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Der Einsame

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Aladin, Held eines orientalischen Märchens, beschäftigt Ernst Jünger seit langem. Schon in seinem Buch „Subtile Jagden“ taucht er auf: eine Figur, deren Wesen und Schicksal menschliches Glück und Leid gleichnishaft spiegelt.

Solche Gestalten sind niemals eindeutig. Ihr Wesen ist die Schöpfung einer geduldigen, an ihrem Werk Jahrhunderte hindurch feilenden kollektiven Phantasie. Nicht ein einzelner, sondern eine ganze Gemeinschaft schafft sich ein Ebenbild; der Vielzahl der Märchenerzähler entspricht die Zahl der Bezüge, die den mythischen Helden als eigenes Kraftfeld umgeben.

Jüngers Erzählung schildert nicht Aladins Abenteuer, sondern das Leben eines Mannes, oder, besser gesagt, einep besonderen, utopisch anmutenden Punkt in diesem Leben. Auf diesen Punkt hin scheint sich alles zu bewegen: der Dienst eines schlesischen Edelmannes in der polnischen Volksarmee, seine mühelose Flucht ins westliche Deutschland, seine Beschäftigung zunächst im Dienst eines Bestattungsunternehmens und dann im Zeichen eines erneuerten, gigantischen, in die Urzeit zurückführenden Totenkultes: ein Weltfriedhof wird errichtet.

Das geistige Ziel kann allerdings nicht erreicht werden. Die Wirklichkeit ist stärker. „Bald deutete sich an, daß die ,Terre- stra’ auswucherte“, schreibt Jünger. „Reisebüros für die Lebenden wurden umfangreicher als jene für die Gestorbenen.“ Hotels, Tischler- und Steinmetzwerkstätten entstehen, Banken und Bürohäuser werden errichtet, ein zentraler Flughafen wird angelegt. „Ich hatte an eine Nekropole im Weltstil gedacht, an ein Gestade für Charons Nachen … Auf dem Totendienst beruht die Kultur; sie schwindet mit dem Verfall der Gräber — oder, besser gesagt: dieser Verfall kündet an, daß es zu Ende geht.“ Die Nekropole im Weltstil, erdacht in der Absicht, die Kultur zu retten, wird — in unserer Zeit — zum großen Geschäft. Das Vorhaben mißlingt, denn es gelingt zu gut. Das geistige Anliegen scheitert an der technischen Perfektion und an der Umsicht der ökonomischen Berechnung.

Der Herr aus Schlesien, der in der polnischen Volksarmee eine einfältige Spielart des totalen Ma terialismus kennengelernt hat, erlebt iip Westen eine subtilere, dafür aber umfassendere, zudem auch noch vital wuchernde Macht des gleichen Materialismus.

Hier taucht dann Aladins Problem auf.

„Aladin war der Sohn eines Schneiders in einer der zahllosen Städte Chinas, ein verspielter Knabe — doch nur er konnte den Schatz heben.“ Jemand, ein gewöhnlicher Mensch, sieht sich plötzlich den Aufgaben eines besonderen Lebens gegenübergestellt. Er sieht sich gezwungen, in geistige Dimensionen vorzustoßen. „Natürlich werden wir mißtrauisch, wenn einer eintritt und uns einen Blankoscheck anbietet. Das ist ein großes Thema der Märchen, der Sagen und der Religion. Es geht um die Entscheidung zwischen innerer und äußerer, zwischen geistiger und realer Macht, schlechthin um das Heil.“

Warum kann Jüngers Held dieses Heil nicht erreichen?

Er ist ein Strebender, aber zugleich auch ein Verlorener. „Die

Ahnen sitzen tiefer, als man denkt.“ Diese Ahnen bewegen vieles. Sie machen es zur schönen, ja zur beglückenden Pflicht, auch unter beschwerlichen Umständen eine gewisse Haltung zu wahren. Zugleich ist in ihrem Untergang auch das zukünftige Scheitern späterer Generationen vorgezeichnet. „Es gibt eine Grenze“, schreibt Jünger, „an der die Moral der Aktion nicht mehr innewohnt, sondern sich von ihr zu lösen und sie zu schwächen beginnt. Zugleich verblaßt das Charisma.“ Jünger meint den Niedergang des Adels. Dem Leser ist es unmöglich, bei diesem Satz nicht auch an den Verfall der geistigen Kraft unserer politischen Parteien zu denken. „Wir leben in Zeiten“, schreibt Jünger, „die des Kunstwerks nicht würdig sind; wir leiden ohne Entschuldigung.“

Die Rettung liegt in solchen historischen Augenblicken nicht bei den organisierten Gruppen, sondern allein bei den einzelnen Personen. Jüngers Ich-Erzähler formuliert es kompromißlos:

„Ich bin kein Liberaler — wenigstens nicht in dem Sinne, daß man sich dazu zusammentun und abstimmen muß. Die Freiheit trägt man in sich; ein guter Kopf verwirklicht sie in jedem Regime. Als solcher erkannt, kommt er überall voran, passiert jede Linie. Er geht nicht durch die Regime, sie gehen durch ihn hindurch, hinterlassen kaum eine Spur. Er kann sie entbehren, sie ihn aber nicht.“

Das widerspricht der heute vorherrschenden Meinung, ist vielleicht auch nicht als Lehre des Autors, sondern als Überzeugung des Ich-Erzählers formuliert. Dieser muß ja dann die Pervertierung seiner Idee erleben. Der „gute Kopf“, der die Freiheit in sich trägt, scheitert geistig am Erfolg seines Weltfriedhofes „Terre- stra“.

Ernst Jünger ist, wie übrigens auch Bert Brecht, zur Symbolfigur einer ganz bestimmten Weitsicht geworden. Man tut beiden Schriftstellern Unrecht, wenn man in ihnen nur Galionsfiguren einer politischen Richtung sieht. Beide sind einsamer und größer als man gemeinhin denkt; Brecht macht es uns allerdings schwieriger, ihn vom wohlorganisierten Lager seiner Bewunderer zu trennen. Jüngers Einsamkeit ist tiefer.

ALADINS PROBLEM. Von Ernst Jünger. Klett-Cotta, Stuttgart, 1983. 122 Seiten, öS 246,—.

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