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Der Feldkaplan der Revolution

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A. Silberstein, führender Funktionär des Studentenkomitees von 1848, über Anton Füster, Feldkaplan der Wiener Akademischen Legion: Füster war eine eigentümliche Figur. Der Umstand, daß der obskure katholische Pfaffe gegenüber den im März phrasenvollen Professoren treu und redlich, ja mit Aufopferung ausgehalten hat, erhöhte noch die Zuneigung zu ihm. Und so sah Füster sich bald an der Spitze und die Jugend um ihn geschart. Er hat die Arbeiter auf dem Weg gehalten, den sie selbst betraten.

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A. Silberstein, führender Funktionär des Studentenkomitees von 1848, über Anton Füster, Feldkaplan der Wiener Akademischen Legion: Füster war eine eigentümliche Figur. Der Umstand, daß der obskure katholische Pfaffe gegenüber den im März phrasenvollen Professoren treu und redlich, ja mit Aufopferung ausgehalten hat, erhöhte noch die Zuneigung zu ihm. Und so sah Füster sich bald an der Spitze und die Jugend um ihn geschart. Er hat die Arbeiter auf dem Weg gehalten, den sie selbst betraten.

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Es ist leichter, eine Revolution zu machen, als deren Fortsetzung oder Wiederholung zu verhindern. Das bekamen 1848 die Bürger und Aristokraten des Niederösterreichischen Gewerbevereines, die Schriftsteller, Künstler und Schauspieler der „Concordia“ und die Koryphäen des Juridisch-politischen Lesevereines zu spüren. Für sie war des Guten genug getan, als das System Metternich gestürzt und die Kontrolle der Macht im Staate, gestützt auf ein ihren Interessen dienendes Privilegienwahlrecht, in ihren Händen zu sein schien. Eine aus dem Bürgertum rekrutierte Nationaigarde sollte nicht für den Fortgang der Revolution kämpfen, sondern die neuen Machtinhaber vor den Anschlägen schwarzgelber Reaktionäre oder roter Revolutionäre schützen. Als in den Wiener Vororten der Aufruhr weiterging und „das Gesindel der Proletarier plünderte, sengte, verbrannte und wütete“, zögerten die bürgerlichen Garden nicht, von ihrer Schußwaffe genauso Gebrauch zu machen, wie ehedem das Militär der Ära Metternich. Und bald schössen auch Garden auf Garden, nämlich auf jene, die aufbegehrten, weil sie nicht zum Kreis der neuen privilegierten Herrschaftsschicht gehörten. Für die nach wie vor politisch diskriminierten Kleinbürger, Proletarier und Intellektuellen war die Revolution im Frühjahr 1848 nicht zu Ende, sie fing vielmehr erst richtig an.

Die wirklichen Revolutionäre

Die Wiener Oktoberrevolution war im Gegensatz zu den Märzereignissen des Jahres 1848 nicht das Werk des Besitzbürgertums und der mit diesem verbündeten Interessenten-gruppen, und auch nicht ein spontan ausbrechender Massenaufstand der ins Unrecht Gesetzten, Mittellosen, Schwachen. Wie in jeder Revolution, die aufs Ganze geht, waren es, soweit nicht jüdische Intellektuelle hervortraten, kleine, selbstausgewählte Eliten, die sich „normalerweise“ in ihrem elitären Herkunftsmilieu nicht durchsetzen konnten und Revolution machten: Ehemalige Offiziere, wie der Verteidiger der Stadt gegen die Kaiserlichen, Wenzel Messenhauser (Oberleutnant nach 25 Jahren), dessen Stabschef Ernst Haug und sein Adjutant Daniel Fenner von Fenneberg. So wie der exaltierte Fenner, kämpfen zahlreiche Aristokraten gegen die Kaiserlichen, unter ihnen der Kommandant proletarischer Mobilgarden, Eduard Preßlern von Sternau, der wie Robert Blum zu den ersten gehörte, die nach der Revolution erschossen wurden. Um den Kern der militärisch organisierten Akademischen Legion sammelten sich Intellektuelle und Künstler, unter ihnen der Portraitmaler Josef Aigner, nachher als Kommandant der Legion zum Tode verurteilt. Und wie in jeder Revolution tauchten Geistliche auf, die schließlich ihre Soutane an den Nagel hängten.

Silberstein hat in der eingangs zitierten Feststellung herausgestrichen, worauf es den Revolutionären im Falle der Beteiligung eines Priesters ankommt: Willkommen ist ihnen nicht die priesterliche Existenz, sondern die Sensation, daß ein katholischer Geistlicher auf die Barrikaden geht. Diese Sensation machte auch Füster, der vor der Revolution nur in akademischen Kreisen bekannt war, über Nacht stadtbekannt. Für viele Revolutionäre, aber auch für Gegner der Revolution, war Füster nicht mehr als Staffage. Man bediente sioh nach Bedarf seiner Popularität, ohne ihm politischen Einfluß zu öffnen. Als während der Revolution im Unterrichtsministerium der Posten eines Unterstaatssekretärs zu besetzen war, übergingen die Revolutionäre vom Fach den Professor für Religionswissenschaft und Pädagogik Füster und gaben das Amt lieber einem Freiherrn, der zu ihrem Clan gehörte. Füster blieb zum Schluß die

Ehre, daß er nach der Revolution der einzige Universitätsprofessor war, der wegen seiner Teilnahme an der Revolution vom Lehramt enthoben wurde.

Füster, auch Fister, wurde 1808 in Krain geboren. Zum Teil slowenischer Abstammung, bekannte er sich in der Revolution mit Begeisterung zu „seinem deutschen Volk“. Als „deutscher Prediger“ wurde er auch zunächst nach Laibach und Triest berufen. Seine mitreißende Beredsamkeit fiel auch in Kreisen auf, in denen man es sich damals bereits überlegte, einen Pfaffen predigen zu hören. Erstmals geriet Füster mit liberalen und deutschnationalen Intellektuellen in Kontakt. Diese hatten das Gespür für gewisse Untertöne, die sie in den halbfertigen Aussagen und Andeutungen Füsters zu hören glaubten. Sie glaubten es mit einem Priester zu tun zu haben, der quasi in Chiffren das ausdrückte, was im Vormärz Freisinnigen zu sagen verboten war.

Füster, seit 1843 Doktor der Philosophie, bewarb sich 1847 um die Professur für Religionswissenschaft an der Philosophischen Fakultät der Wiener Universität und bekam den Posten innerhalb von 14 Tagen. Mit dem Lehramt war die Funktion eines „akademischen Predigers“ verbunden. Zu dem Dilemma wegen der nationalen Herkunft kam jetzt ein Inferioritätsgefühl, das der gutmütige aber ehrgeizige Füster als „bloßer Religionslehrer“ gegenüber wissenschaftlich tätigen Professorenkollegen, namentlich jenen der Theologischen Fakultät, empfinden mußte. Füster unterrichtete nämlich nur in dem zweijährigen Lehrgang, der Absolventen des damals sechsjährigen Gymnasiums eine „höhere Allgemeinbildung“ vermitteln sollte, bevor diese ihr Fachstudium an einer der vier Fakultäten beginnen konnten. Schon vor 1848 dachte man in Kreisen der Unterrichtsverwaltung daran, das Fach Religion aus der Zahl der „eigentlichen Gegenstände“ des zweijährigen Lehrgangs zu streichen. Man argumentierte, daß „geistreiche Lehrer“, wie Bernard Brentano und Jakob Frint, oft geneigt gewesen seien, das fragliche Fach „entgegen seiner Natur zu einem streng wissenschaftlichen Fach emporzuschrauben“. Und so sei Bolzano in den „Verdacht der Irrgläubigkeit geraten“ und der Vortrag anderer hätte oft „mehr Zweifel zu erregen und zu bestärken als zu lösen vermocht“. Es war die Zeit, in der in Österreich die alten Josephiner ausstarben. Die jüngere Intelligenz wollte auf die weitere Benützung der Kirche als Instrument des Staates verzichten und eher auf die Trennung von Staat und Kirche hinarbeiten. Viele Geistliehe begrüßten ein Ende ihres unwürdigen Daseins als Quasi-Staats-bedienstete; aber nur wenige erkannten die zweite Intention der künftigen Neuerung: die Beförderung der Religion in eine Enklave, und zwar sowohl an der Universität wie im ganzen Staat, und die Ausfüllung des entstehenden Leerraumes mit den Ideen des liberalen Zeitgeistes. Noch in der Ära Metternich kam die Räson auf, daß ein Geistlicher, der von der Kanzel predigt, dem Staat nützlicher sein kann als einer, der Inhaber einer akademischen Lehrkanzel ist. Exhorten, zur „Anregung des Gemüts und Belebung der religiösen Gesinnung“ schienen der Unterrichtsverwaltung des Vormärz zweckmäßiger zu sein, als die „Last des Lehrfachs“. Und die Exhorte war jeweils die große Stunde des akademischen Predigers Anton Füster. Der Gedanke, daß im katholischen Österreich ein katholischer Priester von der Kanzel eine Revolution ausrufen könnte, stand offenbar höheren Orts nicht in Erwägung.

Füster war bereits von der Aureole eines wortgewaltigen, fortschrittlich und freiheitlich gesinnten Geistlichen umstrahlt, als er in der Exhorte vom Sonntag, dem 12. März 1848, vor den Studenten über die Wahrheit und die Freiheit sprach. Wie so oft, hat Füster an diesem Tag keine neue Wahrheit verkündet. Es war eine „Neue Sprache“, die aufwühlend wirkte und die neue Wahrheit in Freiheit zu versprechen schien. Während Füster auf der Kanzel stand, wurde in der Hofburg bereits mit den Vorhuten der Revolution unterhandelt. Und so hörten die Studenten kein Wort zum Sonntag, sondern einen politischen Kampfauftrag. Tags darauf fielen die ersten Schüsse.

Füster wurde im März 1848 weder von Staats wegen noch kirchlicher-seits zum „Feldkaplan“ der Akademischen Legion bestellt. Auch in dem detaillierten Organisationsstatut der Legion scheint diese Funktion nicht auf. Füsters „Kaplanstätigkeit“ ging in eine politische und nicht in eine religiös-kirchliche Richtung. Als Religionsdiener einer „Religion der Freiheit“ praktizierte er im politischen Sinn das, was er einmal als eifriger Priester erlernt hatte: er predigte, diesmal über die Freiheit im Politischen; er hörte sich jene an, die sich an seinem Freiheitsideal versündigten und suchte sie mit allen Mitteln auf den rechten Weg zu bringen; er half, riet, ermutigte und befeuerte.

Der politische Alltag machte Füster keine Freude. Nur widerstrebend ließ er sich als Kandidat für die erste Reichstagswahl nominieren. Die üblichen Methoden der Wahlwerbung waren ihm herzlich zuwider. Und seine Fraktionskollegen auf der äußersten Linken hatten die größte Mühe, ihm wenigstens eine gewisse Fraktionsdisziplin beizubringen. Er redete, wie ihm der Schnabel gewachsen war, und so kam es, daß zuletzt verschiedene Fraktionen behaupteten: Er war unser. Menschlich geriet er inmitten des erstarrenden Fraktionismus in eine trübselige Vereinsamung, aus der ihm seine studentischen Freunde vergebens befreien wollten.

Füster hat an dem 1848 beginnenden Aufbruch der katholischen Volksbewegung in Österreich fast keinen Anteil genommen. Der kämpferische Katholizismus, der nach dem Josephinismus den aufkommenden Liberalismus soharf anging, war night sein Fall. Wo Füster mit den in Gründung begriffenen Klerusversammlungen und Pastoralkonferenzen in Kontakt geriet, verlief die Begegnung für beide Teile unerquicklich. Anderseits hat er sich auch nicht mit der 1848 aufkommenden „deutsch-katholischen Bewegung“ eingelassen, obwohl er selbst viele der Forderungen, die diese Bewegung vertrat, ständig im Mund führte: Abschaffung der päpstlichen und bischöflichen Autorität, Aufhebung aller Klöster, Beseitigung des Schaugepränges, Abschaffung des Zölibats usw. Was Füster trotz seines zuletzt uferlosen Konflikts mit der Kirche blieb, das waren unverlierbare Reste einer priesterlichen Existenz, die ihn zum Beispiel abgehalten haben, seinen Abfall beim sexuellen Problem zu beginnen. Er blieb unverheiratet.

Füster griff primär Mißstände in Staat und Gesellschaft an. Sein Konflikt mit der Kirche verschärfte sich in den Fällen, in denen er auf eine Kirche stieß, die der Josephinismus zu einer Dienerin des Staates herabgewürdigt hatte. Einmal in Konflikt geraten, erlebte Füster das Finale jener Priester, deren intellektuelle Unruhe sie dazu bringt, ihre priesterliche Existenz hintanzusetzen, Mitläufer einer zeitbedingten Ersatzreligion zu werden und sich darin durch besondere Radikalität zu bestätigen.

Nach der Oktoberrevolution schützte Füster seine Immunität als Abgeordneter vor einer Aburteilung durch eines der Standgerichte, denen viele seiner Gesinnungsfreunde zum Opfer fielen. Der nach Kremsier verlegte Reichstag wählte ihn in den Ausschuß für Schul- und Cultusan-gelegenheiten. Es war eine herbe Enttäuschung für Füster, als seine radikalen Freunde ihn baten, bei den Ausschußberatungen über kirchliche Materien besser zu schweigen. Schon wurde er als Belastung empfunden. Da war es ein Glück, daß Füster knapp vor Auflösung des Reichstags aus Österreich fliehen und schließlich in die USA einwandern konnte.

Füsters nie gedruckten und leider auch wenig bearbeiteten Erinnerungen an die fast 30 Jahre seiner Emigration lassen nur undeutlich erkennen, wie miserabel es ihm zuweilen in den USA gegangen ist. Aus Mitteilungen Hans Kudlichs geht hervor, daß Füster im Land der unbegrenzten Möglichkeiten, dessen Bürger er wurde, nur sehr bescheidene Existenzmöglichkeiten von Fall zu Fall erlangen konnte. Hundert Jahre nach Kudlich hat E. Wilder Spaulding (Wien, 1968) beschrieben, wie schwer es Füster wurde, sioh in amerikanische Verhältnisse einzuleben. Demnach sei Füster trotz seines Enthusiasmus für sein „neues Vaterland“ eine „quite un-American type“ gewesen. Wie in vielen anderen Fällen widerstand auch Füsters österreichertum der Amerikanisierung. Und so machte sich 1876/77 der inzwischen fast siebzig Jahre alt gewordene legendäre Feldkaplan der 48er-Revolution auf die Heimreise. Die daheim gebliebenen 48er-Revolutionäre waren inzwischen zum Teil hoch hinaufgekommen: So auch Karl von Stremayr, der um diese Zeit Unterrichtsminister und Vorsitzender des Ministerrates war. Aber Stremayr hob weder die Suspendierung Füsters“ ex 1818 auf, n?JcTTunfernahm er etwas, um dem jahrelang im Schuldienst tätig gewesenen eine Gnadenpension zu verschaffen. Füster blieb auf private Zuwendungen angewiesen. Die letzten Lebensjahre verbrachte er in einem Kabinett als Untermieter eines Gemischtwaren-händlers im Hause Salesianergasse Nr. 8. Manchmal war er so bedrückt, daß er daran dachte, noch einmal auszuwandern.

Am 12. März 1878, am Jahrestag der Exhorte vom März 1848, starb Füster. In der Öffentlichkeit wurde die Frage des kirchlichen Begräbnisses für den seit 1848 suspendierten Geistlichen mächtig hochgespielt. Aber beim Begräbnis Füsters auf dem Wiener Zentralfriedhof hat ein katholischer Priester dieselben Gebete gesprochen, die der katholische Priester Anton Füster 1848 auf dem Schmelzer Friedhof vor den offenen Gräbern der Märzgefallenen gesprochen hat. Nach der Einsegnung in der Karlskirche bemächtigte sich die politische Öffentlichkeit von damals des Anlasses, um vor der Kirche eine Massenkundgebung abzuhalten. Da standen in den Reihen der Prominenten neben einander Georg von Schönherr und der jüdische Oberkantor Professor Sulzer; Viktor Adler, Engelbert Per-nerstorfer und die Honoratiorenpolitiker der arrivierten Bürgerparteien; und es chargierten die Burschenschaft „Albia“, deren Couleur Theodor Herzl noch im selben Jahr tragen sollte, sowie die „Libertas“, die es sich schon zugute hielt, die erste „judenreine“ Korporation zu sein. Die Büchse der Pandora war noch unter Verschluß. Füster war 1848 und auch nachher gegen die „Sezession der Völker“ aus Altösterreich. Er hätte sich mit der konstitutionellen Monarchie abgefunden. Was Füster zeitlebens bekämpfte, war ein System, das nicht nur seinen humanen und liberalen Ansichten widersprach, sondern dem er die Erhaltung des Vielvölker-reiches in Mitteleuropa nicht zutraute. Der Tod hat Füster erspart, jene Ersatzlösungen auch nur zu erahnen, die bis dato auf dem Boden Altösterreichs versucht worden sind.

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