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Digital In Arbeit

Der Bürger ans Mikrofon

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Bürger-Fernsehen, gibt's das eigentlich? Politische Reife bedingt auch Mitgestalten-Können in den Medien, der ORF schützt sich aber davor durch seinen Hauch an Exklusivität.

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Bürger-Fernsehen, gibt's das eigentlich? Politische Reife bedingt auch Mitgestalten-Können in den Medien, der ORF schützt sich aber davor durch seinen Hauch an Exklusivität.

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„Wir haben zwar eine Art Konzentrationsregierung, bei uns ist aber das Volk Opposition“, sagte kürzlich ein angesehener Journalist zum politischen System in der Schweiz. In Osterreich ist das anders. Die Instrumente der direkten Demokratie sind kaum entwickelt und eine stumpfe politische Waffe. Auch 1,4 Millionen Unterschriften gegen das UNO-Konferenzzentrum (das sind immerhin ein Drittel der Wahlberechtigten) konnten den Bau nicht blockieren. Die Nichtinbe-triebnahme von Zwentendorf wurde nicht durch einen Volksentscheid herbeigeführt, sondern letztlich durch die Katastrophe von Tschernobyl.

In Entsprechimg zur politischen Wirkungslosigkeit direkter Demokratie entwickelt sich auch keine politische Alltagskultur. Uber die Medien wird dem einzelnen Bürger vermittelt, daß seine Probleme keine „politischen“ sind. Lokale und regionale Probleme werden daher verdrängt. Im Fernsehen überhaupt; bei den Zeitungen in den Kommunalteil, auf die letzten Seiten. Die Politik, die sich mit diesen Problemen beschäftigt - die Kommunalpolitik - hat keinen großen Anwert. Sie wird als „Ubungsfeld für Politik“ gesehen, als „Vorstufe zur großen Politik“.

Bestärkt durch die Medien, glauben viele Bürger, daß politisches Handeln zwangsweise mit politischen Parteien zu tun hat. (Dieser Schluß liegt auch deshalb nahe, weil sich diese in fast alle Lebensbereiche einmischen und dadurch der Eindruck entsteht, daß „ohne Parteibuch in Österreich nichts geht“.) Zur Politisierung der Bevölkerung gibt es ebensowenig ein Patentrezept wie für den Rückzug der Parteien.

Ein möglicher Beitrag zur politischen Bildung ist der demokratische Zugang zu den elektronischen Medien: public access oder besser „Bürger-Fernsehen“. Bürger-Fernsehen soll bedeuten, daß es einen demokratischen Zugang zu den Produktionsstätten (TV-Studios samt technischer Apparaturen) wie auch einen demokratischen Zugang zum Kommunikationskanal gibt.

Wien führt derzeit einen Wettbewerb zum Donauraum durch. Von allen Parteien wird der Gegenstand des Wettbewerbs als die Jahrtausendchance von Wien bezeichnet. Mit ungeheurem Werbeaufwand versucht die Gemeinde Wien die Aufmerksamkeit der Bevölkerung auf dieses Projekt zu lenken. Eine Stadt wie Wien, mit etwa 1,5 Millionen Bürgern, setzt freüich den Mitsprachemöglichkeiten Grenzen.

Um diese Grenzen wenigstens teilweise zu überwinden, müssen geeignete Beteiligungsverfahren gefunden werden, um die Mitsprache möglichst vieler Bürger zu sichern; müssen die zur Planung und Entscheidung vorliegenden Fragen in kleine Elemente und somit auch eine Vielzahl von Meinungsbildungs- und Entscheidungsvorgängen zerlegt und aufbereitet werden und müssen zeitadäquate Kommunikationsmedien entwickelt werden, um alle interessierten und interessierbaren Bürger erreichen zu können.

Da es sich um eine Jahrtausendchance für Wien handelt, muß man entsprechend diesem Projekt auch alle Möglichkeiten nutzen. Das Studio Wien in Rundfunk und Fernsehen sollte in der nächsten Zeit den Bürgern von Wien zur Verfügung gestellt werden.

Diese sollten die Möglichkeit haben, ihre eigenen Vorstellungen zum Donauraum vorzubringen; Diskussion darüber abzuführen; Interviews mit verantwortlichen Politikern oder Planern zu machen und ähnliches. Das Bürger-Fernsehen würde damit wesentlich mehr zur Information beitragen, als die derzeit mit großem Aufwand betriebene (noch dazu schlecht gemachte) Propaganda-Aktion der Gemeinde Wien, die sich als Bürgerbeteiligungsverfahren tarnt.

Wenn „Prominente ihre Lieblingsmelodie spielen dürfen“, oder die kleine Karin in 0 3 einmal die Platten auflegen darf, wenn Zuseher (oder Zuhörer) zu Mitspielern an Wettbewerben, Quizlingen und Stichwortebrin-gern degradiert werden, muß es doch auch möglich sein, sich als Person (Gruppe) zu Wort melden (ins Bild setzen) zu können, um auch jene (oft alltäglichen) Probleme auf den Tisch zu legen, die sonst gerne unter den Teppich gekehrt werden. (Das „offene Mikrophon“ im Studio Oberösterreich kann hier als Vorbild dienen.)

Vielfach wird von Gegnern des Do-it-yourself-Fernsehens gesagt, daß Demokratisierung und EntSpezialisierung des Mediums nur vielversprechende Schlagwörter für relativ wenige Amateurproduzenten und für eine Handvoll Mitteilungsbedürftiger sind. Für die meisten Fernsehzuschauer bedeute diese Entspezia-lisierung nicht mehr als langweiliges Dilettantentum. Nun, manche ORF-Sendungen wirken heute schon so, wie Kritiker es vom Bürger-Fernsehen erwarten.

Zweimal eine halbe Stunde pro Woche Bürger-Fernsehen (zunächst als Experiment) kann ein wesentlicher Beitrag zum politischen Lernprozeß für den Bürger sein und vor allem ein notwendiger Beitrag zur Entzauberung des Mediums.

Vom Bürger-Fernsehen zur Opposition des Volkes zur Regierung in Österreich ist noch ein sehr weiter Weg.

Der Autor ist Landtagsabgeordneter und OVP-Gemeinderat in Wien.

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