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Der erste Schritt

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Wir alle wußten: es muß etwas geschehen. Slowenen, Kroaten, Tschechen, Ungarn leben hier mit der deutschsprachigen Mehrheit der Österreicher. Dieses Zusammenleben ist eine Tatsache. Es mag sich auch in Konflikten äußern, auch in Vorur-teüen; wichtiger aber ist der geistige Reichtum, der durch das Zusammenleben verschiedener ethnischer Gruppen entsteht. Je freier die Minderheit, um so freier auch die Mehrheit. Je fruchtbarer die kulturelle Symbiose zwischen Slowenen, Kroaten, Tschechen, Ungarn und deutschsprachigen öster-

reichern, um so stärker das Land, in dem wir leben.

Und also trafen wir in der Steiermark, auf Einladung der Stadt Fehring, zusammen: Mitglieder und Gäste des neu gegründeten Volksgruppen-Institutes. Auf Schloß Stein gab es drei Tage hindurch öffentliche Veranstaltungen und interne Gespräche.

Diese Besprechungen im kleinen Kreis ließen die Umrisse eines Programmes entstehen. Pläne des Volksgruppen-Institutes wurden diskutiert, zum TeU verändert, wesentlich erweitert. Hier nur einige der nfeuen Anregungen: Man wird versuchen, alle zwei Jahre eine Folklore-Biennale zu veranstalten: in gutem Einvernehmen sollen tschechische und Vorarlberger, slowenische und Tiroler, ungarische und niederösterreichische, kroatische und Kärntner Volkstanzgruppen, Chöre und Orchester auf die Bühne kommen, aber auch die Steirer, die Salzburger und all die anderen sollen nicht fehlen. Viel soll für die Erweiterung des Schulunterrichtes getan werden: Geschichte, Kulturgeschichte der Volksgruppen und der Nachbarvölker sollen wesentlich mehr Raum erhalten. Das ORF-Studio Burgenland soll die Einführung von regelmäßigen Sendungen in burgenländisch-kroatischer Sprache erwägen. Ein Studienprogramm wurde beschlossen.

Auch Publikationen werden vorbereitet. „Geschichten und Strukturen der Literaturen im pannoni-schen Raum“: unter diesem Titel soll an der Universität Innsbruck ein Werk vorbereitet werden, das das Quellenmaterial für ein entsprechendes Schulbuch erschließen soll. Auch die geplante Anthologie österreichischer Autoren slowenischer Muttersprache hat klare Gestalt angenommen. Die Zeitschrift „Pannonia“ wird sich mit einer eigenen Beüage an der Arbeit beteüigen, die neue, in kroatischer Sprache erscheinende Kulturzeit-

schrift „Pokus“ (Versuch) kann ebenfalls als Forum dienen.

„Pokus“ ist übrigens dabei, auch durch ein Preisausschreiben Sprachenpflege zu betreiben. Heinrich von Kleists Prosastück „Uber das Marionettentheater“ soll im Rahmen eines Wettbewerbes in die burgenländisch-kroatische Sprache übertragen werden.'

Vorträge, öffentliche Diskussionen in Zusammenarbeit mit dem ORF, literarische Lesungen wandten sich an ein breiteres Publikum. Wer war gekommen? Schriftsteller wie Hellmut Andics und Milo Dor, Lev Detela und Josef Schweik-

hardt, Fachleute wie Univ.-Prof. Zoran Konstantinoviö und Aage Hansen-Löve, Reginald Vospernik und Elisabeth Heresch, die Musikwissenschaftlerin Sigrid Wiesmann, der Theatermann Ivan Zupa, dann auch Peter Tyrann, der „Pokus“ herausgibt. Der zweisprachige Lyriker Ewald Pichler wurde zurecht gefeiert. Karl Hofer und Hans Rochelt vertraten den ORF. Lehrer, Bibliothekare, Studenten waren auf Einladung des Bürgermeisters von Fehring, Hans Kampel, in großer Zahl gekommen.

Der erste Schritt ist getan. Die kommenden Monate erfordern nicht viele Worte, dafür aber Taten. Das Programm muß verwirklicht werden. Die Mitglieder des Volksgruppen-Institutes in Klagenfurt und Rust, in Wien und Innsbruck, an Universitäten und in Redaktionen werden nun die Publikationen fertigstellen, die Studienprojekte abschließen. Lächelnd, sachlich und selbstbewußt kann der naive Chauvinismus überwunden werden: die Vernünftigen sind nicht nur im Denken, sondern auch im Handhaben der Demokratie stärker als die verblendeten Fanatiker.

Daß die wütenden Eiferer solche schöpferische Arbeit ebenso mißtrauisch betrachten wie- manehe Bürokraten, versteht sich von selbst. Es ist ihnen versagt, den Bereich der neuen Sachlichkeit zu betreten. Gerade diese Sachlichkeit aber charakterisiert die Arbeiten des Volksgruppen-Institutes. Die vergleichende Literaturgeschichte, die im Sinne C. G. Jungs arbeitende Völkerpsychologie, die erneuerte Ethnologie, eine soziologisch ausgerichtete Ästhetik werden hier zum fruchtbaren Zusammenspiel gebracht. Nur in der Vielfalt ist Österreichs besonderes Wesen zu erfassen: der österreichische Genius äußert sich nicht durch Berserkerwut, sondern durch weiträumiges Denkenund nachdenkliche Toleranz.

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