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Der Dolchstoß für den Präsidenten

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Von allen einstigen Satellitenstaaten des Kreml hatte nach der Befreiung die spätere CSFR mit Abstand in der westlichen Welt die beste Presse. Der „Prager Frühling", der persönliche Widerstand zahlreicher Intellektueller, die Gründung der „Charta 77" und immer wieder das mutige aktive Verhalten Vaclav Havels hatten mehr als zwei Jahrzehnte lang internationales Aufsehen und schrankenlose Bewunderung erregt.

Während der Perestrojka unter Michail Gorbatschow und der „sanften Revolution" in Prag war dann dieser Schriftsteller zum Staatspräsidenten ernannt worden. Hier hatte die Geschichte, wie es schien, nach einem Textbuch gearbeitet, das kein Theaterstück effektvoller hätte zeigen können: Der Dramatiker, der humanistische Schriftsteller, der - seinem politischen Engagement folgend, das ihm mehrere Kerkerstrafen eingebracht hatte - nun nicht mehr an den friedlichen Schreibtisch zurückkehrt, sondern den Ruf, erster Mann seines Staates zu sein, annimmt.

Triumphale Reisen nach Paris, nach den USA, Begegnungen mit den wichtigsten Staatsmännern der

westlichen Welt und den neuen Politikern im Osten schienen den neuen Zeitgeist siegreich und überaus anschaulich zu zeigen. Alle Massenmedien, voran das Fernsehen, waren mit dabei. Der Dramatiker konnte nicht nur mehrere Preise entgegennehmen, er hielt an wichtigen politischen Schauplätzen exzellente Reden, machte beste Figur als verhältnismäßig junger Mann in neuer großer Verantwortung.

" Alle Welt freute sich an ihm, sah in ihm ein Beispiel hervorragender charakterlicher Haltung und erstaunlicher staatsmännischer Intelligenz. Auch der Sinn für dramatische Effekte hatte ihn nicht verlassen, er wußte auf der großen Weltbühne eindrucksvoll aufzutreten und er vergaß auch nicht, auf dem Hradschin durch das allmittägliche Aufmarschieren einer bunt kostümierten Wache eine breiter wirksame Attraktion zu bieten. Ein Fürst Karl Schwarzenberg, bisher wohnhaft in Wien, wurde Vaclav Havels Kanzler, ein Stab künstlerisch getönter Individualisten wurden seine Berater.

Der heimtückische Schlag aus Preßburg könnte ebenso wie der leuchten-

de Aufstieg dem Text eines Theaterstücks entsprungen sein. Die politische Intrige war lange und gleichsam im Schoß der Geschichte vorbereitet worden. Wer hatte im wunderbaren Licht der Freiheit an den alten, doch längst Geschichte gewordenen Zwist ernsthaft gedacht? Bedeutete nicht die gemeinsame und sehr aussichtsreiche Zukunft viel mehr als die alten Querelen der Vergangenheit?

Die Intrige traf. Sie traf nicht nur Vaclav Havel, sondern das Land CSFR in den Rücken. Gibt es das gleiche Vertrauen der westlichen Welt wie für die CSFR mit Vaclav Havel an der Spitze auch für, ja, wie wird das nur h#ißen, die Tschechen und die Slowaken als getrennte Länder? Ist der große Glanz, der Zauber, die herrliche Aufbruchstunde der Geschichte damit vorbei? Werden die Kredite, die bisher für die CSFR getroffenen Vereinbarungen nun weiterhalten? Und wie?

Vaclav Havels neues Buch „Sommermeditationen" (Rowohlt 1992) ist voller Melancholie, voller Sorge, dem nur die Trauer des Lesers entsprechen kann. Welche Tücken wird die Zukunft noch enthalten?

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