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Der doppelte Flaschenhals

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In der Tat ist der „doppelte Flaschenhals“, ein von Gerhard Ortner, dem Direktor des Instituts für Bildungs-Betriebslehre am nordrhein-westfälischen Zentrum für Bildungsforschüng, vorgeschlagener Begriff, charakteristisch für die geradezu'pathologische Situation der gegenwärtigen Bildungspolitik in der Bundesrepublik Deutschland. Die weitgehend unkorrigierbare Einhahnstraße Gymnasium führt in ein aufgeblähtes Gesamthochschulwesen, weiter in eine im Beschäftigungssystembereich absehbare sektorale Akademikerarbeitslosigkeit. Dieses theoretisch wie politisch offensichtlich bislang nicht lösbare Problem war auch der Aufhänger einer eben zu Ende gegangenen Expertentagung zu sozio-okonomischen Problemen der Planung und Steuerung im tertiären Bildungsbereich,-das heißt im Klartext: zur gegenwärtigen Hochschulmisere. Es ist abzusehen, wann diese Fragen mit allen Konsequenzen auch in Österreich hereinbrechen.

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In der Tat ist der „doppelte Flaschenhals“, ein von Gerhard Ortner, dem Direktor des Instituts für Bildungs-Betriebslehre am nordrhein-westfälischen Zentrum für Bildungsforschüng, vorgeschlagener Begriff, charakteristisch für die geradezu'pathologische Situation der gegenwärtigen Bildungspolitik in der Bundesrepublik Deutschland. Die weitgehend unkorrigierbare Einhahnstraße Gymnasium führt in ein aufgeblähtes Gesamthochschulwesen, weiter in eine im Beschäftigungssystembereich absehbare sektorale Akademikerarbeitslosigkeit. Dieses theoretisch wie politisch offensichtlich bislang nicht lösbare Problem war auch der Aufhänger einer eben zu Ende gegangenen Expertentagung zu sozio-okonomischen Problemen der Planung und Steuerung im tertiären Bildungsbereich,-das heißt im Klartext: zur gegenwärtigen Hochschulmisere. Es ist abzusehen, wann diese Fragen mit allen Konsequenzen auch in Österreich hereinbrechen.

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Die Teilnehmer, namhafte Bildungsökonomen, Exponenten der Wissenschaftsverwaltung, der Hochschulpraxis und des Bildungsjournalismus der Bundesrepublik und Österreichs, sprachen ohne Reform-rethorik oder Festschriftmanier aus, was bisher nur hinter vorgehaltener Hand geflüstert wurde. Denn die Bildungsreform rollt nicht mehr — sie ist steckengeblieben, gescheitert an den Fehlern ihrer Protagonisten, dem Opportunismus der Politiker, dem Unmut der Steuerzahler und nicht zuletzt an den knapper werdender Finanzen. Die weltweite Stagflation, das heißt ein gegen Null tendierendes Wachstum bei permanenter Inflation, hat finanziell expansive Konzepte, wie den aus vielerlei Gründen fragwürdigen Bildungsgesamtplan, endgültig in Frage gestellt.

Chancengleicheit, einst ideologisches Legitimationstriebwerk der Bildungsreform, gilt heute selbst bei sozial-liberalen En'tscheidungsträ-gern bestenfalls als Juso-Reizwort. Der Widerspruch zwischen dem verfassungsmäßig garantierten Recht auf Bildung sowie freie Berufswahl und dem Numerus-clausus-Urteil des deutschen Verfassungsgerichtes angesichts der kaum erweiterbaren Ausbildungskapazitäten gibt dem verantwortlichen Sozialstaat über das Budgetrecht hinaus derzeit nur die Zulassungsbeschränkung als Steuerungsinstrument in die Hand. Verfolgt man die gegenwärtige Hochschulkapazitätsdiskussion, so kommt man zur bedrückenden Erkenntnis, daß die Kapazitätsangabe der Universitäten zumindest teilweise auf „Kartellabsprachen“ zwischen den einzelnen Fachvertretern beruhen, was das ohnehin mißtrauische Verhältnis zwischen Hochschulen und Wissenschaftsverwaltung nur noch verstärkt. Da im Gegensatz zu Österreich in der Bundesrepublik juristisch abgesicherte Studienordnungen ebenso fehlen wie ein erzwingbares Lehrangebot innerhalb festgelegter Regelstudienzeiten, wird das Gesamtsystem schlechthin irrational. Darüber hinaus ist es evident, daß sich der beträchtliche Finanzzuwachs und der Zuwachs an personeller Kapazität in den letzten Jahren innerhalb des Hochschulsystems kaum positiv auf die Qualität von Lehre und Forschung auswirken konnte. Ein Großteil dieses Kapazitätszuwachses wurde von der Verwaltung, Hoch-schulentwicklungsplanung, Beantra-gungs- und Zuteilungsprozeduren und nicht zuletzt in „Mitbestimmungsgremien“ ineffektiv absorbiert. Die gestiegene Sensibilisierung der Hochschullehrer für ihre Rechte auch an einer Universität, die keine Ordinarienuniversität mehr ist, führt laufend zu neuen Konflikten, die umständliche Verwaltungsprozeduren zur Folge haben. Angesichts der Persönalentwicklung im Zusammenhang mit der umstrittenen Integration von Fachhochschulen in das Gesamthochschulsystem muß man sich die Frage stellen, ob nicht überhaupt die Bildungsreform ihre Kinder gefressen hat. Es ist zu befürchten, daß diese „Hochschulreform“ zu Lasten der Studienreform lediglich einer statusbewußten Gruppe von Fachhochschulpädagogen den Aufstieg zum Titular-„Professor“ verholten hat. Diesen „Discount-Professoren“ kann man in bezug auf ihre wissenschaftliche Gesamtquali-fikation bestenfalls zynisch „Forschungsvermutung“ zubilligen.

Es ist ernsthaft zu bezweifeln, daß die heutige Universität, die sich weitgehend als Stätte der Berufsausbildung verstehen muß, noch hinreichend Raum für qualitativ hochstehende Forschungsarbeit zu bieten imstande ist. Die Existenz zahlreicher privater oder privat-rechtsähnlicher Forschungsinstitutionen scheint zu bestätigen, daß das Hochschulsystem seiner traditionellen Aufgabe, qualifizierte Forschung zu betreiben und dabei Forschernachwuchs heranzubilden, nicht mehr voll gerecht wird.

Die Hochschulautonomie, neben dem materiellen Prinzip der Freiheit von Forschung und Lehre bislang nicht angetastete heilige Kuh, ist beträchtlich ins Wanken geraten. Angesichts des objektiven Versagens der einzelnen Hochschulen wird der Ruf nach mehr staatlicher Autorität und Steuerung immer lauter. Ein System mit zentralistischer Wissenschaftsverwaltung wie in Österreich hat dabei entschiedene Vorteile. Der kooperative Föderalismus hingegen hat sich in der Hochschul- und Wissenschaftspolitik der BRD als Hemmschuh erwiesen, zumal nicht die Zuständigkeit eines bestimmten Landes, sondern die durch die Länderkompetenz bloß vermittelte Zuständigkeit relativ stabiler politischer Parteien etwa die Ausrichtung des Hochschulrahmengesetzes entscheidet. Eben diese parteipolitischen Frontstellungen in bestimmten Fragestellungen, zum Beispiel kooperative oder integrierte Gesamthochschule, würden auch entsprechenden Zentralisierungsmodellen eher noch schlechtere Chancen geben, da sie in einem zentralen System um so konzentrierter auftreten würden. Trotz großer Skepsis gegenüber dem Staat, der Hochschulpolitik derzeit eher mit Unlust betreibt, die Finanzierung zurückschraubt und bislang teils aus mangelnder Neigung, teils auch aus mangelnder Kompetenz auf weitgehende Planungs- und Steuerungskompetenz verzichtete, scheinen die Hochschulen heute von sich aus bereit, von ihrem traditionellen Autonomiefetischismus abzurücken. Das heißt aber letztlich nichts anderes, als daß sie damit versuchen, die Schuld für das zu erwartende Dilemma insgesamt dem Staat zuzuschieben.

Zahlen und Fakten zeigen das Ausmaß des Dilemmas, Etwa 130.000 D-Mark kostet den Steuerzahler heute im Durchschnitt das Studium eines staatlich voll geförderten Studenten. Allein auf Grund der institutionell bedingten längeren Studienzeit muß der Steuerzahler gegenwärtig im Durchschnitt pro Studium mehr als 7000 D-Mark mehr als 1971 aufbringen. Insgesamt 3,85 Milliarden D-Mark sind im Bundeshaushalt 1974 für Bildung und Wissenschaft vorgesehen, wobei allein auf das Kapitel „Hochschule und Wissenschaft“ 2,43 Milliarden D-Mark entfallen. Dennoch ist bereits abzusehen,' daß die 'für das Hochschulsystem bereits geleisteten beziehungsweise die in der mittelfristigen Finanzplanung schon vorgesehenen Aufwendungen nicht ausreichen werden. Nach den Berechnungen der Zentralstelle für die Vergabe von Studienplätzen in Dortmund wird sich die Lücke zwischen den verfügbaren Studienplätzen und der Zahl der Studierwilligen noch weiter vergrößern. Bereits 1978 muß mit etwa 1,1 Millionen Studenten bei 800.000 Studienplätzen gerechnet werden. Allein schon von der Kapazität her scheint das Verhängen eines totalen Numerus clausus spätestens ab 1975 die einzige „Lösung“. Denn Bund und Länder haben festgestellt, daß die langfristigen Zielvorstellungen der Bund-Länder-Kommission notwendigerweise eine Begrenzung des Hochschulausbaues bedeuten und daß ein Überschreiten dieser Begrenzung auch im Hinblick auf die Notwendigkeit des Ausbaues anderer Bereiche nicht vertretbar ist.

Am Bedarf vorbei erfolgt bereits derzeit die Hochschulausbildung — und zwar sowohl in quantitativer als auch in qualitativer Hinsicht. Die Absorptionskapazität der Wirtschaft ist erschöpft. Ein großer Bedarf an Hochschulabsolventen durch einen Ausbau von Stellen für wissenschaftlich qualifizierte Arbeitnehmer ist nicht abzusehen, für den laufenden Ersatzbedarf ist gesorgt. Ein anderes Disaster zeichnet sich in der Lehrerbildung ab. Der sogenannte Pillenknick, der sich bei den Stu-den'tenzahlen erst ab 1985 spürbar auswirken wird, wird bei den Grund- und SekundarschulJahrgängen bereits ab 1975 zu einem rapiden Absinken der Schüler- und Klassenzahlen führen. Die Zielzahlen für die Lehrerausbildung sind bereits jetzt beträchtlich überschritten. Nur noch bei Sonderschullehrern und Berufsschullehrern besteht ein Mangel. Nach einer Prognose der Länder-finanzminister soll der Lehrermangel spätestens 1978 abgebaut sein. Die Finanzminister der Länder erwarten für die anschließenden Jahre bei unverändertem Trend (Abnahme der Schülerzahlen und zunehmendes Interesse am Studium für den Lehrerberuf) einen rasch wachsenden Überschuß an Lehramtsbewerbern. Diese Prognose ist von verschiedenen Seiten, unter anderen der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft und dem Deutschen Lehrerverband, heftig angegriffen worden. Jedoch auch diese Lobbies werden lernen müssen, daß der öffentliche Dienst nicht unbeschränkt erweiterbar ist. Auch eine Kompensation des rückgängigen Lehrerbedarfs wird voraussichtlich keine überproportionale Erhöhung der Akademiker im Staatsdienst ermöglichen, da ihr Anteil schon jetzt bei 70 Prozent liegt. Es geht also nicht nur um die Bewältigung des Studentenberges, sondern es werden auch beträchtliche arbeitsmarktpolitische Schwierigkeiten auf das Beschäftigungssystem zukommen. Der Gleichheit der Bilsdungschancen sind Grenzen gesetzt; diese sind bereits erreicht, das postulierte „Grundrecht auf Bildung“ dürfte in naher Zukunft eher in einen garantierten „Anspruch auf strukturelle Arbeitslosigkeit“ umschlagen. Das heißt, es wird breiten Schichten der heute Studierenden nicht mehr gelingen, eine ihrer Ausbildung angemessene Position in Wirtschaft und Gesellschaft zu erreichen. Das heißt aber auch, daß sich für die beruflichen Erwartungen und Möglichkeiten der Studierenden erhebliche Konsequenzen ergeben, der Abstand zu den übrigen Berufs- und Statusgruppen für Hochschulabsolventen künftighin immer geringer werden wird. Schließlich heißt das auch, daß sich der Leistungswettbewerb in Schule, Hochschule und Berufsleben verschärfen, wird und daß die Strategie derjenigen, die durch Demokratisierung die Leistungsgesellschaft zu überwinden hofften, nach hinten losgegangen ist.

All das scheint nur zögernd im öffentlichen Bewußtsein Eingang zu finden. Die Bildungsökonomen, deren Prognosen und Modelle von neomarxistischer Seite als untauglicher Versuch abqualifiziert wurden, die inneren Widersprüche der kapitalistischen Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung zu überwinden, sind mit dem Hinweis auf methodische Unzulänglichkeiten bislang nicht genügend ernst genommen worden. Es drängt sich der Verdacht auf, daß der methodische Fortschritt von praktikablen Planungsmethoden und Steuerungsmodellen zumindest partiell einem an kurzfristigen Erfolgen interessierten parteipolitischen Opportunismus zum Opfer gefallen ist. Angesichts dieser Tatsachen gewinnt der radikale Vorschlag des bekannten Personalberaters Ludwig Kroeber-Keneth, alle Hochschulen für geraume Zeit zu schließen, an Attraktivität. Die Wissenschaftsver-wal'tung hätte in dieser Zeit Gelegenheit, durchdachte Planungs- und Steuerungsmodelle zu entwickeln.

Ist das also die Lösung? Oder braucht es vor allem des Umden-kens? Die Zeit jedenfalls drängt.

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