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Der Fall Doktor Pinter

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Glaube niemand, der Umbruch damals in Osterreich habe sich so jubelnd und glatt vollzogen, wie man es nachher im Kino geschildert sah und in den Wochenschriften. Oh nein, es ist viel Tragik nebenhergegangen, Rachsucht, Haß, Spannung, Verrat ... und schöne menschliche Kameradschaft.

Was, zum Beispiel, Doktor Pin-ter betraf, Vertrauensmann der alten, der österreichischen Regierung in Kärnten — der saß an jenem Freitag von elf bis fünf am Telephon, um aus Wien zu hören, wie er sich zu benehmen habe, und es hieß immer nur: ,3otweißrot

bis in den Tod“, „Widerstand bis zum letzten Hauch“. Um sieben Uhr abend aber plötzlich: „Wir weichen der Gewalt“, „wollen kein Bruderblut vergießen“ und .^rette sich* wer kann“.

Ja, „wer kann“! Doktor Pinter wird schwerlich mehr können. Vor dem Tor, undurchdringlich die Straßen entlang, überhaupt, so weit das Auge reicht, braust und brandet, tumultiert und tobt die aufgebrachte Masse der Jungen, droht alles zu zerreißen, was von der alten Regierung übrig ist.

Zeit zu überlegen hatte Doktor Pinter nicht, und lahm am rechten Bein ist er überdies. Er rechnete aus: Vielleicht, wenn ich mich durch das Fenster schwinge, mit einem Klimmzug auf den Erker darüber, dann auf das Dach—vielleicht, drei Dächer weiter in der andern Gasse ist die Feuerwehr — da, in der Halle muß das Auto der Bereitschaft stehen. Wenn ich Glück habe...

Und er hatte ausgemachtes, ganz unwahrscheinliches, tolles Glück. Nicht bloß das Auto war zur Stelle - schon mit Hakenkreuzen geschmückt — ein Löschmann stand da, Pinter kannte ihn gar

nicht, der Löschmann aber begrüßte den Herrn Doktor laut und herzlich — ob sich denn der Herr Doktor gar net erinnere, er sei doch des Herrn Doktors Kanzleidiener gewesen vor zwanzig Jahren ...

„Können Sie chauffieren?“ keuchte, schluchzte Pinter.

„Aber freilich“, und saß schon lachend, dienstbereit am Steuer. „Wohin denn?“

Pinter säbelte eine unbestimmte Prim in die Luft. „Zunächst vorwärts!“

So entkam der Vertrauensmann der Vaterländischen, Pinter, in einem hakenkreuzgeschmückten Wagen mitten durch die Menge, die ihn leidenschaftlich suchte, aus der Stadt.

Dann aber: Wohin?

Pinter griff in die Brusttasche. Er war doch da unlängst zu der geheimen Sitzung auf dem Sem-mering gewesen, als „Klempnermeister Schmidt“ ... Richtig, den Ausweis hat er noch. Doch damit über die Grenze kommen? An der jugoslawischen, der italienischen Grenze kennt aus unzähligen patriotischen Versammlungen jeder Zollwächter den Doktor Pinter wie den eigenen Vater...

Am besten untertauchen kann man in der Großstadt Von dort wird man eben weitersehen...

Sind Sie schon einmal auf der Flucht gewesen? Man wird hellhörig, feinsinnig wie ein Tier.

Doktor Pinter stand vor dem Schaufenster eines Wäscheladens in Wien und fühlte, ja, fühlte, daß ihn von hinten jemand beobachtete.

Dieser jemand, Pinter hatte sich umgewandt, trug einen schwar-

zen Melonenhut, dunkles Jackett über herkulischer Brust, gestreifte Pantalons, hellgelbe Schnürstiefel. Und damit nicht der geringste Zweifel bleibe: der Jemand hatte eine bunte Krawatte an mit einer Hufeisennadel, einen dicken Schnurrbart und zwei Augen. Detektiv. Im neudeutschen Wien.

Drei Sekunden Blickwechsel hin und her. Schon stand der Detektiv — nicht etwa vor Pinter, sondern sprungbereit an Pinters Seite; zückte mit einer kleinen Bewegung ein Stück Blech. „Erkennungsmarke, Polizei. Kommen Sie mit in den nächsten Hausflur. Bitte, unauffällig!“

Im Hausflur wiederum drei Sekunden Musterung. Ein Papier, lithographiert, wird entfaltet, kurz verglichen. Der Detektiv nickt zufrieden, tritt noch dichter heran. Handauflegen, einer schweren Hand, auf die Schulter. ,J.m Namen des Gesetzes: Sie sind verhaftet.“ — Und es ging auf das Kommissariat.

Da aber geschah etwas Unerwartetes. Vielmehr: es geschah nichts. Keine Vernehmung.

Sondern nach einer Stunde Wartens in einem Zimmer—unter stummer Bewachung—sah Pinter draußen einen Rettungswagen vorfahren, deutlich einen Rettungswagen; zwei Sanitätsmänner entstiegen ihm, jawohl, Sanitätsmänner, und brachten Pinter unter brummig-gütigem Zureden zunächst zum Wagen; schlössen sich mit Pinter im Wagen ein; brachten Pinter in langer Fahrt nach einem Parktor; von da in ein Haus. Pinter hatte immer mehr zu staunen.

Wieder eine Stunde darauf staunte Pinter nicht mehr. , JJerr... Klempnermeister Schmidt“, sagte zu ihm ein wohllautender Würdenträger, den man hier als Professor ansprach und Primararzt. „Herr Klempnermeister Schmidt“ — und der Primararzt begleitete dies „Schmidt“ mit einem leichten Zwinkern — „ich sehe ein, daß ein bedauerlicher Mißgriff geschehen ist. Aber sagen Sie selbst, Herr Schmidt, lesen Sie die Personsbeschreibung des Obersten Forlani, der uns da aus der Pflegeanstalt entsprungen ist, eines ma-niakalischen, äußerst gefährlichen Irren—und Sie werden zugeben, Herr Klempnermeister Schmidt“ — süffisantes Zwinkern — „daß jede Silbe des Steckbriefs auf Sie zutrifft: Alter 50, Größe 190, überschlank, Hakennase, Monokel im linken Auge — vor allem: lahmt am rechten Bein.“

Pinter wand sich und hauchte: „Gewiß, ich sehe ein... Immerhin, der Mißgriff hätte nicht geschehen dürfen.“

„Sie haben recht, Herr Klempnermeister Schmidt“ — Das Zwinkern. — „Sie können sich auch bei meinen Vorgesetzten beschweren. Ich in Ihrer Lage aber“ — das Zwinkern — „tat es nicht“

„Warum nicht?“ fragte Pinter lauernd, zerstreut und schüchtern.

Der Herr Primararzt ging nach der Tür, überzeugte sich, daß niemand horchte, schloß die Tür sorgfältig und sprach:

„Weil Klempnermeister keine gute Maske für Sie ist Klempnermeister sind nicht 190 groß, überschlank — vor allem tragen sie im linken Auge kein Monokel. Ich bin guter Österreicher, habe viele Ver-

sammlungen besucht, wo Sie geredet haben. Meines Personals glaube ich sicher zu sein. Ich riskiere Ihnen zu raten: bleiben Sie hier, einstweilen als geistesgestörter Oberst Forlani. So sicher wie bei uns sind Sie nirgend sonst, Herr... Doktor Pinter.“

Am selben Abend, in einem Vergnügungslokal des neunten Wiener Stadtbezirks, beobachtete ein Detektiv, diesmal ein glattrasierter, einen Gast, der ihm verdächtig schien; verglich den Steckbrief: „Alter 50, Größe 190, überschlank, Hakennase, Monokel im linken Auge — besondres Kennzeichen: lahmt am rechten Bein.“

Schon war der maniakalische Irre Oberst Forlani verhaftet.

Auf dem Kommissariat tobte er, behauptete, die Königin Kleo-patra zu sein.

Der Kommissär setzte sich zu ihm, zwang auch ihn auf einen Stuhl nieder und sprach gütig:

„Saan S' g'scheit, machen S' kaane Spamf ernadeln — der Steckbrief stimmt aufs Haar. Sö saan erkannt I bin a Beamter aus der guten ölten Schule — i will Ihnen ja eh helfen, wo nix gegen Ihnen vorliegt als wie Tätigkeit fürs gewesene Vaterland. I gib Ihnen an Ausweis auf irgend an Decknamen, meinetswegen „Schlossermeister Maier“—machen S' Ihnen auf die Strumpf und schaun S\ daß Sie noch heut nacht in die Tschechoslowakei nüber kommen, Herr... Doktor Pinter.“

Aui dem unveröffentlichten Nachlaß des 1945 in New York verstorbenen Autors; mit anderen Texten erscheint diese Erzählung demnächst im „Großen Roda Roda-Album , herausgegeben von Manfred A Schmid in der Edition S, Wien.

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