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Der Diätwein

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Sagen wir, das freundliche Winzerhaus befindet sich irgendwo in einem mit Reben reich gesegneten Winkel des Burgenlandes oder in einer idyllischen, von Weinstöcken bestandenen Hügellandschaft des schönen Niederösterreich. Der Tag ist sommerlich, die Stille ergötzlich. Uber das Schild „Flaschenweine” streift ein lauwarmer Wind. Im Keller des freundlichen Winzers reifen die erlesenen Weine ihrer höchsten Vollendung entgegen.

Sagen wir, ein sorgfältig gepflegter Mercedes mit deutschem Kennzeichen hält vor dem freundliehen Haus des biederen Weinhauers. Ein Mann mittleren Alters entsteigt der Karosse, an seiner saloppen Freizeitkleidung als Tourist erkennbar, ein Herr, mit einer entsprechend gefütterten Brieftasche ausgestattet, mit anderen Worten: ein gern gesehener Besucher dieser kleinen neutralen Alpenrepublik.

Sagen wir, der deutsche Tourist findet den Winzer in seiner schlichten Behausung, genauer: im Raum, der—halb als Heurigenstube, halb als Büro eingerichtet— dazu dient, an schönen Sommertagen zahlungskräftige deutsche Touristen mit der gebotenen Schlichtheit zu empfangen.

Sagen wir, der Sohn und zukünftige Erbe des kleinen, aber schmucken Weinhauerbetriebes verbringt die Ferien daheim. Sagen wir, er heißt Hans oder Johannes, wird aber vom zärtlichen Vater Hansi genannt.

Und nun kommt es vielleicht zu folgendem Gespräch:

„Ich will einige Bouteillen Wein mitnehmen. Man hat mir Ihren Namen genannt. Bei uns, am Rand der Lüneburger Heide, wächst bekanntlich kein Wein, und unsere Eigenproduktion von Rhein und Mosel — hohe Klasse, aber selten naturbelassen. Ich wül einen Wein haben - na, also, er soll ein schöner Tropfen sein, aber trotzdem ein Naturwein.”

„Haben wir.”

„Wollen Sie mich mal kosten lassen?”

„Also wir haben hier nur drei Sorten. Den Grünen Veltliner, den Müller-Thurgau Kabinett und den Eiswein.”

„Darf ich kosten?”

Der biedere Winzer entkorkt drei Bouteillen, füllt drei Weingläser halbvoll. Der Gast kostet. Der Wein im dritten Glas entspricht seinem Geschmack. Er deutet mit dem Zeigefinger auf den honigfarbenen Inhalt des Glases und sagt:

„Den nehme ich.”

„Hab ich mir gleich gedacht”, sagt der biedere Winzer. „Ihr aus der Bundesrepublik wollt halt allerweil das Süße.”

„Ist das der Grüne Veltliner?”

„Ja, die Sorte. Aber als Eiswein.”

„Was heißt das?”

„Na, man läßt die Rebe halt lange hängen. Edelschimmel und so. Und dann gibt es den Morgenfrost und dann wird sie gelesen und gleich gepreßt. Da ist kein Wasser dabei, sondern nur das Bouquet.”

„Also vom Eiswein kaufe ich hundert Bouteillen.”

„Na bitte”, sagt der biedere Winzer und ruft im gleichen Atemzug „Hansi!”

Der Hansi erscheint tatsächlich. Er trägt Blue jeans und sieht auch ansonst aus wie ein Intellektueller.

„Also der Herr nimmt vom Eiswein hundert Bouteillen. Pack alles zusammen und vergiß nicht, das Diäthylenglykol in den Wein zu tun.” „Bitte, was?” fragt der Gast. „Na, den Frostschutz.” „Und ist der Wein dann noch naturbelassen?”

„Aber ja. Sie wollen ja den Eiswein heil nach Hause bringen. Eis ist bei dieser Hitze natürlich gefährdet, denn das Eis schmilzt, wenn der Frost nicht geschützt wird. Um den Frost zu schützen, braucht man eben Frostschutz, und das beste Frostschutzmittel, das ich Ihnen geben kann, ist das Diäthylenglykol, oder nicht?” Der Hansi nickt mit dem Kopf. „Aber ist das am Ende vielleicht nicht schädlich?” fragt der Gast.

„Schädlich?! Wenn man Diäthylenglykol sagt, dann weiß man, was man hat. Eine Diät. Eiswein mit Diät-Hylenglykol kann nicht schmelzen, und außerdem ist er ein Diätwein.”

Der Hansi geht, um der väterlichen Anweisung zu folgen. Der Gast zahlt. Gefügige Weibspersonen beladen den Kofferraum des Mercedes mit den hundert Bouteillen. Der Gast fährt ab. Der biedere Winzer winkt ihm nach. Der Tag ist sommerlich, die Stille ergötzlich, die Landschaft naturbelassen. Während der Hansi dabei ist, sich auf einen Besuch in der Diskothek vorzubereiten, betrachtet sein Vater die deutschen Banknoten. Die Männer tragen Barte, die Frauen tragen Hauben. Man sieht alles ganz genau, ohne Licht zu machen. Der Sommer ist schön und Sommertage sind lang. Und ein Familienvater hat für seine Liebsten zu sorgen.

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