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Der ewige Lockruf des schnellen Geldes

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Die internationale Finanzwelt wird von Skandalen erschüttert. Angesehenen Brokerhäusern wird Manipulation der Börsenkurse vergeworfen. Hochbezahlte Banker und Händler sollen sich durch sogenannte Insidergeschäfte bereichert haben. Extreme Einzelfälle? Oder sind Unehrlichkeit und Manipulation an den Börsen nicht doch stärker vorhanden, als blauäugige Aktionäre glauben (sollen)?

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Die internationale Finanzwelt wird von Skandalen erschüttert. Angesehenen Brokerhäusern wird Manipulation der Börsenkurse vergeworfen. Hochbezahlte Banker und Händler sollen sich durch sogenannte Insidergeschäfte bereichert haben. Extreme Einzelfälle? Oder sind Unehrlichkeit und Manipulation an den Börsen nicht doch stärker vorhanden, als blauäugige Aktionäre glauben (sollen)?

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Die internationale Finanzwelt wird seit einigen Wochen von einem mittleren Erdbeben erschüttert. In Japan kamen enge Verbindungen zwischen Vorständen führender Finanzunternehmen und Verbrechersyndikaten ans Licht. Darunter auch angesehene Brokerhäuser wie Nomura (das Unternehmen ist bekanntlich an der Wiener Expo AG beteiligt). Sie stehen unter dem Verdacht, Börsenkurse zugunsten der Unterwelt manipuliert zu haben.

Meldungen über unsaubere Geschäfte und Skandale in der Börsenwelt sind nichts Neues. Nur kamen sie sporadisch und hauptsächlich aus den USA. Wie jene Mitte der achtziger Jahre über spektakuläre kriminellen Transaktionen der „golden boys" Dennis Levine und Ivan Boesky.

Jetzt haftet aber nicht nur an Tokios, sondern immer stärker auch an Europas Börsen der Geruch, Tatort nicht ganz lupenreiner Geschäfte zu sein. So kommen auch bereits aus der Finanzmetropole Frankfurt Meldungen über Skandale und Verdächtigungen. Leitenden Mitarbeiter der Deutschen Bank etwa wird vorgeworfen, sich auf Kosten ihrer Kunden bereichert zu haben. Auch die Commerzbank hatte einen Händler vor die Tür gesetzt, als Gerüchte über nicht ganz lupenreine Börsegeschäfte die Runde machten. Ähnliche Unregelmäßigkeiten soll es bei der Dresdner Bank geben.

Auch in Frankfurt werden Händler von der Staatsanwaltschaft kritisch durchleuchtet. 25 Optionsscheinhändler stehen unter Verdacht, Gewinne aus Insidergeschäften gescheffelt und diese selbstverständlich nicht versteuert zu haben.

Was ist dieser gewinnträchtige Insiderhandel? Darunter werden diejenigen Geschäfte verstanden, die garantiert schnelles Geld bringen. Ein Beispiel: Der Generaldirektor einer Bank erhält als Aufsichtsratsmitglied eines börsenotierten Unternehmens Informationen, die den Aktienkurs einer Firma beeinflußen können. Wie zum Beispiel die Ankündigung eines außerordentlich hervorragenden Geschäftsabschlusses. Der Generaldirektor nutzt diesen Informationsvorsprung und kauft auf eigene Rechnung die entsprechenden Aktien. Erwartungsgemäß wird der Kurs nach Bekanntgabe des positiven Geschäftsergebnisses steigen, der „Insider" kann seine Gewinne realisieren. Ein anderes Beispiel: Der Wertpapierhändler einer Bank kauft bestimmte Papiere auf eigene Rechnung, empfiehlt sie dann als geladener Experte via Bör-sesendüng im Fernsehen und verkauft sie nachher mit Gewinn. Dieses Vorgehen wird etwa einem Händler der Deutschen Bank vorgeworfen. Er soll via „Telebörse", einer Spezial-Sen-dung in SAT 1, durch entsprechende Kaufempfehlungen die Kursentwicklungen (mit-)beeinflußt haben.

Solche Insidergeschäfte sind verpönt und werden in den einzelnen Ländern unterschiedlich streng geahndet. In Deutschland etwa muß niemand befürchten, ins Gefängnis zu wandern, denn Insidergeschäfte sind keine strafbaren Handlungen. Es gibt nur eine freiwillige Verpflichtung, Wissens vorsprünge nicht zu mißbrauchen. In Großbritannien und in den USA sind hingegen solche Praktiken streng verboten.

In Osterreich gilt die Informations-Ausnutzung zwar auch als anrüchig, sie würde aber derzeit nur - es gibt ja keine nachgewiesenen Fälle - mit standesgemäßen Sanktionen geahndet (etwa Aberkennung der Börsenmitgliedschaft).

Auch in der diskret-sauberen Schweizer Bankenwelt grassiert die Lust am schnellen Gewinn durch schrägen Umgang mit Insider-Informationen. Dort wurden kürzlich drei Bankangestellte wegen des Verdachtes des Insiderhandels zu mehrmonatigen Gefängnisstrafen verurteilt. Und selbst der Präsident der Bank von Liechtenstein konnte nachweislich der Verlockung nicht widerstehen, seine Insiderinformationen in satte Gewinne umzusetzen.

Es entsteht also allmählich wirklich der Eindruck, als wären manipulierte Kurse an der Tagesordnung, klagte kürzlich ein Kommentator in der

Süddeutschen Zeitung. Und hat damit wohl recht. Es scheint tatsächlich der Sumpf tiefer, die Übervorteilung der Aktionäre größer zu sein, als bisher angenommen.

Auch Österreich blieb keine Insel der Seligen, ließ doch auch vor einigen Monaten Nationalbank-Direktor Thomas Lachs aufhorchen. Es herrsche, behauptete er via Medien beharrlich, auch am Wiener Schottenring ein schwunghafter Insiderhandel. Diese Behauptung wurde natürlich heftigst dementiert. Und bis jetzt gab es ja auch tatsächlich keinen Skandal; entsprechende Gerüchte über unsaubere Praktiken tauchen indessen immer wieder einmal auf.

Für Klaus Liebscher, den Präsidenten der Wiener Börsekammer, sind diese häufigen Berichte über Skanda*-le und Verdächtigungen in der internationalen Finanzwelt noch kein Grund zur Beunruhigung. Sie sind für ihn immer noch „extreme Einzelfälle", begangen von einigen schwarzen Schafen, die einfach gegen Gesetze und Richtlinien verstoßen. Solch unehrenhaftes Verhalten scheine „irgendwie im Menschen drinnenzustek-ken", meinte er im FURCHE-Ge-spräch. Man müsse doch, meint Liebscher, immer unterscheiden zwischen dem bloßen Verdacht und den nachgewiesenen Fällen.

Das beste Beispiel seien hierfür die USA. „Dieses Land hat die schärfsten Bestimmungen. Trotzdem gibt es jährlich 40.000 Fälle mit Verdacht auf Insiderhandel. Nach intensiven Untersuchungen bleiben aber letzlich zwei oder drei Fälle übrig. Das sind aber dann meist die wirklich spektakulären Fälle mit Gewinnen in Milliardenhöhe".

Trotzdem wird auch an der Wiener Börse auf die in- und ausländischen Nachrichten und Verdächtigungen reagiert. Börsekammerpräsident Klaus Liebscher will schon in nächster Zeit konkrete Maßnahmen setzen: „Im nächsten Halbjahr soll ein automationsunterstütztes Handelsüberwachungssystem eingeführt werden, das jeden auffälligen oder abweichenden Umsatzsprung registriert. Es können so von uns sofort die Ursachen für diese Entwicklung recherchiert werden. Es wäre schlecht, wenn es keine ausreichende Erklärungen gibt. Dann kann man vielleicht wirklich den Verdacht äußern, es liegt Insiderhandel vor".

Außerdem arbeite man bereits an einer Novellierung des Börsegesetzes, das unter anderem auch eine schärfere Regelung und Prüfung der „Börsefähigkeit" von Unternehmen vorsieht.

Eine Maßnahme, die sicherlich dazu beiträgt, das Vertrauen der Anleger in das österreichische Börsegeschäft zu stärken. Ein Vertrauen, das nicht unwesentlich ist. Denn das Wie-• ner Haus ließ zwar noch nicht mit einem Fall von nachgewiesenem Insidertrading aufhorchen. (Kenner meinen allerdings, dies sei lediglich eine Frage der Zeit.) Aber auch weitaus harmlosere, unspektakuläre Vorkommnisse kratzen am Vertrauen der ohnehin nicht sehr traditionsbelade-nen österreichischen Anlegerschar.

So ließ der überraschende Konkurs der börsenotierten Tiroler Loden AG vergangene Woche letztlich die Kleinaktionäre am glatten Wiener Börseparkett ausrutschen. Sie, die 55 Prozent des Stammkapitals von 120 Millionen Schilling gehalten haben, werden nicht entschädigt. Die Länderbank, die die Tiroler Loden AG in der zweiten Hälfte der achtziger Jahre an die Börse gebracht hat, beharrt darauf, in keiner Weise ihre Sorgfaltspflicht verletzt zu haben.

Eine Einschätzung, die nicht geteilt wird. Noch drei Monate vor Konkursantrag, so lautet etwa ein Vorwurf des „Wiener Interessenverbandes für Anleger", seien positive Prognosen veröffentlicht worden. Zu einem Zeitpunkt also, heißt es, als sich das Desaster bereits abzeichnete. Die schlechte Entwicklung sei den Länderbank-Experten also schlichtweg entgangen.

Apropos „Vertrauen in Informationen": Gerade in Österreich werden Aktionäre und potentielle Anleger mit einschlägigen Informationen über Kursentwicklungen überhäuft. Mehr vielleicht, als wünschenswert ist. Immer häufiger lancieren selbsternannte oder tatsächliche Gurus und Anlage-Experten der großen Banken ihre Aktien-Tips in Zeitungen oder Magazinen. Damit transportieren sie zweifellos wichtige Entscheidungsgrundlagen. Sie fördern aber sicherlich auch schnelle und unüberlegte Käufe eines weniger versierten und professionellen Publikums. Auch ein Teil dieses Publikums läuft, das ist bekannt, nur allzugern Tips und Stimmungen blindlings nach. Selbst der ORF kann sich derartige gute „Tips vom Experten" nicht verkneifen. So werden etwa via „Schilling"-Maga-zin Freitags Empfehlungen, die der Moderator noch schnell beispielsweise von Banken „hereinbekommt", verlesen.

Solche Vorgangsweisen sind sicherlich kein Vergehen. Aber sind sie auch fair?

Börsepräsident Liebscher, der nach eigenen Aussagen „viel von Ethik im Wirtschaftsleben" hält, sieht keinen Verstoß gegen die Fairneß: „Woher sonst, wenn nicht über veröffentlichte Einschätzungen von Kursentwicklungen sollen die Anleger ihre Informationen bekommen?" Von solchen Hinweisen, so der Präsident, lebe schließlich der Markt und lebe die Börse.

Sicherlich. Aber ob das Vertrauen auf Dauer standhält?

Präsident Liebscher hält es übrigens für absurd, daß in Österreichs Börse- und Bankenwelt Fehlinformationen verbreitet werden. „Solch einen Verdacht lehne ich ab. Es werden in Österreich sicher nicht Unternehmen lanciert oder hochgelobt, die schon dem Konkurs nahe sind." Und die Tiroler Loden AG? Dazu will der Börsekammer-Präsident keine Stellung nehmen. Die Länderbank müsse sich mit der Sache beschäftigen.

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