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Der Bürgerkrieg frißt seine Kinder

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Im April 1975 brach der libanesische Bürgerkrieg aus. Zehn Jahre später läßt das Scheitern des Kabinetts der „Nationalen Einheit” kaum noch Hoffnung auf ein Ende der Kämpfe.

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Im April 1975 brach der libanesische Bürgerkrieg aus. Zehn Jahre später läßt das Scheitern des Kabinetts der „Nationalen Einheit” kaum noch Hoffnung auf ein Ende der Kämpfe.

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1975 war der Kampf für einen Sozialrevolutionären Staat ohne den bisherigen, die christlichen Maroniten begünstigenden konfessionellen Proporz durch die Bildung der „Progressiven Front” eröffnet worden. Unter Führung der Drusen setzte sie sich aus fast allen nichtchristlichen Religionsgemeinschaften und politischen Richtungen Libanons samt den radikalen Palästinensern zusammen.

Erklärter Gegner der „Progressiven Front” war das libanesische „Establishment” aus den politisch und wirtschaftlich führenden maronitischen und sunnitischen Familien der Dschumael, Schamun, Frandschie, Solh und Wazzan. Die stärkste Volksgruppe Libanons hingegen, die zwei Millionen Schiiten, spielten damals noch überhaupt keine Rolle, es sei denn als Opfer zwischen den Fronten.

Was jetzt die Regierung des säkularen und Sozialrevolutionären Sunniten Raschid al-Karame mit seiner 1984 als letzter Ausweg aus der libanesischen Dauerkrise ge-büdeten ,3egierung der Nationalen Einheit” zu Fall gebracht hat, ist genau die Umkehr der Ausgangsposition im anti-maroniti-schen Bürgerkriegslager; und zwar in Hinblick auf dessen Zielsetzung wie auf das Schwergewicht der in ihm zusammengeschlossenen Fraktionen.

Die Drusen haben ihre führende Rolle an die Schiiten abgeben müssen. Und an die Stelle des Kampfes gegen den maronitischen Politkatholizismus im Sinne einer klaren Trennung von Staat und Religion ist der immer wüdere Schrei nach einer Islamischen Republik Libanon getreten. Karame, der alte Freund Abdel Nassers und Arafats, hat sich überlebt.

Aus dem Hintergrund der schon jezt um die Führung in einem solchen libanesischen Gottesstaat nach iranischem Modell kämpfenden schütischen Prominenz Nabih Berri, Hussein Mussauwi und Ibrahim al-Amin taucht nun auch die Gestalt ihres geistigen Mentors auf, des Theologen Scheich Muhammad Hussein Fadlallah, übersetzt „Huld Gottes”.

Er ist ein Schute aus Südlibanon, genau aus Ainata, dem antiken Beth Anath, nahe der israelischen Grenze. Heute lebt er in Bir al-Abed am Südrand von Beirut. Dort wurde unlängst ein Attentat auf ihn verübt, für das er die Israelis und „gewisse maronitische Christen” verantwortlich macht.

Israel ist für Scheich Fadlallah überhaupt der Inbegriff alles Bösen. Dort sitzen die allein Schuldigen am libanesischen Bürgerkrieg. Andererseits sieht er im „Kampf gegen den Zionismus” Libanons einzige Zukunft.

Vom schiitischen Ziel einer Islamischen Republik zeichnet der politische Theologe ein äußerst rosiges Bild. Sie würde tolerant und schrittweise verwirklicht. In ihr seien auch jene Nicht-Muslime willkommen, die „unsere Werte und Ideale achten”, also Schleier, Alkoholverbot und die Gewaltverbrechen im Namen des „Heiligen Krieges” mit absegnen.

Gleich an zweiter Stelle kommt für den Rauschebart mit dem Schlafzimmerblick die Bekämpfung der USA. Sie sind der wichtigste Helfershelfer von Israel und erklärte Feinde der islamischen Revolution. Die „Amerikanische Universität” in Beirut -Ziel laufender schiitischer Anschläge und Entführungen - müsse von dieser US-Politik abgekoppelt werden. Sonst könne sie im Islam-Libanon von morgen keinen Bestand mehr haben.

Die libanesischen Christen sind für Fadlallah „Sektierer und Judenknechte”. Gegen das Christentum als solches habe er hingegen nichts. Doch müßten sich die Maroniten friedvoll in die neue islamische Ordnung fügen. Alles soll im Geist Chomeinis neu geordnet werden. Der Imam ist der „weise

Fürsorger” für die bisher benachteiligten und entrechteten Muslime: gestern in Iran, heute in Libanon, morgen in der ganzen Welt.

Genau dieselben Töne auf der christlichen Seite zeigen, wie aussichtslos die Lage für einen vernünftigen Ausgleich geworden ist. Bei den Maroniten-Milizen hat schon im März Samir Geagea die Macht ergriffen, um „der Welle des islamischen Fanatismus, die Libanon überrollt”, entgegenzutreten.

„Was toben die Heiden”

Er und seine sogenannten Libanesischen Streitkräfte sind aber nicht minder fanatisch als die „Partei Allahs” oder die „Islamischen Amal”. Ihr blutiges Tagwerk beginnt mit Hochamt und Kommunion, beim Zapfenstreich wird in Reih und Glied der Psalm „Was toben die Heiden” gebetet; wie einst von den Kreuzrittern — und heute wieder beim Opus Dei!

Die Tatsache, daß neuerdings in Libanons Schulen auch die Christen mit dem Koran vertraut gemacht werden, ist für Geagea besonders anstößig. Nach ihm wurde das Heilige Buch des Islam vom Teufel persönlich geschrieben.

Ähnlich traurig sieht es heute bei jenen Parteien und Politikern aus, die vor zehn Jahren den Bürgerkrieg im Namen einer neuen pluralistischen und säkularen Ordnung vom Zaun gebrochen hatten:

Drusenführer Walid Dschum-blat, seinem Vater recht unähnlicher Sohn des fortschrittlichen Denkers Kamal Dschumblat, spricht jetzt von „neuer islamischer Expansion und Eroberung”. Der Westen ist für ihn „reaktionär, rassistisch, hinterlistig und konfessionalistisch”, die Friedenspolitik des Vatikan im Nahen Osten „fadenscheinig”.

Entsprechend die Radikalisierung bei den Sunniten Karames. An semer Stelle gibt heute der fanatische Mufti Muhammad Ali Dschuzu den Ton an. Die Sozialrevolutionäre Koalition der „Murabitun” ist jetzt von Schuten und Drusen gemeinsam niedergekämpft worden. Der libanesische Bürgerkrieg hat schon fast alle seine Kinder verschlungen.

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