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„Der Bürgerkrieg ist kein Religionskampf!“

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Über den nordirischen Konflikt und den Standpunkt der katholischen Kirche dazu sprachen FURCHE-Redakteur Burkhard Bischof und FURCHE-Mitarbeiter Professor Paul O'Grady in Londonderry (Derry) mit Bischof Edward Daly.

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Über den nordirischen Konflikt und den Standpunkt der katholischen Kirche dazu sprachen FURCHE-Redakteur Burkhard Bischof und FURCHE-Mitarbeiter Professor Paul O'Grady in Londonderry (Derry) mit Bischof Edward Daly.

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FURCHE: In Europa taucht Derry immer wieder in den Schlagzeilen auf, wenn über den nordirischen Bürgerkrieg berichtet, wird. Was für eine besondere Rolle spielt diese Stadt im NördirlandrKonfliki?

DALY: Ich habe immer geglaubt, daß es in Belfast zu viel mehr Zwischenfällen gekommen ist. In Derry ist es in den letzten zwei Jahren schließlich bedeutend ruhiger geworden. Natürlich hat es auch in dieser Zeit Zwischenfälle gegeben, aber die Situation hat sich grundsätzlich gebessert.

Derry ist aber wahrscheinlich in vieler Hinsicht der Mikrokosmos der nordirischen Situation. Obwohl Derry kleiner als Belfast ist, hat die Stadt doch weltweites Interesse auf sich gezogen.

FURCHE: Hat Ihrer Meinung nach der nordirische Konflikt hauptsächlich religiöse Ursachen?

DALY: Nein, ganz entschieden nein! Der Konflikt ist vor allem ein nach-ko-loniales Problem. Er ist sozialökonomischer und politischer Natur, fast dieselbe Konfliktsituation, wie sie die Briten nach ihrem Rückzug in Indien, Zypern oder Rhodesieh hinterlassen haben. In Irland waren die britischen Siedler, die vor 300 Jahren her kamen, Protestanten. Die ansässige Bevölkerung war katholisch. In Rhodesien ist das Problem ähnlich gelagert: Nicht Weiße und Schwarze bekämpfen sich dort blutig, sondern Kolonialisten und Einheimische.

Es ist zu einfach, zu behaupten, der Bürgerkrieg in Nördirland sei ein Reli-gionskonflikt. Damit läßt sich unsere Situation zwar kurz und bündig erklären, eine zutreffende Darstellung ist das aber freilich nicht. Die Briten verstehen es meisterhaft, für sie unliebsame Situationen in den Medien so darzustellen, daß sie mit ihren eigenen Interessen am besten wegkommen. Und die großen Nachrichtenagenturen berichten ja fast alle aus London über die nordirischen Vorkommnisse, es ist also meistens die brititische Version, die die Welt erfährt. Dabei kommt es den Briten sehr gelegen, den Aufruhr als einen anachronistischen Religionsstreit zu charakterisieren, der schon seit dem 16. Jahrhundert anhalte: die Iren seien in diesen Dingen eben noch nicht erwachsen geworden! In Wirklichkeit sind sie es selbst, die diese blutige Konfrontation verursacht haben.

Tatsache ist: Hier in Derry leben rund 80.000 Menschen beider Religionen zusammen, und die Beziehungen zwischen den Kirchen sind sehr, sehr gut! Seit Jahren haben wir keine ernsthaften sektiererischen Auseinandersetzungen mehr gehabt.

FURCHE: Würde die Mehrheit der Katholiken Nordirlands eine Wiedervereinigung der sechs „counties“ mit der Republik Irland befürworten?

DALY: Ja! Und ich selbst auch! Aber keiner von uns stellt sich die Wiedervereinigung als einen kurzfristigen Prozeß vor: Sie ist - um das klarzustellen - langfristig die Lösung! Bis dahin wird es noch viele politische Entwicklungen und Initiativen geben müssen: Zuvor müssen wir der protestan-tisch-unionistischen Gemeinschaft hier ein Sicherheitsgefühl geben und vor allem ihr Vertrauen gewinnen!

Die provisorische IRA argumentiert, daß Gewalt notwendig sei, um die Wiedervereinigung herbeizuführen. Ich bin absolut gegen die Gewalt. Die Gewalt hat Uneinigkeit hier verursacht. Aber ich unterstütze die Wiedervereinigung: Denn die Grenze, die existiert und die die Diözesen voneinander trennt, ist eine künstlich gezogene, unwirkliche und unnatürliche Grenze. Und das ist das eigentliche irische Problem: Nicht ein Konflikt zwischen den Kirchen, sondern die unnatürliche Teilung der Jnsel.

FURCHE: Ist die katholische Kirche in Irland in der Frage der Legitimität der IRA gespalten?

DALY: Die Bischöfe -. nein. Innerhalb der katholischen Gemeinschaft gibt es vielleicht fünf Prozent, die die IRA aktiv unterstützen. Die anderen 95 Prozent lehnen die Mittel und Methoden der IRA vollkommen ab. Dennoch unterstützen viele das politische Endziel der IRA: die Wiedervereinigung mit Irland.

FURCHE: Werden Mitglieder der IRA noch immer exkommuniziert?

DALY: Nein, so etwas gibt es nicht mehr, obwohl einige Leute das befürworten. Ich glaube, daß Exkommunikation heutzutage ein Anachronismus ist: Kommunikation ist viel wichtiger als Exkommunikation! Ein Bischof, ein Priester oder auch ein einfacher Christ, der es sich zur Aufgabe gestellt hat, das Wort Gottes zu verbreiten, kann niemanden mit diesen Worten überzeugen, wenn er ihn zuvor aus der Gemeinschaft ausgeschlossen hat. Ich selbst habe einige junge IRA-Mitglie-der überredet, sich vom gewaltsamen IRA-Programm zu distanzieren. Das wäre nicht möglich gewesen, wenn man diese jungen IRA-Leute zuvor aus der kirchlichen Gemeinschaft ausgeschlossen hätte.

FURCHE: Betty Williams, eine Gründerin der „Peace People“ hat im Sommer dieses Jahres in einem FURCHE-Interview (Nr. 28, 14. Juli) erklärt, die Kirche unterstütze ihre Friedensbewegung viel zu wenig. Was sagen sie zu dieser Beschuldigung und was sind ihre Vorbehalte - wenn es solche gibt - gegen die „Peace People“?

DALY: Ich weiß nicht, was Betty will. Ich bin bei der Friedensdemonstration mitmarschiert, die die „Peace People“ in Derry abgehalten haben. Ich habe mich aber geweigert, mich mit den Sprecherinnen der Bewegung zusammen auf eine Redeplattform zu stellen, weil die „Peace People“ ja nicht mit einer bestimmten Kirche identifiziert werden sollen Denn das ruft ja immer das Mißtrauen der anderen Religionsgemeinschaft hervor. Anderseits hat die katholische Kirche die Bewegung immer wieder ermutigt.

Gegenwärtig hat sich die Friedensbewegung festgefahren. Sie ist auf einer Welle von Emotionen hochgespült worden, als diese drei Kinder getötet wurden. Wie soviele Bewegungen.in Nordirland, ist sie dann aber in die Unterwürfigkeit gemahlen worden. Das Schlechteste, was den „Peace People“ passieren konnte, war der Geldregen, der auf sie niederging, und die weltweite Beachtung, die ihnen zuteil wurde. Heute haben sie in der übrigen Welt viel mehr Einfluß, als in Ulster selbst. Trotzdem habe ich viel Respekt für die Gründerinnen der Bewegung und habe das bei jeder Gelegenheit gesagt. Sie waren sehr mutig.

FURCHE: Es Wurde vielfach erklärt, daß sich die katholische Kirche Irlands an der ökumenischen Bewegung nicht interessiert zeige. Uns haben Sie erklärt, daß die Beziehungen zu ihren protestantischen Kollegen in Derry ausgezeichnet seien. Können Sie uns über diesen Widerspruch aufklären?

DALY: Es scheint wirklich die weitverbreitete Meinung auf dem Festland zu sein, daß die katholische .Kirche in Irland teilnahmslos sei. Tatskehlich treffen sich die Bischöfe, die Vertreter des Klerus und der Laienorganisationen der Kirchen einmal im Jahr und erarbeiten gemeinsame Berichte in gesellschaftlichen Fragen. Ich weiß nicht, ob das bei ihnen auch so gehandhabt wird. Die Zusammenarbeit ist also sehr intensiv, wahrscheinlich intensiver als in anderen Ländern Europas.

FURCHE: Erzbischof O'Fiach, der Primus von Irland, hat jüngst in ein Wespennest in der Britischen Presse gestochen, als er die Haftbedingungen politischer Gefangener in nordirischen Gefängnissen kritisierte. Was sagen Sie dazu?

DALY: Ich habe die Gefängnisse selbst besucht. Die Zustände dort sind furchtbar, schockierend, grausam. Ich glaube zwar, daß es nicht einfach ist, alle Inhaftierten für politische Gefangene zu erklären, aber sie sind jedenfalls keine gewöhnlichen Häftlinge. Die meisten der Gefangeneri wurden auf Grund einer schikanösen „Notstandsgesetzgebung“ verurteilt und 80 Prozent davon nur auf Grund ihres eigenen Geständnisses. Dabei ist bekannt, daß viele Geständnisse mit äußerst zweifelhaften Methoden erpreßt wurden: mit psychologischer und physischer Folter! Auch Amnesty International behauptet das, und Großbritannien Wurde vom Europäischen Gerichtshof wegen der brutalen Verhörmethoden ja auch Verurteilt.

FURCHE: Was müßten Ihrer Meinung nach die Briten tun?

DALY: Ich glaube nicht, daß sie über Nacht verschwinden sollten, also praktisch den Pontius Pilatus spielen, den die Situation hier langweilt, weil sie ihm auch zu teuer geworden ist. Sie tragen die Verantwortung für all das, was hier geschieht. London sollte ein bestimmtes Datum ankündigen^ an dem es seine Truppen zurückzieht und sich bis dahin daranmachen, ein funktionierendes und gerechtes Gesellschaftssystem aufzubauen. Zur Zeit scheint sich in London überhaupt niemand Gedanken über Nordirland zu machen. Von einer Lösung ist also noch weit und breit nichts in Sicht...

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