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Der Dialog in Ungarn

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Unter Dialog versteht man in Ungarn die geistige Auseinandersetzung zwischen Marxisten und Christen zwecks Klärung der Möglichkeiten gemeinsamen Handelns.

Die Bedingung der Möglichkeit des Dialogs (übrigens der gesamten kirchlichen Tätigkeit) ist die Annahme der sozialistischen Gesellschaftsordnung und die Teilnahme der Christen am Auf-

bau dieser Gesellschaft. Dieses Programm selbst steht nicht zur Diskussion, wohl aber die Überlegung, inwieweit und unter welchen Bedingungen Christen daran teilnehmen können. Die ungleiche Position der Partner stellt eine Belastung für den Dialog dar, denn dieser hat eigentlich nur dann einen Sinn, wenn er nicht ein Modell, sondern ein Weg zur Praxis ist.

Tatsächlich zeichnen sich die Konturen eines solchen Weges ab. Wenn man bedenkt, daß vor noch gar nicht langer Zeit der mit administrativen Mitteln geführte Kirchenkampf an der Tagesordnung war, dann kann die heute angewandte Methode immerhin als eine positive Entwicklung angesehen werden.

Ferner muß man bedenken, daß es allmählich auch zu einer echten geistigen Auseinandersetzung zwischen Christen und Marxisten kommt. Theologen werden von kommunistischen Jugendorganisationen verschiedener Universitäten eingeladen, um ihre eigene gläubige Position zu erläutern. In zunehmender Zahl kommen sie in Fernsehen oder Rundfunk zu Wort, wo sie mit ihren marxistischen Partnern über aktuelle Probleme des Dialogs diskutieren, ihren Standpunkt bezüglich der letzten existenziellen Fragen erörtern, die widerstreitenden Grundlagen ihrer divergierenden Weltanschauungen vor der breiten Öffentlichkeit besprechen.

Das geistige Niveau des Dialogs kann als durchaus beachtlich bezeichnet werden. Auf marxistischer Seite ist vor allem das religionskritische Forschungsteam der Ungarischen Akademie der Wissenschaften zu erwähnen. Auch die Zurückdrängung der administrativen Vorgangsweise

in der Kirchenpolitik ist auf die 1966 begonnenen Vorarbeiten dieses Teams zurückzuführen.

Eine der grundlegenden Gegebenheiten des Dialogs stellt seine Unausweichlichkeit dar: Die Christen können nicht so etwas wie eine christliche Gesellschaft anstreben, sondern sie müssen versuchen, als Christen in einem sozialistischen Staat zu leben. Sie sind Christen, aber gleichzeitig Bürger eines marxistisch-atheistischen Staates, der den Atheismus mit jedem möglichen Mittel verbreitet. In allen Schulen wird der Atheismus indoktriniert, angefangen vom Kindergarten bis zum Universitätsstudium. Hinzu kommen die Massenmedien.

Andererseits haben die verantwortlichen Führer des Landes eingesehen, daß man — wie sie sagen—noch mit einem langen Fortbestehen der Religion rechnen muß, daß das entscheidende Wort in dieser historischen Auseinandersetzung noch nicht gesprochen ist. Mithin ist es eine beiderseitige Lebensnotwendigkeit, Voreinge-

nommenheiten, Vorurteile, Unduldsamkeit und Intoleranz abzubauen. Der Verlauf gegenseitigen Erfahrens muß auf die Ebene bewußt akzeptierter Verhaltensweisen gesetzt werden; es muß eine gegenseitige Vertrauensbasis geschaffen werden, schon aus dem einfachen Grunde, weil das kirchliche Leben sich nicht im Kampf um die Konflikte mit dem Staat erschöpfen darf und die Kirche genügend Energien aufbringen soll, am eigenen Aufbau zu arbeiten.

Es darf nicht vergessen werden, daß die Kirche nicht'nur den Dialog mit dem Marxismus mit. allen seinen Begleiterscheinungen führen muß, sondern sich auch mit den vielfältigen Aufgaben zu befassen hat, die sich aus dem allgemeinen Wertwandel unserer Epoche ergeben. Die Herausforderungen der letztgenannten Problemstellung wiegen viel schwerer als der gesamte Komplex der Kirchenpolitik.

Der Autor ist Professor an der Kath.-Theo-log. Akademie Budapest und Leiter des Kath. Glaubens-Fernstudiums in Ungarn.

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