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Der dicke Nurejew

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Leider muß ich gestehen, daß es in meiner kulturellen Interessenssphäre eine klaffende Lücke gibt. Ich bin kein - ich wiederhole - kein Ballettomane.

Ich bin mir völlig klar darüber, daß diese Enthüllungen mich zu einem ungebildeten, groben, den feinen Künsten abholden Klotz stempelt, aber ich muß diese schwere Last tapfer tragen. Denn junge Männer in enganliegenden Trikots lassen mich ebenso kalt wie dünne, muskulöse Mädchen, die in gestärkten „Tütüs" auf Spitzen einherschreiten.

Ich bewundere ihre akrobatischen Leistungen, ihre hohen Sprünge, ihre besessene Hingabe an die Muse Terpsi-chore und ihre eiserne Disziplin, aber von allen darstellenden Künsten sagt

Einige individuelle Darbietungen wie die der Pawlowa im „Sterbenden Schwan" oder von Serge Lifar im „Nachmittag eines Fauns" haben mich sehr beeindruckt, sogar berührt, aber leider bin ich zu sehr Realist.

Wenn der Premier Danseur mit knabenhafter Schüchternheit, tastend, die Hand der Primaballerina berührt und sie mit flatternden Händen, erschauernd vor der Nähe dieser Männlichkeit, zurückweicht, wenn er sie mit einer Hand hochhebt und auf steifem Arm triumphierend quer über die Bühne trägt, da setzt bei mir die Heiterkeit ein.

Vor ungefähr zwölf Jahren schleppte mich meine Frau zu der Vorstellung eines russischen Ballets. Das war eine armselige Provinztruppe, die versuchte, vor zahlendem Publikum ihren Beruf zu erlernen. Mir fiel dabei das Players Restaurant in Hollywood ein, wo allabendlich ein junger Mann auf einem Cembalo herumklopfte, sehr zum Verdruß der Gäste, die nach einer Beschwerde beim Oberkellner erfuhren, daß der klopfende Jüngling kein eigenes Cembalo besaß und daß sein Onkel,dem-das Restaurant gehörte, ihn dort üben ließ.

1924 wurde mir in Berlin eine Filmrolle angetragen, doch wollte die Produktion wissen, ob ich auch Ballett tanzen könne. Ich brauchte den Job damals dringend; also arrangierte ich schnell meine Füße in die zweite Position, machte einige wellige Armbewegungen, reckte den Kopf hoch und antwortet mit gönnerhaftem Lächeln, daß ich an der Wiener Oper die Ballettschule besucht hätte. (Was gar nicht gelogen war, denn im Alter von sieben Jahren mußte ich dort - drei Wochen lang - lernen, graziös zu werden.) Die Produktion war überglücklich!

Doch bevor ich den Vertrag unterschrieb, erkundigte ich mich vorsichtshalber, in welcher Reihenfolge der Film abgedreht würde. Als ich erfuhr, daß die Ballettszenen als letztes geplant waren, konnte ich unbesorgt unterschreiben, denn wenn die Leute soviel Film an einen Schauspieler verschossen haben, ist eine Umbesetzung fast unmöglich, weil der ganze Film wiederholt werden müßte. Ich klopfte auf Holz und schickte auf jeden Fall zehn Mark an den heiligen Judas Thaddäus, der Spezialist für verzweifelte Fälle ist.

Zwei Tage vor Beginn der Ballettproben „fiel ich die Treppe hinunter" und hatte „eine Muskelzerrung und große Schmerzen im Rücken". Nachdem die erste Welle der Bestürzung und Verzweiflung die Produktion überrollt hatte, engagierten sie für mich ein Double - einen Tänzer der Berliner Staatsoper, der ungefähr meine Figur hatte und dem sie eine blonde Perücke aufsetzten.

Er tanzte alles in Weitaufnahme, nur hie und da, meistens nach einem besonders spektakulären Entrechat, einem weiten Sprung oder einer Pirouette, kam ich in Großaufnahme, noch erhitzt von der Anstrengung, aber triumphierend über das soeben Geleistete.

Das war mein erstes Ballettergebnis! Mein zweites kam zweiundvierzig Jahre später, als man mich engagierte, den Doktor Coppelius in dem gleichnamigen Ballettfilm zu „tanzen". Ich wog hundertzweiundzwanzig Kilo, ein gütiges Nilpferd, dem eine graziöse Seele innewohnte. Natürlich parodierte ich die Rolle, übertrieb schamlos und hatte unendlich viel Spaß. Seit diesen Tagen war ich in Ballettkreisen als der „dicke Nurejew quot; bekannt.

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