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Der einsame Herrscher

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Als er in gesegnetem Alter dem anstürmenden Tode erlag, hinterließ der letzte große Habsburger eine in voller Blüte stehende Kultur, die erst unter dem blutigen Marschtritt nahezu der gesamten Weltmächte zu Teilen zerfiel.

Ferne nostalgischer Verklärung oder haßerfüllter Ablehnung weist Franz Josephs jüngstes biographisches Porträt durch den französischen Geschichtsforscher Jean Paul Bled auf ein an Ereignissen und Spannungen reiches Leben. Zugleich skizziert es vorsichtig und in groben Zügen das vielfältige Panorama einer Blütezeit mitteleuropäischer Kultur, die nach dem Abstreifen des Met-ternichschen Korsetts zu ungeahntem, kraftvollen Leben erwachte.

Franz Joseph gelang es niemals, die beiden tragenden Elemente des 19. und wohl auch 20. Jahrhunderts, Romantik und Realismus, massenaufrüttelndes Charisma und eiskalte Pragmatik zu vereinen. Seine Persönlichkeit, allem

Extremen abhold, war allzu geschlossen, bedächtig, fast aus Biedermeier-Holz geschnitzt. Dies bleibt, im persönlichen Leben wie im weltpolitischen Wirken, die Ursache großer, sich frühzeitig anbahnender Tragik. Es zeugt von meisterhafter Federführung, wie Jean-Paul Bled die Parallelaktion des Scheiterns darzustellen weiß: ein Scheitern, das den schlichten Charakter des großen Fürsten mit sanfter Wehmut bedeckt, doch niemals gebrochen hat.

Auch deshalb hält dieser Genius mit dem Habitus eines stillen Privatmannes, dieser Held als korrekter Beamter jedem Vergleich mit den gekrönten Häuptern seiner Zeit stand. Die Haltung Franz Josephs war angemessen genug, eine Zeit epochalen Umbruchs und vielfacher sozio-

kultureller Destruktion bürokratisch-sorgsam zu beschwichtigen, das Gesamtstaatsinteresse mit den berechtigten demokratischen Bewegungen zu vereinen, Innovation mit Tradition (welche der Autor besonders herausstreicht) zu synthetisieren.

Wo dieser Kaiser fehlte, da fehlte er als „Treuester der Treuen“, dessen naiver Glaube an formale Rechtlichkeit ihn - ob im Konflikt mit Preußen oder mit dem Ungarn der dualistischen Konstruktion — um die Früchte seiner politischen Anstrengungen betrog. Was sein Wirken hinterließ, wächst als einigendes Bewußtsein in seinen, heute durch fremde Interessen entzweiten Völkern fort. Den Blick für diese Zusammenhänge geschärft zu haben, ist das bleibende Verdienst Jean Paul Bleds, dessen lebhafter Geist die Lektüre seines jüngsten Werks zur Freude macht.

FRANZ JOSEPH. DER LETZTE MONARCH DER ALTEN SCHULE. Von Jean Paul Bled. Böhlau-Verlag, Wien, Köln. Graz 1988. 617 Seiten, geb.. öS 476.-.

Freitagmorgen, nach dem Aufwachen, versuchte er seinen Traum ins Gedächtnis zurückzurufen, doch nur ein Bild tauchte ständig auf; er, auf einer leeren Straße vorwärtsrennend, ohne von der Stelle zu kommen. Er schreit und bringt keinen Laut hervor.

Die noch zur Hälfte gefüllte Kaffeetasse setzte er auf den Tisch zurück, er hatte heute nicht den üblichen Appetit auf ein ausgiebiges Frühstück, sondern stand auf und ging zur Garderobe. Als er seinen Mantel überzog, spürte er den Wunsch, einfach zu verschwinden, nicht mehr da zu sein, für die Familie und seine Kollegen.

Das verdutzte Gesicht seines Chefs, wenn man ihm sein Fernbleiben begreiflich zu machen versuchte: Nein, Gründe wisse man nicht—ja, bis zum letzten Tag hat er die Arbeit zuverlässig erledigt. Er stellte sich die aufgeregte Stimme seines Vorgesetzten vor, wenn die ersten Mutmaßungen laut wurden, bemerkte im Spiegel sein Lächeln und hörte auf, sich diese Situation auszumalen.

In der Straßenbahn mußte er eine Tablette gegen Kopfschmerzen schlucken und wußte immer noch nicht, ob es günstig wäre, das zurückzunehmen, wovon er nicht wußte, ob es ihm zum Vorwurf gemacht wurde - ja, sich nicht einmal sicher war, ob er in dieser Angelegenheit damals so gehandelt und entschieden hatte, wie er es sich jetzt einbildete.

Er kam zu keinem Ergebnis, auch nicht im Arbeitszimmer, wo die Kopfschmerzen zunahmen, alle Buchstaben auf den Blättern hin und her schaukelten, bis auch der Schreibtisch vor ihm zu schwanken begann.

Der Arzt verordnete eine dreiwöchige Schlafkur, zirka eine halbe Stunde vor dem Gespräch. Wegen Uberanstrengung, schrieb er auf den Befund und dachte, muß es denn erst soweit kommen, daß sie umkippen.

„Schade“, sagte ein Kollege, „gerade an dem Tag, an dem man ihm die neue Stelle anbieten wollte.“

„Pech“, sagte ein Kollege, „und es sollte eine Überraschung sein.“

„Tja“, ergänzte der erste, „gar nicht so leicht, jetzt einen zu finden, der diese Beförderung auch als Auszeichnung ansehen wird.“

Die Erzählung wird im neuen Novellenband des DDR-Autors mit dem Titel „Mit dem Schlimmsten wurde schon gerechnet“ im Piper Verlag, München, erscheinen.

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