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Digital In Arbeit

Der Dialog der Nachbarn

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Haben die rotweißroten Medien ihren Beitrag für den Prozeß der Entspannung in Europa geleistet? Oder überwiegen gegenseitiges Mißtrauen und der Hang zur Abgrenzung?

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Haben die rotweißroten Medien ihren Beitrag für den Prozeß der Entspannung in Europa geleistet? Oder überwiegen gegenseitiges Mißtrauen und der Hang zur Abgrenzung?

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Nieder Österreich, das flächenmäßig größte Bundesland, hat rund 400 Kilometer gemeinsamer Grenze mit der Tschechoslowakei. Diese Grenze ist seit vielen Jahren nicht nur eine Staatsgrenze,'sie ist auch die Grenze zwischen zwei Gesellschaftssystemen.

Die Marksteine in der Entwicklung der Beziehungen dieser beiden Nachbarn, die durch eine jahrhundertelange kulturelle und menschliche Tradition miteinander verbunden sind, heißen im 20. Jahrhundert 1. Weltkrieg (Gebietsverluste), Verlauf und Ende des Zweiten Weltkriegs (Unrecht von beiden Seiten) und — das Jahr 1968.

Spätestens seit dem letzten Datum gab es, gewissermaßen für jedermann, der nicht gesprächsbereit sein wollte, auch eine Rechtfertigung, den Dialog nicht zu suchen. Auf beiden Seiten schwindet indessen das Wissen um die gemeinsame Vergangenheit, das Ineinander-Verwo-bensein dieser Kulturräume und um die vielen gemeinsamen Ansichten zu den Dingen des Lebens.

In beiden Ländern wachsen junge Menschen heran, die sich zwar möglicherweise in den Weltstädten ihrer Hemisphäre auskennen, aber nicht mehr wissen, wie es im Nachbardorf und in der Nachbarstadt zugeht.

Aus unserer Beschäftigung mit dem Grenzland in Niederösterreich kamen wir sehr bald zur Erkenntnis, daß jede Aktivität für das Grenzland in logischer Konsequenz auch bedeuten mußte, Fenster zum Nachbarn zu öffnen.

Was 1979 vorerst nur einseitig begonnen wurde, hat 1982 nach Abschluß eines offiziellen Hörfunkabkommens zwischen dem Tschechoslowakischen und dem österreichischen Rundfunk eine zusätzliche Dimension erhalten. Aus den Vorleistungen guten Willens wurde ein institutionalisiertes Direktgespräch, aus Einzelsendungen im Radio wurden gemeinsam produzierte Sendungen im Radio und Fernsehen.

Wieso ist es trotz der großen Gesellschaftsunterschiede überhaupt möglich, gerade im sensiblen Bereich der elektronischen Medien zu einer solchen Zusammenarbeit zu kommen? Bedeutet Zusammenarbeit mit einem anderen Gesellschaftssystem nicht Aufgabe der eigenen Standpunkte, Verzicht auf Werte und Anpassung um jeden Preis — vor allem um den Preis der Aufrichtigkeit?

In der Enzyklika „Ecclesiam su-am“ von Papst Paul VI. werden die Rahmenbedingungen jedes Dialoges abgesteckt: „Klarheit der eigenen Standpunkte, Geduld und Vermeiden jeder Beleidigung, Vertrauen und Berücksichtigung der Eigenheiten des Gesprächspartners.“

Mißt man unsere bisherigen Kontakte und Gespräche und die sich daraus ergebenden Produktionen an diesen Maßstäben, so kann man geradezu einen Katalog der Voraussetzungen für solche Gespräche, aber auch der Möglichkeiten und ihrer Grenzen erstellen.

Eine der wichtigsten Voraussetzungen am Beginn unserer Gespräche war der Respekt vor den Menschen und ihren Ansichten, die in einer jeweils anderen Gesellschaftsform leben, der Verzicht auf Belehrung und Besserwisserei und vor allem die Geduld bei der Aufnahme der Gespräche mit jenen Nachbarn, die auch ihrerseits nicht nur gute Erinnerungen an eine längere und jüngere gemeinsame Vergangenheit haben.

Wir haben auch sehr bald klargestellt, daß einen Dialog führen heißt, auf die „Bekehrung, Missionierung oder gar Germanisierung“ zu verzichten. Wir haben uns sehr bald bemüht, herauszufinden, in welchen Bereichen der Zusammenarbeit das Gemeinsame stärker als das Trennende ist. Daß es sich hier vor allem um die vielfältigen kulturellen Äußerungen aus allen Bereichen handelt, lag auf der Hand.

Wir sind hiebei davon ausgegangen, daß jede Tätigkeit Spuren hinterläßt. Gemeinsame, als richtig und nützlich erkannte Handlungen hinterlassen gute Spuren, Aggressionen, Unbedachtheiten und unfreundliche Akte hinterlassen schlechte Spuren.

Diese Spuren aber verdichten sich im Laufe der Jahre zu einem Netz guter Erinnerungen an gemeinsame Auffassungen. Mag auch der Sektor, auf dem das Gemeinsame das Trennende überwiegt, noch klein sein, so wird er doch zunehmend größer.

Wir haben gelernt, in den uns gemeinsam zur Verfügung stehenden Werken der Literatur vorerst jene sichtbar zu machen, bei denen wir keine Auffassungsunterschiedehaben, um uns jene für später aufzuheben, wo wir eine verschiedene Beurteilung feststellen mußten.

Nach der nun einige Jahre dauernden Zusammenarbeit haben wir auch gelernt, miteinander umzugehen: nicht jeden für jedes Ereignis in seinem Land, das den Nachbarn stört, haftbar zu machen; nicht jeden Rückschlag, der durch Andersdenkende im jeweiligen Nachbarland hervorgerufen wird, zu einer Krise der Zusammenarbeit werden zu lassen; vor allem aber auch nicht die Äußerungen des Mißtrauens, bürokratische Hindernisse, manche Unüberlegtheiten und oft auch nur Dummheiten, überzubewerten.

Wir konnten mit Freude dabei feststellen, daß die Basis des Gemeinsamen allmählich breiter geworden ist, und daß der Bereich des Trennenden klarer, deutlicher, aber auch kleiner und überschaubarer wurde.

Natürlich ist uns bewußt, daß es letzten Endes eine Reihe fundamentaler Unterschiede in den beiden Gesellschaftssystemen gibt, die auch durch Verständnis und Zuneigung nicht aufgehoben werden können. So vor allem im Bereich der Grund- und Freiheitsrechte, der Vorstellung, was Sache des Staates ist und sein muß und was Sache der Bürger zu sein hat, und nicht zuletzt in der Ordnung der Informationslandschaft.

Daß es hier im Dialog noch keine spektakulären Schritte und Fortschritte geben kann, liegt auf der Hand. Wichtig scheint mir aber zu sein, daß wir wenigstens gelernt haben, diese Unterschiede in Freundschaft zu artikulieren und nicht jeden eklatanten Mißbrauch und Mangel des Systems des Nachbarn zum Beweis für die Qualitäten des eigenen zu nehmen.

Diese Zurückhaltung beim Ausspielen der jeweils als Vorteile für die Begründung der eigenen Position zu wertenden Fakten ist hiebei eine weitere Voraussetzung, um den Partnern solcher Gespräche deren Fortsetzung zu ermöglichen.

Ob wir schon in naher Zukunft auch so weit sein werden, in diesen Kernfragen zu den Inhalten unserer Unterschiede vorzudringen, kann nicht beurteilt werden.

Eines haben wir in der Zwischenzeit gelernt: Auf beiden Seiten dieses Teiles von Mitteleuropa leben Menschen, die sich zu vielen gemeinsamen Grundwerten bekennen. Auf beiden Seiten gibt es unterschiedliche Möglichkeiten, dieser Erkenntnis entsprechend zu handeln und Veränderungen durchzuführen.

Wenn also Nachbarn Menschen sind, die durch lange gemeinsame kulturelle, geschichtliche und auch verwandtschaftliche Traditionen miteinander verbunden sind, dann haben solche Nachbarn Anrecht — im Sinne eines noch höherwertigen Rechts — auf menschliche Begegnung, daß sie sich wenigstens dort treffen, begegnen, miteinander sprechen und auch arbeiten können, wo sie Gemeinsames haben.

Man sollte sie nicht zum Zielpunkt individueller oder kollektiver Aggressionen werden lassen, die ihren Ursprung in eigenen Vorurteilen, manchmal auch in einem eigenen „historischen“ schlechten Gewissen haben mögen.

Begegnung mit dem Nachbarn heißt auch, es sich auch nicht leicht machen, sich immer wieder klar zu werden, was die eigenen unverzichtbaren Werte sind, und tolerant bei der Beurteilung von Unterschieden zu sein.

Ob aus diesen nachbarlichen Gesprächen, Kontakten und gemeinsamen Arbeiten eines Tages mehr werden kann, nämlich ein Miteinander-wieder-reden-Kön-nen der ganzen Systeme, wird die Zukunft weisen. Allein dieses Ziel zu erreichen, ist aber jede Anstrengung wert.

Der Autor ist Intendant des ORF-Landesstudios Niederösterreich.

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