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Der Esel von Epidauros

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In dem kleinen Hafen Epidauros, etwa fünfzehn Kilometer von der Ausgrabungsstätte des antiken Ortes entfernt, ist es still. Hier kommen an den Tagen, an denen im alten Theater wieder gespielt wird, Tausende Menschen mit dem Schiff von Athen an und werden mit Autobussen zum Asklepieion gefahren. Heute jedoch ist es ruhig hier.

Ein kleiner Dampfer, kleiner als manches Flußschiff, liegt in der schönen, tiefgewölbten Bucht. Er führt die kanadische Flagge.

Und dann fällt es einem auf: Hier gibt es überhaupt nur reiche Leute, denn alles ist schön hier, selbst die zahnlose Alte, der einbeinige Bettler und die schmutzigen, spielenden Kinder an der Mole. Alle sind reich, und alle scheinen es auch zu wissen.

Was haben sie nicht alles!

Dort stehen ein paar Pinien, Wächtern gleich, mit ihren schirm-

förmigen Kronen. Sehr ernst, sehr dunkel stehen sie an dem einen Ende des kobaltblauen Beckens. Die Kirche liegt etwas erhöht, auf einer kleinen Klippe, auf einem vorspringenden Plateau mitten im blauen Eirund der Bai.

Die Steinwand, die die Erhöhung abstützt, ist über und über mit wuchernden, blühenden Pelargonien bedeckt. Das Gasthaus daneben hat Tische und Stühle auf der von einer Pergola überschatteten Terrasse stehen. Weintrauben hängen über den Sitzenden im sanften Laub, große Trauben mit länglichen Perlen.

Und da hocken sie, bei einem der letzten Tische, der dickbäuchige Weinhändler oder Obstgrossist, neben ihm der Gendarm, beide haben halbgeleerte Gläser vor sich stehen, neben ihnen aber sitzt ein barfüßiger Fischer, ein junger

Mann, der Einbeinige und noch zwei stoppelbärtige, vertrocknete Räubergestalten. Sie unterhalten sich, gestikulieren mit den Händen. Der Nachmittag ist lang, die Sonne scheint heiß, und sie haben sehr viel Zeit.

Nur die Esel sind arm. Sie gehen ständig am Göpel im Kreis. Unter ihren Füßen, auf glattem Beton, liegen die Ähren, und die zierlichen Hufe dreschen die Körner aus. Auch Wasser schöpfen sie im Rundgang aus tiefem Brunnen, zur Bewässerung der Felder und zur Tränke der Herden. Immer sind sie im Gleichtakt. Mit und ohne verbundenen Augen wird für Speise und Trank der tägliche Kreislauf gegangen.

Nur manchmal, man weiß nicht warum, bleibt einer der Esel stehen. Er wackelt ein wenig mit dem Kopf, die Ohren klatschen am“ harten Schädel. Er will nicht mehr

weiter. Dann kommt ein zerlumpter alter Mann, der in der Nähe im Schatten eines Ölbaumes gelegen ist, schwingt einen derben Knüttel und schlägt das Tier unter lautem, scheltendem Rufen. Allein, der all-so Gezüchtigte rührt kaum einen Huf von der Stelle. Das erbost den keuchenden Alten.

Das zerrissene Hemd rutscht ihm immer mehr und mehr aus der schmutzigen Hose, da er die Arme hebt und schreit. Der Stock dröhnt heftiger auf den knochigen Rücken des Esels. Der Kopf mit den langen Ohren berührt fast den Boden, die Augen sind milde irgendwohin in die Ferne auf ein unsichtbares Ziel gerichtet. Es sieht aus, als ginge sie das, was sich auf dem Rücken abspielt, gar nichts an.

Der alte Mann ist müde. Er schimpft und schreit noch, seine Schläge sind aber kraftloser, ab und

zu stößt er noch mit einem Fuß gegen die Flanken des Tieres. Der Esel gehört wohl nicht ihm, er darf ihn nicht ernstlich verletzen. Fluchend wirft er sich in den Schatten. Es ist ihm heiß geworden.

Der Esel steht still und wartet. Nur die Ohren bewegen sich ab und zu. Einige Zeit ist es ruhig.

Dann aber, plötzlich, hebt dasTier den Kopf und schreit, schreit, so laut und so erbärmlich, wie nur ein Esel schreien kann. Danach steht er noch einen Augenblick still. Schließlich beginnt er wieder einen Rundlauf, ganz so als wäre nichts gewesen.

Immer geht er mit wiegendem Kopf, Wasser schöpfend zur Bewässerung der Früchte. Immer im Gleichmaß des Tages, des Jahres, Wasser schöpfend, Korn dreschend. Am Abend wird er mit großen Bündeln oder hohen Strohballen beladen, daß sein kleiner Körper darunter fast verschwindet. Nur der graue Kopf und die wackelnden Ohren sind frei von der Bürde. Er ist der einzige Arme unter so vielen Reichen.

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