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Der „erinnerte“ Krieg

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Der. Zweite Weltkrieg wird -obwohl sein „Ausbruch“ nun schon 50 Jahre zurückliegt - auch in österreichischen Familien immer noch erinnert Gewiß ist er nicht mehr Mittelpunkt der Gespräche, doch gaben in einer Befragung aus dem Jahre 1985 noch knapp ein Fünftel der befragten Erwachsenen an, in ihren Familien „häufig“ über diese Zeit zu sprechen.

Dies ist im Grunde nicht verwunderlich, immerhin waren mehr als eine Million Österreicher in der Deutschen Wehrmacht an diesem Krieg sehr direkt beteiligt, und mehr als die Hälfte aller Österreicher haben als Ergebnis dieses Krieges den Verlust eines oder mehrerer Angehöriger zu beklagen.

Trotzdem hat das NS-Regime, das diesen Welt-Krieg auslöste, auch heute noch eine erstaunlich gute Nachrede: nach einer Umfrage aus dem Sommer 1988 waren 47 Prozent der Befragten der Meinung, der . Nationalsozialismus habe durchaus auch seine „guten“ Seiten gehabt.

Dieser scheinbare Widerspruch löst sich dann auf, wenn dieser Krieg, in dem insgesamt etwa 55 Millionen Menschen getötet wurden, in seinem politischen und gesellschaftlichen Kontext gesehen wird. Der Zweite Weltkrieg wurde, was die Aggressoren betrifft, nicht von „irgendjemandem“ geführt, sondern war ganz wesentlich durch die aktive und/oder passive Haltung eines Großteils auch der österreichischen Gesellschaft möglich.

Er war auch nicht ein Krieg gegen den Willen „der“ Österreicher, sondern - so die gewiß provozierende These Anton' Pelinkas — auch ein „Bürgerkrieg“, in dem Österreicher gegen Österreicher vorgingen*, und er war schließlich auch ein Krieg, der von einem politischen System ausgelöst wurde, das durchaus die Unterstützung eines gar nicht so kleinen Segments der österreichischen Gesellschaft gefunden hatte.

Der „erinnerte“ Krieg freilich, der in den Familien als Teil der Familien-Geschichte überliefert wird, ist vielfach das Produkt von Realitätsverweigerung und Verdrängung: es ist ein Krieg, den die „anderen“ (die Deutschen) geführt haben und in den man als Österreicher hineingezwungen wurde; es ist ein Krieg, der als „Opf er“-Gang verstanden wird, wobei jedoch vor allem von den eigenen Opfern, nicht aber von denen anderer gesprochen wird; es ist ein Krieg, den man immer noch als die alleinige Tat der „da oben“ (des „Führers“...) interpretieren möchte, sodaß Fragen der Mitbeteiligung oder gar der Mitschuld gar nicht aufkommen; und es ist schließlich vor allem auch ein Krieg, der lediglich als militärisches Ereignis begriffen wird und dessen politische, gesellschaftliche und ökonomische Ursachen und Konsequenzen weitgehend ausgeblendet bleiben.

Nur so ist es möglich, der Auseinandersetzung mit den ideologischen Zielsetzungen dieses Weltanschau-ungs- und Vernichtungskrieges aus dem Wege zu gehen. Die Berufung auf einen nicht weiter hinterfragten Begriff von „Pflichterfüllung“ bot überdies die Möglichkeit, sieh auf die Position eines seine Sache vielleicht widerwillig, entsprechend den „Vorschriften“ ausführenden Erfüllungsorgans zurückzuziehen.

Für die Folgen dieses Krieges will heute niemand mehr verantwortlich sein, und auch für seine Auslösung sollen die „anderen“ verantwortlich gemacht werden. Im Zuge des „Historikerstreits“ waren jüngst denn auch deutliche Stimmen zu vernehmen, die den Überfall NS-Deutschlands auf die Sowjetunion als Präventivschlag umzudeuten versuchten.

Der Zweite Weltkrieg wurde als ein „Weltanschauung8“-Krieg vom nationalsozialistischen Deutschland geführt, der auch zur rassischen „Endlösung “ genutzt werden sollte. Betroffen davon waren nicht nur' die aus „rassischen“ Gründen verfemten Juden: „Zigeuner“, als „asozial“ stigmatisierte Randgruppen und Minderheiten, aber auch alle, die wegen ihrer körperlichen oder geistigen „Behinderung“ den eugenischen Zielvorstellungen der menschenverachtenden Gesundheitspolitik des Nationalsozialismus nicht zu entsprechen vermochten, waren einer erbarmungslosen Verfolgung ausgesetzt.

Der Krieg bot dem NS-System die Möglichkeit, nun auch mit der „Endlösung“ der „sozialen Frage“ ernst zu machen, und nicht zufällig wurde die Ermächtigung des „Führers“ zur „Euthanasie“ auf den 1. September 1939 rückdatiert. Die Angstphantasien undVemichtungs-wünsche der NS-Rassenideologie waren allerdings keine „Erfindung“ der Nationalsozialisten. Diese konnten sich durchaus auf die Tradition eines im Grunde lebensfeindlichen Gedanken-,, Gutes“ berufen, in dem vieles schon vorgedacht war, das unter den Bedingungen der NS-Herrschaft dann Realität werden konnte.

Die Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg ist bis heute weitgehend noch besetzt durch die, die damals auf der „richtigen“ Seite standen. Im Rausche des „Wiederaufbaues“' nach 1945 waren sehr bald jene vergessen, die in diesem Krieg nicht mitgetan haben. Ihr Opfer wurde von der österreichischen Gesellschaft kaum wahrgenommen, geschweige denn „honoriert“. Wer heute über den Zweiten Weltkrieg spricht, kann und darf daher von jenen Frauen und Männern nicht schweigen, die sich den Ansprüchen des NS-Regimes und den Zielen seines Aggressionskrieges widersetzt haben. Ihr Gedenken gilt es zu bewahren.

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