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Digital In Arbeit

Der Bumerang-Effekt

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Die ersten Infratestergebnisse des Fernsehens liegen vor. Spekulationen aller Art knüpfen sich an sie. Ist die Regierung im Vorteil, weil es neue Programmschemata, weniger Seher von Informationssendungen, mehr Unterhaltung gibt? Kann das Fernsehen jetzt etwa Meinungen so verbilden, daß Wahlergebnisse beeinflußt werden? Oder ist es gar so, daß ein Zuviel an Fernsehinformationskonsum desinteressiert macht, apolitische Reaktionen erzeugt, die sich dann in Wahlenthaltungen deutlich ausdrücken?

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Die ersten Infratestergebnisse des Fernsehens liegen vor. Spekulationen aller Art knüpfen sich an sie. Ist die Regierung im Vorteil, weil es neue Programmschemata, weniger Seher von Informationssendungen, mehr Unterhaltung gibt? Kann das Fernsehen jetzt etwa Meinungen so verbilden, daß Wahlergebnisse beeinflußt werden? Oder ist es gar so, daß ein Zuviel an Fernsehinformationskonsum desinteressiert macht, apolitische Reaktionen erzeugt, die sich dann in Wahlenthaltungen deutlich ausdrücken?

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Ganz parallel dazu ist das Anwachsen sogenannter Wechselwähler feststellbar. Von Wahl zu Wahl

—sowohl auf Bundes- als auch auf Landes- und sogar Gemeindeebene

—nimmt die Zahl der sogenannten Traditions- und Stammwähler ab. Das geht so weit, daß man in den Parteihauptquartierendavon spricht, den Wahlkampf eigentlich nur noch für Wechselwähler schlagen zu müssen. Die Stammwähler sind höchstens noch mobilisierungs-, aber nicht überzeugungswürdig.

Kann und hat das Fernsehen diesen Prozeß gesteuert — oder doch zumindest beeinflußt? Vieles spricht dafür.

Anderseits; kann das Fernsehen auf die politische Motivation der TV-Konsumenten einwirken, diese oder jene Partei zu wählen — die Regierung oder die Opposition? Die Versuche der Politiker in aller Welt, sich des Fernsehens als Meinungbildungsinstruments zu bedienen und dieses Instrument in ihren Griff zu bringen, sprechen für die These, daß Fernseheinfluß politische Macht bedeutet. Aber ist das wirklich so? Gerade in diesen Wochen liegt ein Buch vor, das mit Mißverständnissen aufräumen will und Analysen wie Wirkungen der Medien aufzeigen will. Es stammt von Roman Rocek, dem engagierten Leiter; der^ Abteilung Wissenschaft,,. Schulfunk und Volksbildung im ORF. („Mediengefahr“, Verlag Jugend und Volk, Wien) Rocek unternimmt den Versuch, auf 200 Seiten die wissenschaftlich erhärteten Fakten auszubreiten, die man im Bereich der Medienwirkungsforschung heute als ausreichend abgesichert ansehen kann; und die darüber Aufschluß

geben, wie die Denk- und Motivationsprozesse etwa aussehen — allerdings Analysen und Untersuchungen, die die österreichische Situation nicht ins Auge fassen, wenngleich ,die „Grundgesetze“ der Medien sicherlich in den westlichen Industrieländern gleichartige Konsequenzen haben:

• Der Zusehet, Zuhörer der audiovisuellen Medien ist vor allem Konsument: er reagiert demnach kon-sumhaft, passiv, aufnehmend, im Sinne der Inanspruchnahme einer Dienstleistung.

Als relevant für die Emotionie-rung — sprich Engagierung dieses Konsumenten — können sich nur jene Informationen erweisen, die — so Rocek — ein Nahverhältnis zu den Interessen, Neigungen oder Hoffnungen des Publikums haben. Nur jene Informationen, die konkret auf die zusehende Person bezogen sind, lösen vor dem Fernsehschirm Reaktionen aus. (Eine Krise vor der Haustür verändert Bewußtseinsinhalte — ein Bürgerkrieg weit weg ist nur mehr „Kulisse“ und läßt kalt.) • Der Mensch sitzt mit seinen Vorurteilen vor dem Bildschirm, dem Radiogerät. Er hat Vorlieben und Abneigungen. Was immer er auch an Information vorgesetzt bekommt — er ordnet diese im Sinne seines individuellen Weltbildes ein. Und des halb verdrängt er entweder das, was

er -nicht hören will —- ,öder' das Gehörte löst eine Verstärkung seiner schon gebildeten Meinung aus.

•Daraus ergibt sich logisch, daß „direkter Wandel durch Einfluß von Massenmedien nur möglich ist, wenn außerkommunikative Faktoren entweder unwirksam sind oder im Sinne der Kommunikation wirken“ (Rocek, Seite 74). Außerkommunikative Faktoren sind solche, die politische Weltbilder erst entstehen lassen: also Bindungen im Elternhaus, religiöse Werte, Arbeitsplatzbindungen, gesellschaftliche Kontakte, der Freundeskreis, Verein usw. Dort wird offenbar — so die Kommunikationsempiriker — Meinung „gemacht“ — das Fernsehen kann dann höchstens retuschieren und korrigieren —, umstoßen kann es gefaßte Meinungen beim Zuseher nicht.

Die Theorie hat natürlich einen Pferdefuß: im Zuge der starken Personalisierung der politischen Vorgänge ist die Identifikation von politischen Meinungen mit Personen, die Meinungen repräsentieren, evident. Wer also etwa Bruno Kreisky als Person am Fernsehschirm für Vertrauens- und glaubwürdig hält, wird auch einer SPÖ unter Bruno Kreisky ein höheres Maß an Vertrauen entgegenbringen als umgekehrt. Ein solcher Meinungswechsel würde sich demnach auf der nicht meßbaren und untersuchbaren Ebene von Sympathie und irrationaler Neigung abspielen — aber dennoch für den politischen Meinungsbildungsprozeß relevant sein.

•Bewegt sich Medieninformation auf der Ebene von Uberzeugung oder Überredung, dann entsteht hingegen nach Rocek der „Bumerang-Effekt“. Durchschaubare Manipulation durch das Medium, Penetranz der „Meinungsmache“, Propaganda statt Information durch auftretende und argumentierende Politiker löst Aversions- und Gegner,schafts-Effekte beim Zuseher aus. Wer ein offen parteipolitisch-gefärbtes oder ein regierungspropagandistisches TV installiert, fällt zweifellos damit auf die Nase.

Nun haben wir es in Österreich offensichtlich, wie die politikwissenschaftliche Forschung bislang ansatzweise eruierte, mit zwei Wählertypen zu tun: dem Stamm- und dem Wechselwähler.

Vor allem das IFES-Institut hat sich mit dieser Frage besonders eingehend auseinandergesetzt. Albrecht Konecny („Journal für angewandte Sozialforschung“, Nr. 55/1974) weist nach, daß es bei den Nationalratswahlen 1970 und 1971 um ein Drittel mehr Parteiwechsler in den Altersstufen der unter 40jährigen als in jener der über 60jährigen gab; 45 Prozent aller Akademiker sind Wechselwähler — aber nur 19 Prozent der Pflichtschüler ohne weitere Ausbildung.

Untersucht man diese Kategorien von Wählern nach ihren Mediengewohnheiten, zeigt sich, daß sie die relativ am besten und vielseitigsten Informierten sind; sie nehmen einerseits die politische Information via TV selektiv auf, sind anderseits aber auch überpröDortional eifrige Tages-zeitüngsleser.' (98“ Prozent der Akademiker lesen Tageszeitungen, 83 sehen politische Fernsehsendungen; bei den Pflichtschülern ohne Ausbildung finden sich nur 40 Prozent Tageszeitungsleser und 61 Prozent Zuseher bei politischen Informationssendungen im TV.)

Hat sich die Fernsehinformation seit der Programmumstellung im Februar 1975 verringert? Die zweite Sendung des Aktuellen Dienstes beweist jedenfalls nicht nur intelligente Machart, sondern auch umfassende Darstellung und weitgehend ausgewogene Berichterstattung. Die geringfügige Kürzung der ersten Sendung der „Zeit im Bild“ läßt keine tiefgreifenden Veränderungen gegenüber früher erkennen.

Das eigentliche Problem liegt vielmehr in der Konkurrenzierung der Programme, im Programmslalom, der von den Sehern veranstaltet werden kann. Man kann sich politische Information — wenn man will — jetzt völlig „ersparen“.

Im Vergleich zu den Infratester-gebnissen im Vorjahr ist die Zahl der „Zeit im Bild“-Seher insgesamt um 25,1 Prozent zurückgegangen. Dies trifft vor allem die erste Sendung um 19.30 Uhr, während „Zeit im Bild 2“ geringfügige Seherzunahmen verzeichnen kann. Das wird verständlich, wenn man sich die Konkurrenzsendungen ansieht, die jeweils um 19.30 Uhr ausgestrahlt werden (siehe Tabelle).

Aber die Infratestergebnisse können uns keinen Aufschluß darüber geben, wer auf die Informationssendungen verzichtet; sind es Seher mit geringerer Bildung, ältere Wähler?

Es ist, wie uns Erfahrungen bestätigen, eher wahrscheinlich, daß die mobilen, gebildeteren, jüngeren Zuseher sowie die Wechselwähler noch wie vor die politischen Informationssendungen sehen.

Nun gibt es in diesem Zusammenhang die Behauptung, daß das „Unterhaltungsfernsehen“ einer Regierung nütze, der Opposition aber schade; daß die Verminderung der Zuseherzahlen von Nachrichtensendungen zu Lasten der Opposition gehe, denn

•die Oppositionskritik, wenn sie über die Medien läuft, findet weniger Artikulation und Widerhall;

•eine Mentalität von „Brot und Spielen“, sprich: gesicherten Arbeitsplätzen und TV-Unterhaltung nützt allemal der Regierung, deren propagandistisches Hauptgeschäft in der „Vermittlung von Zufriedenheit“ liegt.

Nachdem Bundeskanzler Kreisky im Zusammenhang mit der Verabschiedung des Rundfunkgesetzes im Vorjahr auch davon sprach, daß die Zuseher ja vor allem Unterhaltung sehen wollen — und deshalb auch taxfrei zum „Unterhaltungskanzler“ avancierte —, meint man in Oppositionskreisen, hinter der ORF-Umstellung eine raffinierte Strategie zu entdecken.

Dabei übersieht man allerdings, daß es in der gegenwärtigen Phase der Auseinandersetzung zwischen Regierung und Opposition vor allem um die „Umsetzung“ emotional starker Unsicherheitselemente in der öffentlichen Meinung geht. Untersuchungen beweisen, daß sich eine Mehrheit der Österreicher von der Zukunft „nichts Gutes“ erwartet. Kann man solche Gefühle durch mehr Fernsehunterhaltung zerstreuen?

Tatsächlich spricht manches dafür, daß die Verringerung der Seherzahlen der politischen Informationssendungen auch der Opposition Nutzen bringen kann:

•An einen Teil der Bevölkerung kann die Regierung keine Argumente der „Beruhigung“ herantragen; Unsicherheit über die Zukunft des Arbeitsplatzes plus Inflation können argumentnegativ je nur durch rationale, eher umständliche Argumente entkräftet werden. Dafür hat die Regierung jetzt weniger Resonanz im TV.

• Die Regierung kann nur dann in den nächsten Wahlen bestehen, wenn ihre Leistungsbilanz akzeptiert wird. Für eine solche — weitgehend quantitative — Bilanz braucht es aber vielfältiger und laufender Argumentation, und solche Leistungsberichte können via TV jedenfalls neuerdings an einen bestimmten Wählerkreis nicht mehr herangetragen werden.

Fazit: Beide politischen Lager haben Nachteile wie Vorteile aus einer Verringerung der Zuseherschaft von Nachrichtensendungen. Die Fragestellung ist aber trotzdem akademisch, weil die Wechselwähler wahrscheinlich unverändert nach wie vor TV-Information konsumieren. Damit aber reduziert sich die Frage von einer quantitativen zu einer qualitativen Natur. Wer nützt das Medium besser — nicht nur in zeitlicher, sondern auch in inhaltlicher Hinsicht und in bezug auf eine personenorientierte Präsentation?

Tatsache ist, daß 1966 die ÖVP die Nationalratswahlen souverän gewann, obwohl der Fernsehdirektor Gerhard Freund hieß und ein rotes Parteibuch hatte; daß die SPÖ 1970 und 1971 überragend gewann, obwohl der Generalintendant Gerd Bacher hieß und für die Österreicher eine Informal ionsexplosion stattfand — angeblich mit „schwarzer“ Rauchentwicklung.

1975 ist alles möglich.

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