in Umlauf gekommen sein. Zum erstenmal hörte konkrete Gerüchte der österreichische Theologe Thomas Ebendorfer, der vor 1450 Prag besuchte, nachdem er vorher am Konzil von Basel (1431-37) teilgenommen hatte, wo es zu einer Einigung zwischen gemäßigten Hussiten und Rom gekommen war. Dieses Gerücht, das der österreichische Theologe hörte, besagte, daß der König unbedingt wissen wollte, was die Königin Johann von Nepomuk in der Beichte oder unter der Bedingung der Geheimhaltung - also „sub sigillo" - anvertraut hatte. Ein Gerücht, für das es bis jetzt keinerlei quellenmäßige Beweise gibt, höchstens Indizienbeweise

- diese sind immer problematisch. Allerdings läßt das Gehaben des Königs darauf schließen, daß er unbedingt wissen wollte, was die Königin dem Generalvikar anvertraut hatte. Beide Ehen des Königs waren kinderlos, er ein schwerer Alkoholiker. Es ist durchaus möglich, daß der König mit einem Defekt belastet war, auf Grund dessen ihm und seiner Frau Kindersegen verschlossen blieb. Solche Männer versuchen durch besonders brutales und herrisches Auftreten zu beweisen, daß sie doch sehr mächtig sind. Durch reichlichen Alkoholgenuß suchen solche Männer auch ihr kraftvolles Auftreten noch zu steigern, anderseits suchen sie durch eben diesen übermäßigen Alkoholgenuß sich über diesen Defekt zu trösten.

Durch Thomas Ebendorfer gelangte diese Erzählung über die Ursache des Martyriums des Johannes von Nepo-muk, die sogar in den Heiligsprechungsprozeß aufgenommen wurde, zur Kenntnis der Welt.

Die Verehrung dieses Märtyrers stieg in Böhmen immer weiter und führte 1683-die Türken belagerten damals bereits Wien - zur Errichtung eines Denkmals für diesen Märtyrer auf der Prager Karlsbrücke. Gestiftet hatte es ein Bewohner Böhmens, dessen Familie aus Sachsen in das Königreich eingewandert war und der wegen eines geringfügigen Vergehens zum Tode verurteilt worden war, aber nach Anrufung des Johannes von Nepomuk begnadigt worden war. Das Tonmodell für diese Statue hatte der österreichische Plastiker Rauchmiller entworfen, das Holzmodell der böhmische - aus der Slowakei stammende-Plastiker Johann Brokoff und den Guß dieser Statue Hieronymus Herold aus Nürnberg besorgt. Sie wurde das Urbild für alle Nepo-mukstatuen in aller Welt und zeigt Johannes von Nepomuk in der Bekleidung wie sie die Kanoniker vom Veitsdom noch heute tragen - über dem Talar ein Rochett und über diesem eine Pelzmozzette, auf dem Haupt ein Birett.

Ein Graf Sternberg, der diesem uralten böhmischen Adelsgeschlecht entstammte, ließ das ihm gehörende Haus in Pomuk, dem Geburtsort des Generalvikars, in eine Kirche umwandeln, die heute noch steht, aber auf den Namen des heiligen Johannes des Täufers geweiht werden mußte, da Johannes von Nepo-. muk erst rund ein Jahrhundert später heiliggesprochen wurde.

Johannes von Nepomuk wurde um 1350 in Pomuk als Sohn des Stadtrichters dieses kleinen Marktes geboren und entstammte einer deutschen Familie. Der Vater nannte sich Weiflinn und war Richter in diesem kleinen Markt, das dem Zisterzienserkloster Pomuk gehörte, das nur Deutsche als Novizen und auch als Angestellte aufnahm. Eine Übung, die erst Karl IV. in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts beseitigte. Johannes von Nepomuk wurde erst Notar des Erzbistums, was damals soviel wie ein Schreiber war. Er studierte Theologie in Prag und nach erhaltener Priesterweihe das kanonische Recht an der Universität zu Padua, wurde nach seiner Rückkehr nach Prag alsbald Kanoniker von St. Veit und schließlich Generalvikar des Prager Erzbistums.

Als anläßlich des Seligsprechungsprozesses der Leichnam des Märtyrers erhoben wurde, fiel aus dem Totenschädel des Märtyrers ein unver-westes Stück Fleisch heraus, das die Ärzte bald als die Zunge des Märtyrers diagnostizierten. Sie wird seither feierlich in einer barocken Monstranz aufbewahrt und nur zu besonderen Festtagen des Märtyrers öffentlich ausgestellt. Es ist jene Zunge, die durch keine Folter und durch keine Qualen zum Sprechen zu bringen war. Aber die seit der Auffindung eine umso lautere Wahrheit, einen lauten Protest gegen alle brutale Willkür hinausschreit, die immer noch die Würde der Menschen zerstört und auf die Kirche und ihre Angehörigen keine Rücksicht nimmt. Sie wird diesen Protest immer weiter verkünden, denn die Verfolgungen und Erniedrigungen der Menschen nehmen kein Ende. Und werden fortdauern, solange die Welt besteht. Daraus ist vielleicht erklärlich, warum dieser Heilige eine so lange und ungebrochene Verehrung genießt.

Die deutsche Bundespost beabsichtigt, aus Anlaß des 600jährigen Gedenkens des Martyriums dieses Heiligen eine Sonderbriefmarke herauszugeben. Ob Österreich nicht diesem Beispiel folgen sollte?

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