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Der Engel mit der Geige

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Das Gedenken an den heiligen Franziskus von Assisi läßt die ganze Unmittelbarkeit seiner religiös-künstlerischen Persönlichkeit auch für uns wieder lebendig werden, denn als Dichter und Komponist des Sonnengesanges erreicht er mit seiner Weltfrömmigkeit das weite Spectrum aller gottsuchenden Menschen, die sich sonst an keine Liturgie gebunden fühlen. Mögen das lateinische Reimoffizium seines Mitbruders, Julian von Speyer, und die erste Lebensbeschreibung des Thomas von Celano wertvolle Hilfe sein, sein Leben zu verstehen, so ist der „cantico del sol“ eine dynamische Kraft zu religiösem Aufbruch auch in unserer Gegenwart geblieben. Da er den Menschen in die Ordnung des Universums zurückführt, besänftigte er die eschatologi-schen Strömungen des 13. Jahrhunderts, wie sie von Joachim von Fiori als Zeitalter des Heiligen Geistes grundgelegt worden waren, und zwingt die junge Ordensgründung, sich zu organisieren und zu reformieren. Als Morgengabe bringen die Minderbrüder in die Gesamtkirche die vorzüglich gepflegte Variante des Gregorianischen Chorals mit und das durch die kommenden Jahrhunderte anspornende Beispiel des Ordensgründers, Musik aus seiner Spiritualität zu schaffen.

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Das Gedenken an den heiligen Franziskus von Assisi läßt die ganze Unmittelbarkeit seiner religiös-künstlerischen Persönlichkeit auch für uns wieder lebendig werden, denn als Dichter und Komponist des Sonnengesanges erreicht er mit seiner Weltfrömmigkeit das weite Spectrum aller gottsuchenden Menschen, die sich sonst an keine Liturgie gebunden fühlen. Mögen das lateinische Reimoffizium seines Mitbruders, Julian von Speyer, und die erste Lebensbeschreibung des Thomas von Celano wertvolle Hilfe sein, sein Leben zu verstehen, so ist der „cantico del sol“ eine dynamische Kraft zu religiösem Aufbruch auch in unserer Gegenwart geblieben. Da er den Menschen in die Ordnung des Universums zurückführt, besänftigte er die eschatologi-schen Strömungen des 13. Jahrhunderts, wie sie von Joachim von Fiori als Zeitalter des Heiligen Geistes grundgelegt worden waren, und zwingt die junge Ordensgründung, sich zu organisieren und zu reformieren. Als Morgengabe bringen die Minderbrüder in die Gesamtkirche die vorzüglich gepflegte Variante des Gregorianischen Chorals mit und das durch die kommenden Jahrhunderte anspornende Beispiel des Ordensgründers, Musik aus seiner Spiritualität zu schaffen.

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Das Offizium für Priester und Mönche bärtig schon immer Hymnen, Tropen und Sequenzen neben den nicht rhythmisierbaren Teilen des täglichen Stundengebates. In den Reimoffizien des 12. und 13. Jahrhunderts werden alle nicht festliegenden Teile der Matutfln, der Hören, Laukles unld der Vesper in rhythmischer und gereimter Sprache geschrieben und im Gregorilanischen Choral komponiert. Die zehn Bände der „Anaiecfca Hymnica“ zählen 865 vollständige Reimoffizien. Julian von Speyer, bis zu seinem Tode 1285 als Chormeister am Hofe Ludwigs IX. unld am Minoritenkolleig in Paris tätig, schrieb auch zu Ehren des hl. Antonius von Padua ein nicht ganz ihm allein zugehöriges, hochragendes literarisch-onusikslsches Denkmal, das mit dem Franziskus-affizium die liturgischen Reformen des Trüidentinums überdauerte. Die hieratischen Texte seines Gesamtkunstwerkes drangen die Melisma-tik der Gregorianik mit der Präzision der lateinischen Kultsprache in eine hefilsiame Balance. Die Wort-Ton-Bezeichnung erreicht einen einmaligen künstlerischen Höhepunkt. Eine bis dahin unbekannte, neuartige Wechselbeziehung zwischen Wort und Ton gibt den Singrweüsen einen weit individuelleren Charakter als bisher, wo Text und Musik vielfach austauschbar waren. Die musikalische Aussage Julians macht sich von aller Schulmeisterei des Mittelalters frei, steht mit den neuen Aufgaben des Gregorianischen Chorals, sich in den Antiphonen, Hymnen des Breviers zu Ehren der beiden Ordensheiligen zu bewähren, auf dem Gipfel mittelalterlicher Kunst und leitet in ihrer Spätform zum Individualismus der Renaissance und Moderne über, die über Harmonie und Polyphonie neue Ausgangspunkte musikalischer Betätigung anvisiert.

Daß dem Leben des franziskanischen Ordensgründeris mit reinen Fakten nicht Genüge getan werden konnte, wußte mit dem ganzen Mittelalter der Verfasser der „Vita Prima Sancti Francisci“, Thomas von Celano, der sich schon 1214 der jungen Bewegung anschloß, sehr wohl. Wenn er, wie behauptet wind, aus zeitgenössischen Schriftstellern, (etwa Cäsarius von Heisterbach) Legenden übernahm, um sie in die beiden Viten des Franz einzubauen, mag das hingenommen werden. Die Episode aus der ersten Lebensbeschreibung, daß dem kranken Franz auf dem La Verna ein Engel mit einer Geige erscheint, ist aber aus dem Leben des Troubadours Gottes herausgehört. Die Refanhistorie bedurfte einer notwendigen Ergänzung, um ein so gna-dienhaftes Sein aus Natur und Über-natur in' etwa in Einklang zu bringen: hier die gekonnrte Form des Offiziums, dort das Spiel des Lebens, gebrochen im milden Schein der Arabesken), die Sich gleich köstlichen Initialen des Breviers über dieses Leben ausbreiten; beide, Julian und Thomas, blieben durch Jahrhunderte der zeitlose Kanon franziskanischer Weltbetmchtung, um über die Klöster der observanten Franziskaner, der konvenitualen Minoraten unld Kapuziner alle Menschen, welcher Konfession und Religion auch immer, zu kosmisch polyglotter Hingabe an Gott au inspirieren.

Der Engel mit der Geige begleitete die Brüder auf ihren Missionsfahrten und mit ihm die notwendigen Breviarda portaitilia (kleine Rei-sebneviere Sn Taschenformat), aber erst recht die Worte des Ordensvaters aus der „epistola ad capitu-lum generale“ (Epistel zum Generalkapitel), drei Voraussetzungen für ihr gemeinsames Singen einzuhalten: Konsonanz der Stimme mit der inneren Haltung, Konkordanz mit Gott und Lauterkeit des Herzens mit dem Ausschluß allen lasziven Gehabens. Es haben seit seinem Tode sich alle Künste bemüht, das wahre Bild des PovereUlo nachzuzeichnen. Sie alle übertönten die unerhörten Variationen der „jocuiatores Dei“, in Heiterkeit und Fröhlichkeit über Gottes Größe auszusagen und auszusingen. Die Bewegung der „nuova religio-sita“ erhielt im Musikalischen ihr Regulativ und errang sich neben den anderen Orden im Barock eine dominierende Stellung, die in den Spitzenleistungen auf dem Gebiete der Oper, der Musikwissenschaft und der Kirchenmusik zum Ausdruck kam. Die Aufgabe der stabilitas loci bei den Mendtikamten förderte die Internationalisierung ihrer Musik, machte sie weltoffen für alle geistigen Strömungen Buropas und ließ trotz lebhafter Kommunikation unld Migration die Fäden mit den Zentren des Ordens in Italien nie abreißen. (S. Antonio in Padua, S. Francesco in Mailand, Assisi, Bologna, S. Maria Gloriosa Sei Frari in Venedig, Chiesa dei dodici SS Apostoli in Rom.) Weltberühmtiheit erlangte die ins 15. Jahrhundert zurückreichende Oappeila Antoniana in Padua, wo in der Zeit von 1520—1814 siebzehn leitende Patres des. Instituts als bedeutende Komponisten gezählt werden.

Ein Gang durch das Musitoarchiv der Wiener Minoriten in der Aiser Vorstadt bestätigt die hohe Auffassung von Musikpflege in einem Konvent außerhalb Italiens. Hier ist der aus Troppau stammende, gelehrte und musikgebildete P. Alexiainder Glesse! (1694—1766) als Sammler, Kopist unld Komponist zu nennen. Aus dem Schülerkreis Johan Joseph Fux kommend, reichte sein Einfluß als Allrouridman bis zum kaiserlichen Hof. P. Gaudentius Dettelbach (1739—1818) aus Ungarisch-Alten-burg wirkte in Preßburg und Eisenstadt als angesehener Komponist und Organist und wurde 1769 mit der Durchführung der Kirchen-musikreform in den Franzistaaner-klöstern Provänciae Manianiae beauftragt. Der Sammelbanld „Missale Romanum Mariano-Seraphicum“ mit eigenen und anderen Messekompositionen galt als Modell der Reform; stehen die Messen noch unter dem Einfluß des ariosen Barocks, so weist seine a-capella-Chormusik schon Merkmale des Klassizismus auf.

Dem Übergang von der Renaissance zum Barock werden die „Cento Coneerti Ecclesiastici“ des Minori-tenpaters Ladovico Viadana (1560— 1624) zugezählt. Der in der Kathedrale in Mantua wirkende maestro di cappella wußte um die Aurffüh-rungsmängel der diversen Kirchen-chöre Italiens, die einfach aus den mehrstimmigen Motettemsätzen die eine oder die andere Singstimme herausnahmen, durch Orgelbegleitung das fehlende Sängerensemble ersetzten und so das Werk verstümmelten. Seine Coneerti wollten einen besseren Weg für die Praxis der Chöre gehen: vierzig von den hundert Konzerten sind einstimmig und sechzig für zwei bis vier Stimmen berechnet, aber so angelegt, daß sie bei genügend anwesenden Sängern in jeder Kombination ausgeführt werden konnten. Über allen Sätzen waltet in diesem bedeutendem Reformwerk ein Stück Gegenreformation, das der Wortverkünldigung in der Liturgie den ihr zustehenden Vorrang einräumt.

W. A. Mozart schickte am 4. September 1776 sein in München komponiertes Offertorium „Misericordia Domini“ an den Padre Martini nach Bologna mit der Bitte um sein Urteil. Martini steinte der Motette das Zeugnis aus, „daß er in ihr alles finde, was die moderne Musik verlange, gute Harmonie, reiche Modulation, mäßige Bewegung in den Violinen, natürliche und gute Stimmführung“. Giovanni Battista Martini (1706— 1784) trat am 20. Jänner 1721 in das Fnanziskianerkloster seiner Heimatstadt ein, widmete sich bald seiner musikalischen Ausbildung und machte seine Klosterzelle zum neuralgischen Punkt der Musik des 18. Jahrhunderts. Leopold Mozart nennt ihn den „Abgott der Italiener“, sein Einfluß reichte aber über ganz Europa, wie der Briefwechsel mit Rameau,' Gerbert, Tartini, Val-lotti, Metastasio, Quanfa, J. Chr. Bach, Myslivecseik, Gretry, P. A. Soler ihn belegt. Der musikalische Ruhm als Komponist ist fredlich verblaßt, „als Forscher, Historiker und Theoretiker hat sich Martini in erster Linie als bienenfleißiger Sammler von Material unld Quellen auf jedem Gebiet des musikalischen Wissens hervorragend ausgezeichnet; seine systematische Forschung und seine Anwendung einer streng kritischen Methode haben ihn zu einem Vorläufer der modernen Musikwissenschaft gemacht.“ (L. F. Tagliavini.)

Pietro Antonio Cesti (1623—1668) stammte aus Arezzo und trat im Juni 1637 in seiner Vaterstadt in den Franziskanerorden ein. Zunächst nur Frater, diarum der zweite Vorname, wurde er erst 1646 zum Priester geweiht. Sein musikalischer Bildungsgang harrt noch der Erforschung. Schon 1645 wird er in Volterra zum Domkapellmeister bestellt, 1652 trat er aus Kammer- und Chorkapellmeister in die Dienste des Erzherzogs Ferdinand Carl in Innsbruck, 1659 als Sänger in die päpstliche Kapelle ein, kehrte nach Innsbruck zurück, wurde 1666 an den kaiserlichen Hof nach Wien berufen unld als Viceka-pellmeister beauftragt, zur Feier der Vermählung Kaiser Leopolds I. mit Prinzessin Margarete von Spanien die Festoper zu schreiben, nachdem er schon als Opernkomponist an den Fürstenhöfen und Theatern Europas einen glänzenden Namen hatte. Zur Bewältigung des Librettos für „II pomo d'oro“, in dem Feuer, Wasser, Luft und Erde personifiziert erscheinen, alle Götter unld Halbgötter der Antike auftreten, der Himmel mit der Milchstraße, das Atrium des Palastes der Venus, die Festung des Mars, die Villa des Paris sich ein StelDdlchein geben, bietet Cesti sein Bestes und Letztes an Musik auf, — Teatro della Gloria Austriaca geht nathlos in eine musikalische Divina comedia über —.

An des Salzburger Hofmalers Johann Michael Rottmayrs Gemälde des Engels mit der Geige in seiner innigen Hingabe, beredter Gestik und emphatischem Wollen läßt die für Kaiser Franz I. bestellte Namenstagesmesse sub titulo Sancti Francisci Seraphici des in derselben Stadt wirkenden Johann Michael Haydn denken. Am 7. April 1803 schrieb er von Salzburg aus an seinen .Wiener Freund P. Werigand Rettensteiner wörtlich:

„... Nun vernehmen, und verwundern, oder erfreuen Sie sich! Vorgestern brachte mir ein Brief aus Wien die Nachricht, daß Ihre Majestät die Kaiserin von mir für das am 4. Oktober fallende Namensfest Seiner Majestät des Kaisers wieder eine Messe sammt Graduale, Offertorium und Te Deum laudamus neu verfertiget zu erhalten verlangen. — Nun die Vorschrift: das Ganze soll, wie damals, kleine Solo's haben; davon soll das et incarnatus vierstimmig sein, und nur vom Violoncell und Violon begleitet werden. Benedictus wird ein Duett für Sopran und Baß: am Ende Chor.“

Kyrie, Gloria und Credo sind prunkvolle Hofmuslk und verkörpern die Spätphase des Barock, den sogenannten österreichischen Reichs-stil. Am 4. Oktober 1803 leitete für den kränklichen Meister in Laxen-burg Josef Eybler die Uraufführung. Als er von der geglückten Aufführung hört, schrieb er am 29. Oktober an den kaiserlichen Leibarzt Dr. von Stifft folgendes:

„Ich bin sehr stolz darauf, daß die höchsten Majestäten Ihre Zufriedenheit über meine Arbeist bezeigen sich würdigen wollten. Daß H. Vetter Eybler die Direction auf sich genommen, ist ganz nach meinem Herzenswunsch ausgefallen, denn er sieht der Sache bis auf den Grund entgegen und ist einer von den wenigen, die das wahre Tempo zu finden wissen.“

Daß über den kaiserlichen Auftrag hinaus Michael Haydn mit dem Heiligen von Assisi sich in persönlicher Frömmigkeit verbunden fühlte, zeigt die etwas früher entstandene, Meiner besetzte Missa de saneto Francisco Seraphico in C-Dur; das so beliebte Andachtshild des Heiligen hatte in Musik Gestalt angenommen.

Aufklärung und Klösteraufhebung beendeten in einem raschen Finale die Musik um Franziskus und die Musikarchive der Franziskaner und Minoriten sind stumme Zeugen für ein Kapitel der Kirche, das wie kein anderes Musikgeschichte zu einer Geschichte der Frömmigkeit werden ließ! Einen letzten Sproß der Musik -fioretti brachte das 19. Jahrhundert doch noch ein: das geistliche Volkslied, bisher eifrig von den Kapuzinern gefördert, hielt seinen Einzug in alle Diözesangesangsbücher. Die Franziskusoratorien des Belgiers Edgar Tinel und des Schweizers Hermann Suter aus dem vorigen Jahrhundert sind der Vergessenheit anheimgefallen. In der Tanzlegende „Nobillssima visione“ setzte sich Paul Himdemith 1938 und in dem „Sonnengesang des hl. Franziskus“ Raimund Weißensteiner 1971 in moderner Tonsprache mit dem Thema auseinander.

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