7033789-1989_41_06.jpg
Digital In Arbeit

Der „fehlbare“ Petrus

Werbung
Werbung
Werbung

Nicht um das Dogma von der Ex-cathedra-Unfehlbar-keit des Papstes geht es hier, sondern um das Spannungsfeld, in dem der Träger des Petrusamtes (und damit die Kirche) steht.

Wer in der Kirche arbeitet, wer in ihr ein segensreiches Instrument sieht, wer seine Kirche liebt, wer nachdenkt über Wesen und Funktion der Kirche - der wird gut daran tun, mit dem Apostel Petrus ins Gespräch zu kommen. Denn wo Petrus ist, da ist ansatzweise und beispielhaft alles da, was einmal die Kirche beschäftigen wird. In diesem Sinn haben die Katholiken schon recht, wenn sie sagen: Ubi Petrus, ibi ecclesia. Der Apostel Petrus ist tatsächlich eine Symbolfigur für „Glanz und Elend“ der Kirche geworden. Und darum ist es gut, Matthäus 16/13-23 zu lesen -zur heilsamen Ernüchterung.

Um doch voller Hoffnung in einer Kirche leben zu können, die „elend ist und zerrissen, und arges Schauspiel vor unseren Augen“ - wie es Johannes Calvin, einmal im Gebet formuliert hat. Petrus ist seligzupreisen, wenn

auch für ihn das Glücksgefühl gläubiger Ergriffenheit und theologischer Erkenntnis kurz war. Petrus ist seligzupreisen, denn er hat den Rabbi Jesus von Nazaret durchschaut. Er hat begriffen, wer Jesus eigentlich ist: „Du bist der Messias. Du bist der Sohn des lebendigen Gottes!“

Man liest den alten Text und hört es theologisch knistern. Und Jesus antwortet. Aber er sagt nicht: Gratuliere Petrus, jetzt hast du die Anstellungserfordernisse für einen Pfarrer erbracht. Sondern er sagt: Petrus, jetzt ist der Geist Gottes in dich gefahren! Doch Jesus spricht weiter. Es sind noch nie gehörte Worte. Petrus erfährt, wozu er nach Gottes Ratschluß vorherbestimmt ist.

Aber schon bahnt sich die Katastrophe an. Aus der Bekenntnis-Geschichte wird im Handumdrehen

eine Versuchungsgeschichte. Ihm ist, als würde eine innere Stimme zu ihm sagen: Wenn du der Fels bist, auf dem der Gottessohn seine Kirche bauen will, dann laß nicht zu, daß dieser Jesus von Nazaret in sein Verderben rennt. Und Petrus erkennt die besondere Bedeutung seiner Funktion und daß jetzt alles an ihm liegt - und er versagt. Die göttliche Zusage ist ihm zur Versuchung geworden.

Wenn es stimmt, daß dort wo Petrus agiert, ansatzweise bereits die Kirche agiert, so läßt sich etwas überspitzt formulieren: gleich die erste Handlung dieser Kirche ist falsch. Kaum hat Petrus sein Christus-Bekenntnis abgelegt, so weiß er es schon besser als der Christus,-der Sohn Gottes: „Herr, geh nicht nach Jerusalem!“ Mit der ersten Leidensweissagung - da ist Jesus bei Petrus theologisch durchgefallen. Das darf nicht sein. „Herr, das soll dir nicht widerfahren.“ Und die Reaktion Jesu: „Weg mit dir, du Teufel!“

Petrus, der Mann der Kirche, begreift Jesus nicht. Und daher sieht er auch nicht den Weg für sich selber. Wie sollte Jesus einen Weg gehen, der für Petrus selbst aber schon gar nicht in Frage gekommen ist. Das Urteil Jesu ist vernichtend: „Petrus, was du mir vorschlägst, ist teuflisch.“ Jesus besteht hier sozusagen die vierte große Versuchung.

Wenn es stimmt, daß dort, wo Petrus agiert, ansatzweise die Kirche agiert, so läßt sich etwas überspitzt formulieren: Petrus, was du mir vorschlägst, ist teuflisch, das

heißt so viel wie: Kirche, was du mir vorschlägst, ist teuflisch.

Die Tragik des Petrus: Trotz bester menschlicher Absichten ist er dem Christus zum Antichrist geworden. Wer auf diesem Hintergrund etwas von einem „Petrus-Amt“ hört, versteht die tiefe Skepsis und Kritik der Reformatoren. Sie wollten die antichristliche Ver-suchbarkeit der Kirche nicht auch noch institutionell verankert haben.

„Petrus, was du mir vorschlägst, ist teuflisch!“ Jesus selbst ist also zum ersten Kritiker der ansatzweisen Kirche geworden. Er selbst war der erste Reformator, weil er seine

Kirche auf den richtigen Weg zurückgerufen hat - gegen Petrus. Jesus selbst stellt also die Kirche als „ecclesia Semper reformanda“ vor. Nur so kann sie ja überhaupt Kirche sein.

Nicht ohne Grund hat Aldo Com-ba, Pfarrer der Waldenserkirche, die Kirchengeschichte eine „Geschichte der ständigen Gegenreformation“ genannt. Reformation bedeutet dann: in der Kirche mit Jesus gegen die Kirche aufzutreten - in der Hoffnung: daß die Kirche auf den richtigen Weg zurückfindet.

Worum ist es gegangen zwischen Jesus und Petrus? Es geht um das Zentrum, das Innerste des Glaubens. Darum sagt ja auch Jesus zu ihm: „Du Teufel!“ Das Teuflische des Petrus und - wieder etwas überspitzt formuliert - das Teuflische der mit ihm ansatzweise gegebenen Kirche liegt darin: Petrus und „seine“ Kirche wissen es besser als Jesus.

Petrus sagt nicht: Jesus - du bist der Weg. Sondern: Jesus - ich weiß für dich einen besseren Weg! Jesus,

du bist doch ein hoffnungsloser Idealist. Du rennst in dein Verderben. Aber Petrus muß relignieren: Dieser Jesus läßt sich nichts sagen. Und Petrus überlegt: Aber vielleicht hindert Jesus wenigstens uns nicht, „in seinem Namen“ einen anderen Weg zu gehen. Und immerhin -Petrus hat wirklich menschenfreundliche Motive. Er hat wirklich Angst um Jesus.

Doch Jesus sagt zu Petrus: Du Teufel! Weg von mir. Du bist mir ein Fallstrick. Denn du hast nicht im Sinn, was göttlich, sondern was menschlich ist.

Diese Geschichte ist ein unverzichtbares Lehrstück, macht sie doch klar, wie problematisch jeglicher - bis heute fröhliche Urständ feiernder - „Bekenntnisfetischismus“ ist. Das theologisch richtige Bekenntnis j führt nicht ex opere operato auf den richtigen Weg zum richtigen Handeln. Gerade in Kirchen, wo man zur Sicherung der richtigen Lehre und des richtigen Bekenntnisses auch nicht vor unchristlicher Gewalt zurückschreckt, klaffen oft Abgründe auf zwischen Orthodoxie und Orthopraxie.

„Du bist der Christus, der Sohn

des lebendigen Gottes!“, hat Petrus zu Jesus gesagt. Aber das hat ihn nicht gehindert, bald darauf in die „Rolle des Teufels“ zu schlüpfen und Jesus zu versuchen. Das Scheitern des Petrus sollte hellhörig machen in einer Zeit, wo sich nicht nur eine gewisse Freude an der Formulierung neuer Bekenntnisse zeigt, sondern der Maschinenpark kirchlicher Öffentlichkeitsarbeit kaum mehr zur Ruhe kommt: Kommuniques, Resolutionen, Worte zu allem und jedem - und alle wissen sie den richtigen Weg wie Petrus. Aber wer wird den Weg gehen, den alle diese Texte weisen? Werden die Leute nicht immer einen für sie besseren Weg finden - wie damals Petrus?

Das alte biblische Lehrstück in Matthäus 16 kann aber auch vor der „evangelikalen Versuchung“ bewahren: „kann“ - denn selbstverständlich ist das nicht. Wer heute „Jesu geh voran“ singt, könnte morgen schon ein ganz anderes Vorbild finden. Es ist nicht vergessen, daß 1938 in Wien einige besonders from-

me Leute Hitler mit Psalm 118 begrüßt haben: „Das ist der Tag, den der Herr macht. O Herr hilf, o Herr laß wohlgelingen. Gelobt sei, der da kommt in dem Namen des Herrn.“

Vielleicht kann das Petruserlebnis aber auch zu einer nüchternen Einstellung zu den modernen Bekenntnissen helfen. Zugegeben, es ist sinnvoll, wenn in heutigen Bekenntnissen und ähnlichen Texten nicht mehr das Vaterland, die Treue und Ehre, der Gehorsam, Ehe und Familie, stehen, sondern der Frieden, die Abrüstung, die Dritte Welt, der Hunger, die Apartheid, die Bewahrung der Umwelt und so weiter. Aber es könnte den „Bekenntnis-Fabrikanten“ dann wie Petrus gehen: daß sie mit dem richtigen Aufgabenkatalog in der Hand andere Ziele betreiben, faule Kompromisse schließen, ja sich verkaufen.

Für exegetisch gebildete Leute ist jetzt noch hinzuzufügen: Natürlich ist Matthäus 16 in der vorliegenden Form eine Komposition des Evangelisten. Die in diesem Kapitel enthaltenen Geschichten sind sehr wahrscheinlich nicht so hintereinander geschehen, wie sie hier stehen. Aber es ist wohl kein Zufall, daß Matthäus die erste Leidensweissagung gleich nach dem Bekenntnis des Petrus bringt.

Matthäus hat das bestimmt absichtlich getan. Er war eben ein kirchenpolitisch sehr sensibler Mann, der gewußt hat, daß ein verhängnisvoller innerer Zusammenhang zwischen Bekennen und Versagen besteht. Wenn man beim Evangelisten

Lukas etwas über die Liebe zu den Armen und Verachteten lernen kann, dann bei Matthäus über Kirchenpolitik, -gerade weil dieses Evangelium die Bergpredigt enthält.

Matthäus hat aber nicht nur ein Lehrstück dargeboten in Sachen realistische Einschätzimg wohlklingender Bekenntnisse und selbstkritischer Kirchenpolitik. Gerade sein ernüchternder Bericht über das Versagen des Petrus ist ja erst recht geeignet, Mut zu machen. Denn er erzählt ja nichts davon, daß Jesus seinen Auftrag an Petrus oder an die Kirche zurückgenommen hätte. Es gilt: Christus baut seine Kirche auf einen Felsen. Nur, was vor Christus ein Felsen ist, nimmt sich vor menschlichen Augen oft recht armselig, klein, ängstlich und ratlos aus.

Hier leuchtet christliche Hoffnung auf: Allem Versagen zum Trotz wird Gott mit den konkreten Christen und auf sie seine Kirche bauen, auch wenn sie ihn verleugnet und verraten haben wie Petrus. In Abgrenzung gegen jedes traditionelle Si-cherheits- und Sicherungsstreben -sozusagen in der Nachfolge von Christus und Matthäus - ist festzuhalten: Nicht der „unfehlbare“ Petrus ist es, auf dem Christus seine Kirche errichten will, sondern es ist der „fehlbare“ Petrus, der Sünder und Versager, der als Fundament nach Christi Willen ausersehen ist.

Es ist zweifellos ein Stück Genialität der römisch-katholischen Tradition, daß sie gerade diesen Petrus als ihren ersten Papst anbietet und damit das „Petrusamt“ im Spannungsfeld zwischen Christus und Antichristus ansiedelt. Dieses Wunder nach Matthäus 16 macht die Kirche aus. Es macht Mut zu scheitern und wiederaufzuerstehen, umzukehren und nach „Jerusalem“ zu gehen. Und viele Christen gehen in unserer Zeit diesen Weg. Die „Volkskirche“ ist dabei nicht ausgeschlossen - sie wartet nur manchmal noch wie das Dornröschen auf den richtigen Prinzen, der sie wachküßt!

Der Autor ist Superintendent der Evangelischen Kirche H. B. in Österreich.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung