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Der Brückenschlag

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Ihr „historisches“ Treffen brachte Johannes Paul II. und den sowjetischen Staats- und Parteichef Michail Gorbatschow näher zusammen, als erhofft werden konnte.

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Ihr „historisches“ Treffen brachte Johannes Paul II. und den sowjetischen Staats- und Parteichef Michail Gorbatschow näher zusammen, als erhofft werden konnte.

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War es Romantik oder Realismus? Zwei Slawen, ein Papst und ein Parteichef, schienen über die Mauern von Vatikan und Kreml geradezu hinweggeschwebt zu sein, als sie nach den fast eineinhalb Stunden ihres Gespräches unter vier Augen entspannt, ja freudestrahlend vor die Fernsehaugen der Welt traten. Ein ähnliches Charisma und einige schlichte, wenn auch aus unterschiedlichen Quellen gespeiste Wahrheiten hatten sie einander näher gebracht als sie zu hoffen gewagt hatten.

Das Wort „historisch“, das für ihre Begegnung schon im voraus strapaziert worden war, wirkte fast blaß und protokollarisch gegenüber dem, was wirklich geschehen war. So weit hinter sich ließen sie die ganze Geschichte des sowjetischen Staats-Atheismus wie des katholischen Antikommunismus, daß sie beide Haltungen nur indirekt, jedenfalls nicht so radikal verleugneten, wie es zu Lasten von Millionen Menschen so lange betrieben worden war.

Im Klima des „italienischen Prinzips“ eines undoktrinären Pluralismus, dem Michail Gorbatschow schon in seiner Rede auf dem römischen Kapitol „Zauberkraft“ zugeschrieben hatte, denn in der zeitlosen Windstille des Vatikanpalastes ließ sich mit philosophischen Begriffen leichter eine Brücke schlagen als mit den politischen der Großmächte, die am nächsten Tag vor der stürmischen Küste von Malta eine neue Epoche besiegelten. Sie war in Rom von Gorbatschow und Johannes Paul II. im voraus schon gemeinsam abgesegnet. Da hatte der Parteichef als Ausweg aus allen Übeln der Gegenwart eine „Vergeistigung des Lebens“ gepredigt, eine Rückbesinnung auf die

„einfachen Gesetze der Moral und der Humanität“, die er freilich Karl Marx zuschrieb, während der Papst dem kommunistischen Perestrojka-Erfinder sein Land und seine „Mission“ dem Segen Gottes empfahl.

Nur mühsam fanden manche Kommentatoren noch Worte; für Radio Vatikan war es „ein magischer Augenblick der Geschichte“, für den konservativen Papstkritiker Bischof Marcel Lefebvre ein „apokalyptisches Ereignis“ und für den Rom-Reporter des sowjetischen Fernsehens „das Ende einer Feindschaft, die in der Vergangenheit von der Intoleranz einiger Führer unseres Landes genährt wurde“. Schon lange sah man Johannes Paul II. nicht so heiter lächeln, und Gorbatschow, dem eine Befangenheit gemischt mit Neugier anzumerken gewesen war, als er vorbei an den

Hellebarden der Schweizer Garde die Vatikan-Gemächer betrat, wirkte danach ganz gelassen und zufrieden.

Daß hier nicht imaginäre Divisionen des Papstes zählten, nach denen Josef Stalin einmal geringschätzig gefragt hatte, sondern „die Macht über Millionen Seelen“, wie Otto von Bismarck einstmals respektvoller sagte - das war nun keine Frage mehr. Und die legendären Kosaken die einmal Rom stürmen sollten, werden ihre Pferde nicht an dem Brunnen des Petersplatzes tränken, sondern - wie ein boshafter Beobachter anmerkte -wohl notschlachten lassen, um die leeren Regale sowjetischer Fleischerläden zu füllen...

„Wir hatten vieles zu bereden“, sagte Gorbatschow, der nicht nur die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen Moskau und dem Vatikan und - abweichend von seinem Redemanuskript - eine Papstreise in die Sowjetunion ankündigte, sondern in seiner Ansprache an den Papst praktisch das Ende des staatlich verordneten Atheismus bestätigte. Am Abend vorher schon hatte der Parteichef in seiner Rede auf dem römischen Kapitol die neue Religionspolitik gleichsam philosophisch begründet und von den „moralischen Werten der Religion“ und ihrer Bedeutung für die Perestrojka gesprochen.

Dabei hatte er unterstrichen, daß „der Glaube eine Gewissensfrage ist, in die sich niemand einmischen darf“. Dann zog er in seiner Rede vor dem Papst die praktische Konsequenz nicht nur gegenüber den Katholiken sondern (in kluger Berücksichtigung delikater innenpolitischer Empfindlichkeiten) gegenüber allen Religionen: „Christen,

Moslems, Buddhisten und andere, die in der Sowjetunion leben, haben das Recht, ihre geistlichen Bedürfnisse zu befriedigen“, sagte Gorbatschow und versprach, daß das seit Monaten schon vorbereitete „Gesetz über die Gewissensfreiheit“ nun bald verabschiedet werde.

Freimütig gab er zu, daß der Lernprozeßauf diesem Gebieteben-so schwierig wie unerläßlich sei. Es war deshalb keine bloße Höflichkeitsfloskel wenn er dem Papst für dessen „freundliches Interesse“ an dieser Reformpolitik dankte.

Johannes Paul II. selbst verlas, anfangs sogar auf russisch, eine herzliche Begrüßung und einen theologisch wie diplomatisch fein ausgefeilten Text, der die Handschrift Kardinal Agostino Casaro-lis, des Architekten vatikanischer Ostpolitik, verriet. Da wurden durchaus auch die „schmerzlichen Prüfungen“ erwähnt, die gläubige Sowjetbürger in den vergangenen Jahrzehnten zu erdulden hatten. Doch den Hauptakzent legte der Papst auf das Humane. Auf die gemeinsame Sorge um den Menschen und auf die Hoffnungen, die sich für Welt und Kirche mit Gorbatschows Perestrojka verbinden. Und dann natürlich auch mit dem bevorstehenden Religionsgesetz, das (wie Gorbatschow dem Papst „privat“ versicherte) auch der bislang noch in der Illegalität lebenden ukrainisch-katholischen Kirche zugute kommen soll.

Der Papst erwähnte sie in seiner Ansprache nur indirekt, indem er von der nötigen Freiheit aller Katholiken in der Sowjetunion, denen des lateinischen, byzantinischen und des armenischen Ritus sprach. Zugleich aber versuchte er, ganz im Sinne Gorbatschows, auch in diesem Punkt die mißtrauische russisch-orthodoxe Kirche zu beruhigen: Im neuen Klima der Freiheit könnten alle Katholiken der Sowjetunion „mit den Brüdern der orthodoxen Kirche, die uns so nahe sind,“ zusammenarbeiten.

Wie man später aus dem Vatikan hören konnte, ist die Frage nach den ukrainisch „Unierten“ von Gorbatschow in dem Sinne beantwortet worden, daß es jetzt, da endlich mit der Trennung von Kirche und Staat ernst gemacht wird, gar keiner ausdrücklichen Wiederzulassung dieser Kirche mehr bedarf, daß sie vielmehr ihre Gemeinden genauso wie jede andere Religionsgemeinschaft registrieren lassen kann (siehe Seite 5).

Praktisch geschieht dies mancherorts in der Ukraine schon jetzt. Und selbst der russische Metropolit Juvenalij, der gleichzeitig mit Gorbatschow nach Rom kam, gab „beschämt“ zu, daß Christen nun von der Verständigungswilligkeit des Papstes und des Parteichefs lernen könnten.

Der Papst wiederum zeigte auch Verständnis für die Risiken nationaler und nationalistischer Empfindlichkeiten, die gerade in dieser Phase der Perestrojka mit der Religionspolitik verbunden sind. Die Verständigung zwischen Pontifex und Parteichef ging jedenfalls so weit, daß sie auch kein grundsätzli-«hes Hindernis für eine Papstreise mehr bilden. Dennoch wird bis dahin den Tiber wie die Moskwa hinab noch viel Wasser - und nicht nur Weihwasser - fließen.

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