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Der Doppelgänger

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Er konnte sich nicht mehr mit Sicherheit daran erinnern, wann er zum erstenmal den Verdacht geschöpft hatte, in der Stadt einen Doppelgänger zu haben. Vielleicht war dies damals, als ihn im Park ein völlig unbekanntes Weibsbild ansprach und behauptete, sie wären letzten Samstag für ein Treffen verabredet gewesen. Oder als ihn der Zeitungsverkäufer am Eck fragte, warum er an einigen Tagen zwei Exemplare ein und derselben Zeitung kaufe, das erste in der Früh, das zweite zu Mittag. Seinen unangenehmen Verdacht bestätigte dann endgültig eine Fotografie, die er in der Auslage eines versteckten Fotoateliers gesehen hatte. Sie zeigte einen Mann, der ihm aufs Haar glich. Wäre dieser nicht mit einem karierten Rock bekleidet, den er sein Lebtag nicht besessen hatte, würde er wetten, daß es ein Bild von ihm sei.

Die Einsicht, daß irgendwo in seiner unmittelbaren Nachbarschaft sein Doppelgänger lebt, erfüllte ihn mit unbeschreiblichem Schrecken. , Wer weiß, ob sich dieser Mensch dessen bewußt ist? Vielleicht nützt er diese Ähnlichkeit schon längere Zeit gewinnbringend aus? Doch wie? Natürlich: Er gibt sich für ihn aus, er erpreßt seine Freunde, möglicherweise betrügt ihn sogar während seiner Dienstreisen seine ahnungslose Frau mit ihm. Sprach sie das letztemal nicht von einem gemeinsamen Ausflug in den Bergen, obwohl er überzeugt ist, sie nicht begleitet zu haben. Klar: Sie ging mit dem Doppelgänger.

Von nun an kannte sein Leben keinen einzigen ruhigen Augenblick mehr. Wie ein Verrückter irrte er jeden Tag vom frühen Morgen bis tief in die Nacht durch die Straßen und suchte ihn. Er wollte der Sache auf den Grund kommen. Er meinte, es würde sich alles schlagartig klären, wenn sie miteinander redeten. Er würde ihm in die Augen blicken und ihn fragen: Wer bist du? Wer war dein Vater? Und die Mutter? Warst du immer so? Hast du auf der rechten Wange eine Warze? Womit beschäftigst du dich? Bist auch du ein Bankbeamter?

Liebst du Erdbeeren mit Schlag? Bist du verheiratet? Wie ist deine Frau? Auch rothaarig? Kennst du meine Frau? Und er würde ihm noch hundert ähnliche Fragen stellen.

Doch es hatte den Anschein, daß sich der Doppelgänge vor ihm geschickt versteckte. Denn stets entwischte er ihm, obwohl er ihm schon mehrmals auf die Spur gekommen ist.

Als er bereits jede Hoffnung verloren hatte, ihn überhaupt jemals zu sehen, begegneten sie einander unerwartet im Kino. Er kaufte an der Kassa die Eintrittskarte für die Nachmittagsvorstellung. Sodann ging er auf den Eingang zu. Er erblickte sich im Spiegel. Unwillkürlich fuhr er mit der Hand in die zerzausten Haare, um sie zu richten. Doch das Spiegelbild hob die Hand nicht. Da bemerkte er, daß seine Haare gekämmt waren und daß es neben dem Eingang überhaupt keinen Spiegel gab. Dort stand sein Doppelgänger im dunklen Rock und mit heller Hose, gekleidet wie er. Er stürzte auf ihn zu, doch zwischen ihnen stand eine breite Menschenmauer. Mit Gewalt bahnte er sich unter Verwendung der Ellbogen seinen Weg durch die Menge. Seinen Kopf beherrschte nur der eine Gedanke: Ich muß ihn erreichen! Ich muß ihn erreichen! Ich muß ihn erreichen!

Noch einen Schritt oder zwei und ... Dann ging das Licht aus und der Billeteur öffnete die Saaltür. Der Strom der Menschen floß in eine neue Richtung. Reflexartig streckte er die Arme nach vorne und faßte den Doppelgänger beim Kragen. Er befreite sich, aber er packte ihn wieder. Eine Zeitlang rangen sie in der Dunkelheit miteinander, bis das Licht wieder brannte. Der Mann, mit dem er im Finstern raufte, war nicht sein Doppelgänger. Er war viel kleiner als er und ihm ganz und gar nicht ähnlich. Inzwischen machte sich der Doppelgänger das Durcheinander zunutze und verschwand. v

Enttäuscht ging er nach Hause. Die Frau bemerkte schon beim öffnen der Tür, daß etwas vorgefallen war.

„Wo warst du?" fragte sie ihn.

„Nirgends", antwortete er.

„Komisch", sagte die Frau, „wie du von daheim fortgegangen bist, hattest du keine Krawatte."

(Von dem slowenischen Satiriker sind bereits mehrere Satirenbänd-chen erschienen, außerdem hat er kürzlich in Wien und in Klagenfurt Theaterregie geführt; die Übertragung des „Doppelgängers" aus dem Slowenischen stammt von Feliks J. Bister.)

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