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Der Einsame im Elysée

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Der amtierende Staatspräsident Frankreichs, Giscard d’Estaing, hat des öfteren die Hypothese vertreten, die 5. Republik wünsche von der „Mitte“ regiert zu werden. Seit Giscard d’Estaing die Nachfolge des tragisch verstorbenen Georges Pompidou angetreten hatte, versuchte er, alle jene liberalen Kreise zu gewinnen, die mit Reformen einverstanden sind, eine Änderung der gesellschaftlichen Strukturen aber entschieden ablehnen. Sein Vertrauter, der Innenminister Poniatowski, hat viel Energie darauf verwendet, innerhalb der Regierungsmajorität ein Gleichgewicht zwischen den Anhängern des Staatspräsidenten im engeren Sinne und der gaullistischen Sammelpartei UDR, jetzt RPR, zu schaffen. Wenn man die Ergebnisse der Kommunalwahlen des 13. und 20. März eingehender analysiert, wird man entdecken, daß es gerade die seit Jahrzehnten auf die Politik des Landes einwirkenden Zentrumsparteien waren, die geschlagen wurden.

Denn wie immer man die Ergebnisse dieses Urnenganges dreht und wendet - man muß zur gleichen Schlußfolgerung gelangen: die Linksparteien haben einen Wahlsieg errungen, der in diesem Umfang von keinem der hurtigen Meinungsforschungsinstitute vorausgesagt worden war. Zwischen dem ersten und dem zweiten Wahlgang vermochte die Linke weitere Wählermassen zu mobilisieren und triumphierte schließlich in außergewöhnlich konservativen Regionen, wie etwa in der Bretagne. Das politische Paris bemüht sich, nach dem Bekanntwerden der Teilergebnisse, jene Schlußfolgerungen zu ziehen, die dem Willen einer eindeutigen Mehrheit der Wähler entspricht. Es ist notwendig, die Gründe zu untersuchen, die dieses Debakel ausgelöst haben.

Sicherlich haben die Ratgeber des Staatspräsidenten, wie auch die Experten im Regierungslager, ein wichtiges Faktum übersehen: die Generation der Dreißigjährigen steht im Vorhof der politischen Macht und will nicht nur angehört werden, sie wünscht auch, auf die Gestaltung des täglichen Lebens aktiv Einfluß nehmen zu können. Die Linksparteien haben dieses Phänomen schneller begriffen als die bisherige Majorität. Mit terrand konnte zahlreiche sozialistische Kandidaten vorweisen, die der zitierten Altersklasse angehören. Auch die vielgenannten „Grünen Listen“ der Umweltschützer haben bewiesen, daß die Jungwähler, sobald sie echte politische Entscheidungen treffen müssen, in den linken Oppositionsparteien eine ideologische Heimat finden.

So kam es in manchen Städten zu einem heftigen Wahlkampf zwischen den Notabein und den jungendlichen Sprechern der Sozialisten und Kommunisten, die um vieles moderner wirkten als jene älteren Funktionäre. Dieselbe Feststellung gilt auch für die Kommunistische Partei, in der die Jugend ganz augenscheinlich überwiegt. Für diese Jungpolitiker ist der Stalinismus eine historische Reminiszenz, mit der die heutige Partei in Frankreich nichts zu tun hat. Der Gang durch die Wüste dauerte für die KPF Jahrzehnte, denn erst jetzt vermochte sie den Wählern ein Image zu präsentieren, das nichts gemein hat mit den einstigen Slogans, wie „Diktatur des Proletariats“ oder „Kollektivisierung der Gesellschaft“. Für die Masse der Wähler ist die Kommunistische Partei eine politische Gruppe wie jede andere und zeichnet sich in ihren Augen nur dadurch aus, daß sie mit viel Energie die Rechte der manuellen Arbeiter verteidigt. Wenige weitblickende Kommentatoren, wie der bekannte Publizist Raymond Aron, weisen dar-

auf hin, daß die Kommunistische Partei Frankreichs die gleichen Ziele anstrebt, die überall in der Natur der KPF liegen. Auf alle Fälle sickern nach diesen Wahlen Tausende Kommunisten in die Gemeindestuben der großen, aber auch der kleinen Städte ein. Da die KPF über ein vollendetes System von Zellen in den Betrieben verfügt, ist sie von nun an überall dort gegenwärtig, wo es darum geht, kommunale Entscheidungen zu treffen. Die Union der Linksparteien entwik- kelte eine beachtliche Stoßkraft und wurde von den Wählern leichter verstanden als das viel kompliziertere, weil reale Bild einer liberalen Ordnung, wie sie der Staatspräsident vor nicht allzu langer Zeit in seinem Buch propagiert hat.

Der linken Sturmflut vermögen die Regierungsparteien wenig Zugkräftiges entgegenzusetzen. Freilich können sie sagen, daß diè Eroberung des Bürgermeisterstuhles von Paris manche Niederlage in den Provinzstädten kompensiert. Spricht man von Paris, so muß man aber auch auf den Kandidaten des Staatspräsidenten hinwei- sen, auf Industrieminister d’Omano, der, entgegen vielen Voraussagen, von den Wählern nicht auf den Schild gehoben wurde.

Mit Jacques Chirac hingegen gelangt ein Mann in eine Schlüsselposition der Innenpolitik, der jederzeit, dank seinem Format, eine politische

Krise, eventuell eine Staatskrise aus- lösen kann. So sehen sich Giscard d’Estaing und sein gegenwärtiger Ministerpräsident Barre vor der Aufgabe, schnell nach neuen Ufern Ausschau zu halten, um nicht ganz das Gesicht für die Legislativwahlen vom März 1978 zu verlieren. Mit einer teilweisen Regierungsumbildung wurde das bereits in die Wege geleitet.

In den nächsten zwölf Monaten wird Giscard d’Estaing, nunmehr mit einer veränderten Regierung, ein Hindernisrennen bestehen müssen, um nicht den zentrifugalen Kräften der bisherigen Majorität zu großen Spielraum zu lassen.

Daß der schärfer profilierte Jacques Chirac in Paris den farbloseren d’Or- nano besiegte, ist nicht weiter verwunderlich. Im Gegensatz zum Österreicher wünscht sich der Franzose, eine politische Führung, deren Rede „Ja, ja - nein, nein“ ist und die, einmal vom Volk auf den Schild gehoben, aus ihrem Glanz und ihrer Glorie kein Hehl macht.

Dies dürfte übrigens auch der Grund sein, weshalb die superdemokratischen Bescheidenheitsgesten des eleganten Giscard d’Estaing - Hausbesuche bei Arbeitern und Kleinbür- ‘ gern, Fußmärsche zum Elysée, Vermeidung von Titulaturen, mißglückte Versuche, den Pomp des 14. Juli zu reduzieren - ins Leere gingen. Die Neidgenossenschaft, in Frankreich ohrte- dies nur selten bemerkbar und dann nur in Rudimenten vorhanden, läßt sich mit einem herzinnigen Händedruck nicht bestechen.

Man weiß, daß Chirac seinen Pariser Wahlerfolg lediglich als Sprungbrett wertet und daß sein Endziel keineswegs eine Rückkehr ins Amt des Ministerpräsidenten ist. Sein Ziel ist das Elysée, die (in seinen Augen legitime) Nachfolge de Gaulles.

Mögen in Frankreich Gemeinderatswahlen auch Signalcharakter haben, mögen Legislativwahlen im Falle eines neuerlichen Siegs der Volksfront auch ein Sturmzeichen sein - der Kurs, den das Land nimmt, wird letztlich bei der Wahl des Staatspräsidenten entschieden, dessen Machtvollkommenheit, ähnlich jener des US-Präsidenten, die Befugnisse eines konstitutionellen Monarchen und die Befugnisse der meisten anderen europäischen Staatsoberhäupter um ein Beträchtliches überragt.

In den Augen der Gaullisten fehlt nun Giscard d’Estaing jene „Legitimität“, die sie einem Georges Pompidou, als dem vom „General“ designierten Nachfolger, ohne weiteres zugestanden haben. Vergleicht man die „Thronfolgeordnung“ der französischen Präsidenten seit de Gaulle mit der Bestellung römischer Imperatoren zur Zeit der Adoptivkaiser, so ergibt sich bei Giscard d’Estaing inso- ferne ein Bruch, als seine „Adoption“ zwar durch die Volkswahl, nicht aber durch die Sachwalter des politischen Testaments de Gaulles erfolgt ist - ein offenbarer Mangel, dem bei einem Wahlerfolg Chiracs ohne jede Schwierigkeit abzuhelfen wäre. Da bei einer französischen Präsidentenwahl viel weniger die parteipolitischen als die persönlichen Momente den Ausschlag geben, steht für Jacques Chirac das große Spiel, das er zu wagen bereit ist, durchaus noch offen.

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