Dieser FURCHE-Text wurde automatisiert gescannt und aufbereitet. Der Inhalt ist von uns digital noch nicht redigiert. Verzeihen Sie etwaige Fehler - wir arbeiten daran.
Der erste Tote
In der Satzberggasse, draußen im 14. Wiener Gemeindebezirk, wurde ein soeben fertiggestellter Neubau nach dem Hochschulprofessor DDr. Hans Kart Zessner-Spitzenberg benannt. Die Segnung dieses Wohnhauses und eine kleine Feier fanden kürzlich, am 17. September, statt.
Hans Karl Zessner-Spitzenberg starb am 1. August 1938, und er war der erste Österreicher, der in einem Konzentrationslager Hitlers ermordet wurde. Sein Name wird öffentlich nicht erwähnt und ist in keinem österreichischen Lehrbuch zu finden. Wer war Zessner?
Hier in Kürze die Daten: Geboren als Hans Karl Freiherr von Zessner- Spitzenberg am 4. Februar 1885 auf Schloß Döbritschen in Böhmen. Studiert an mehreren europäischen Universitäten, dissertiert über die
Landarbeiterfrage, entwirft noch als Student für die österreichisch-ungarische Gesetzgebung den ersten Landarfoelterkollektiwertrag der Welt. Prager Statthalterei, Statistisches Zentraiamt in Wien, Landwirtschaftsministerium. Wirkt 1919 im Verfassungsdienst des Bundeskanzleramts der Ersten Republik. Hofrat. 1931 Professur an der Wiener Hochschule für Bodenkultur. Gastvorlesungen über Staatsbürgerkunde an der Technik, an der Hochschule für Welthandel, an der Sozialen Frauenschule. Assistiert als Vertreter der österreichischen Professorenschaft bei der öffentlichen Doktorpromotion Otto Habsburgs, der auf der Universität Löwen in freier (französischer) Diskussion die Thesen seiner Dissertation über tirolische Bergbauernprobleme gegenüber dem belgischen Professorenkollegium zu verteidigen hat.
Daneben: Ehrenmitglied und Betreuer einer Unzahl von Studenten-
Verbindungen und Schülervereinen, Initiator der österreichischen Akademie in Salzburg. Jahrzehntelang und schließlich erfolgreich sein Kampf um das öffentlichkeitsrecht der katholischen Privatschulen.
Am 18. März 1938 wurde Zessner während der Sonntagsmesse in der Kirche Maria-Schmerzen, Wien- Döbling, von der Gestapo verhaftet. Während des Transports nach Dachau den Roheiten vertierter Schlägertypen ausgesetzt, Ankunft im Konzentrationslager mit schweren inneren Verletzungen, Arbeit im Strafblock bei hohem Fieber. „Herr, was Du sendest, das ist gut.“ Am 30. Juli bricht Zessner auf dem Appellplatz bewußtlos zusammen. Krankenbaracke. „Was mit uns geschieht, ist gleichgültig. Aber auf irgendeine Art wird Österreich wieder leben, dessen bin ich sicher.“ Nachdem ein inhaftierter Priester heimlich zu ihm geschlichen ist und ihm die Absolution erteilt hat, erlischt Zessner in den Morgenstunden des 1. August.
Nun hat sich eine private Gemeinj- schaft seiner erinnert: die. Gemeinnützige Wohn- und Siedlungsgesellschaft „Schönere Zukunft“; die gleiche, die vor kurzem auch Friedrich Funders gedacht hat. Dem Friedrich-Funder-Haus folgte das Zessner-Spltzenberg-Haus. Nach beiden, nach Funder und nach Zessner, benannte das offizielle Österreich weder Straßen noch Plätze, keinem von beiden errichtete es Denkmäler. Hieramts und dortamts weiß man nichts Näheres von ihnen. Warum wohl?
Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.
In Kürze startet hier der FURCHE-Navigator.
Steigen Sie ein in die Diskurse der Vergangenheit und entdecken Sie das Wesentliche für die Gegenwart. Zu jedem Artikel finden Sie weitere Beiträge, die den Blickwinkel inhaltlich erweitern und historisch vertiefen. Dafür digitalisieren wir die FURCHE zurück bis zum Gründungsjahr 1945 - wir beginnen mit dem gesamten Content der letzten 20 Jahre Entdecken Sie hier in Kürze Texte von FURCHE-Autorinnen und -Autoren wie Friedrich Heer, Thomas Bernhard, Hilde Spiel, Kardinal König, Hubert Feichtlbauer, Elfriede Jelinek oder Josef Hader!