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Der einsame Präsident

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Frankreichs Präsident Fran- CQis Mitterrand erzielte in jüngster Zeit einige unverkennbare Prestigeerfolge. Die etwas theatralisch inszenierte Bombardierung eines iranischen Terroristenhortes im Libanon fand trotz eines gewissen Unbehagens der in ihrer eigenen Sphäre lebenden politischen Welt die spontane Billigung der öffentlichen Meinung.

Das damit verbundene Risiko wurde entweder gering eingeschätzt oder als selbstverständlich hingenommen, ebenso wie die Gefahr einer stärkeren Verwicklung Frankreichs in Nahost und mögliche Terrorakte im eigenen Lande. Die politisch-moralische Widerstandskraft der französischen Bevölkerung ist offensichtlich größer als diejenige der sogenannten politischen Elite.

Ein günstiges Echo fand auch das der Verteidigungspolitik gewidmete Fernsehinterview des Präsidenten. Die Franzosen betrachten in ihrer überwiegenden Mehrheit das zivile und das militärische Atom als positive Faktoren. Sie sind auch mit der These ihres Präsidenten einverstanden, wonach das strategische Gleichgewicht in Europa eine wesentliche Voraussetzung für die Bewahrung des Friedens ist. Daher haben sie keine Zuneigung zu Friedensbewegungen und halten die NATO-Nachrüstung für normal.

Anerkannt werden ferner einige innen- und wirtschaftspolitische . Haltungen des Präsidenten. Man würdigt so seine Mäßigung in der heiklen Schulfrage. Es überwiegt der Eindruck, daß er für den laizistischen Ansturm gegen die religiösen Schulen kaum Verständnis aufbringt und nach Mitteln und Wegen sucht, um den jetzigen Pluralismus trotz des Gegendrucks seiner Partei zu bewahren.

Ein Aktivposten ist schließlich in den Augen der Öffentlichkeit seine Rückkehr zum wirtschaftlichen und sozialen Realismus. Zumindest grundsätzlich — wenn auch nicht immer in der praktischen Anwendung — unterscheidet sich seine Politik wenig von der deutschen oder britischen.

Aber trotzdem verliert die Regierungskoalition weiterhin alle lokalen Wahlen. Die Ergebnisse der letzten Wochen waren besonders verhängnisvoll. Sämtliche Beobachter stellen auch ein Wachsen der Unzufriedenheit in der öffentlichen Meinung fest. Selbst die Sozialisten und die Kommunisten machen sich in dieser Beziehung keine Illusionen.

Dieser Widerspruch erklärt sich zunächst durch die Einsamkeit des Präsidenten. Er lebt gewissermaßen in seiner eigenen Welt, losgelöst vom politischen Alltag. So bald es um Entscheidungen geht, sind seine Machtbefugnisse unbeschränkt und zudem — was psychologisch stark ins Gewicht fällt — antidemokratisch.

Mitterrand konnte so in letzter Zeit wiederholt der sozialistischen Partei seinen Willen aufzwingen. Auf seine Anweisung hin mußte ihr letzter Kongreß eine gemeinsame Entschließung verabschieden, obwohl bis zum letzten Augenblick die Gegensätze zwischen den verschiedenen Tendenzen als unüberbrückbar gegolten hatten.

Der Präsident besitzt auch genügend Macht, um den kommunistischen Koalitionspartner in aller Öffentlichkeit wissen zu lassen, daß ihn dessen ablehnende Kritik seiner Außen- und Vertei-digungspolitik nicht berührt, weil er allein sie zu bestimmen vermag. Nur ändert dieses auf die Spitze getriebene Selbstbewußtsein nichts am tatsächlichen Verhalten der Parteien, noch am in-nenpolitischen Kräfteverhältnis.

Die beruhigende Wirkung des wirtschaftspolitischen Realismus wurde zunichte gemacht durch den in anderen Bereichen hektisch zum Ausdruck gebrachten Reformeifer, der die Linkswähler befriedigen soll. Der Justizminister schwimmt so mit ganzer

Kraft gegen den Strom, indem er seine Energie den straffällig Gewordenen widmet und — gewissermaßen nur als Trost für die öffentliche Meinung — deren Opfern. Dabei scheint er völlig zu vergessen, daß die um ihre persönliche Sicherheit bangenden Franzosen auf keinen Fall zu Opfern werden wollen.

Die zunehmende polemische Auseinandersetzung über die Zukunft der freien Schulen hielt ferner die Regierung nicht von dem Versuch ab, die Universitäten umzugestalten und für die Oberschulen wieder einmal weitreichende Veränderungen zu erwägen, wodurch nach Überzeugung der Franzosen nur Verwirrung gestiftet werden kann.

Das neue Hochschulgesetz wird von fast allen sozialistischen Professoren zurückgewiesen, weil es zu einer Senkung des Niveaus führen muß und lediglich den absurden Vorstellungen der von As-sistenten belebten Lehrergewerkschaft entspricht.

Zur Befriedigung des sozialistischen Parteivolks wollte die Regierung außerdem im Eiltempo ein neues Pressegesetz im Parlament durchpeitschen, angeblich um den Pluralismus gegen eine monopolisierende Konzentrationsbewegung zu verteidigen, tat sächlich aber um den Pressekonzern eines einzigen Mannes zu zerschlagen, weil seine Zeitungen mehr oder weniger geschickt die Opposition unterstützen.

Die politischen, juristischen und wirtschaftlichen Folgen des Gesetzesentwurfes wurden zunächst völlig vernachlässigt. Dies stimmte sogar die, sozialistische Parlamentsfraktion bedenklich, so daß nunmehr die Regierung für ihre fragwürdig bleibende Offensive gegen die Oppositionspresse eine längere, noch nicht genau absehbare Frist hinnehmen muß.

Dieser Reformeifer stößt in der öffentlichen Meinung bis in das sozialistische Lager hinein auf zunehmenden Widerstand, weil eine lähmende Nivellierung in den verschiedensten Bereichen angestrebt wird und sich damit auch eine Ausweitung des sich überall einmischenden Staates verbindet. Dieser Dirigismus wird in allen Bevölkerungs- und Berufsschichten als unerträglich empfunden.

Wenn der Präsident seinen Prestigegewinn zur Verbesserung der Wahlergebnisse ausnützen will, muß er sich zu einer klaren politischen Linie durchringen, das heißt die öffentliche Meinung nicht abwechselnd der warmen Dusche des Realismus und der kalten der Ideologie aussetzen.

Es ist schwer vorstellbar, daß ihm seine jetzige Mehrheit das notwendige und eindeutige Bekenntnis zur reinen politischen Vernunft gestattet. Zumindest müßte er sich von den Kommunisten trennen und für sie einen Ersatz in der Mitte finden.

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