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Der Fall Daniloff -noch kein Ende der Krise

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Die gleichlaufende Uberstellung des US-Journalisten Nicho-las Daniloff und des sowjetischen Physikers Gennadi Sacharow aus dem Gefängnis in die Obhut der jeweüigen Botschaften hat eine der gefährlichsten Krisen in den Ost-West-Beziehungen in letzter Minute wenn schon nicht abgewendet, so doch für den Moment entschärft. Durch einen ungleichen Handel der beiden Großmächte kommt die Begegnung der beiden Außenminister doch noch zustande. Konzessionen von Washington und Moskau haben den Weg zu einem Gipfeltreffen von Präsident Ronald Reagan mit Parteichef Gorbatschow wieder freigelegt. Die Welt atmet auf, aber der bittere Beigeschmack einer schändlichen Erpressung bleibt bestehen.

Im schmutzigen Krieg der Spione brannte die US-amerikanische Spionageabwehr offensichtlich darauf, die empfindüche Scharte auszuwetzen, die der Absprung des vormaligen CIA-Agenten Howard wenige Wochen zuvor geschlagen hatte. Der Sowjetphysiker Gennadi Sacharow, bestimmt kein großer Fisch in der verdeckten Auseinandersetzung, flog am 23. August bei dunklen Geschäften auf und wurde ins Gefängnis gesetzt.

Das KGB hatte es nicht weniger eilig, ihren Mann zurück zu gewinnen und schlug nach bewährter Manier zurück: Der Moskau-Korrespondent Daniloff, Sohn von russischen Emigranten und dem Kreml wegen seiner Kontakte schon lange suspekt, ging in die gestellte Falle. Der Geheimdienst faßte Daniloff, nachdem diesem von einem alten Bekannten aus Frunse unverlangte „top secret“-

Unterlagen zugesteckt worden waren. Die uniformen Presseorgane des Kreml zählen genüßlich auf, was von Daniloff angeblich angefordert worden war: strategische Pläne aus Afghanistan, Informationen über Ablagerung von nuklearem Abfall bei Moskau beziehungsweise Woronesch und über sowjetische Methoden der Uranverarbeitung. 13 Tage lang wurde dem Journalisten darauf im berüchtigten Moskauer Lefor-towo-Gefängnis eine Behandlung zuteil, die er selbst als „geistige Folter“ bezeichnete. Uberraschend schnell stand ein Gerichtsprozeß wegen Spionage auf der Tagesordnung.

Michail Gorbatschow befand sich zur selben Zeit auf Jalta im Urlaub, ebenso Ministerpräsident Ryschkow. Die Revancheaktion mußte unweigerlich vom zweiten Mann in der Kreml-Hierarchie, Ideologiepapst Igor Ligatschow, gutgeheißen worden sein. Ligatschow hat nie ein Geheimnis daraus gemacht, daß er die nuklearstrategischen Konzessionen Gorbatschows mißbüligt und ein Gipfeltreffen zum gegenwärtigen Zeitpunkt für wertlos, ja den Ei-geninteressen der UdSSR schädlich einschätzt. Nach der eiligen Rückkehr des Chefs in den Kreml wurde die politische Konstellation im Sinne Gorbatschows wieder korrigiert. Der beinahe geglückte Versuch, das nächste Gipfeltreffen und Gorbatschows Ambitionen zu torpedieren, zeigt jedenfalls, daß der neue Kremlherr, von Militärs, KGB und Falken im Politbüro bedrängt, noch keineswegs in allen seinen Aktionen freie Hand besitzt.

Die Öffentlichkeit in den USA reagierte auf die unverhüllte Revancheaktion des Kreml mit einem Aufschrei der Entrüstung über die Falle für einen Journalisten, der seine Aufgabe ernst nimmt und über jeden Zweifel an seinem beruflichen Ethos erhaben ist. Sogar entspannungsfreundliche Blätter spornten das Weiße Haus zu einer unerbittlichen Haltung an. Diese Rückwirkung war von den Sowjets in keiner Weise vorausgesehen worden. Der US-Präsident wurde ebenfalls in seinen Ferien in Kalifornien vom Ausbruch der Krise überrascht. Reagan unternahm daraufhin den ungewöhnlichen Schritt, Gorbatschow in einem Brief das Ehrenwort zu geben, Daniloff sei kein Spion, Es versteht sich von selbst, daß sich der Präsident vorher vom Hauptquartier des CIA hat bestätigen lassen, daß der Korrespondent eine weiße Weste besitzt. Doch der Kreml weiß es mit Sicherheit selbst zur Genüge.

Nach intensiven Verhandlungen zwischen State Department und Sowjetdiplomaten in Washington wurde ein Abkommen getroffen, das beide Zentralfiguren in beschränkte Freiheit entläßt, bis der jeweilige Prozeß durchgezogen werden kann. Mittlerweile scheint es Moskau mit der Ausweisung Danilof f s zu genügen; ein Prozeß unterbleibt, sofern die Amerikaner bereit sind, Sacharow nach einer bestimmten Frist nach Hause zu schicken.

So sehr sich US-Außenminister Shultz dagegen wehrt, den Moskau-Korrespondenten auf die gleiche Stufe wie den überführten Spion Sacharow zu stellen, wird die Gleichwertigkeit doch durch den gefundenen Kompromiß unterstrichen. Washington blieb keine andere Wahl, um ein unschuldiges Individuum vor Tortur und Kerkerhaft zu bewahren.

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