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Der Friedensfunke ist übergesprungen"

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Die Rede des amerikanischen Präsidenten Ronald Reagan, mit der er am 31. März die Sowjetunion zu Verhandlungen über einen Abbau der Nuklearwaffen aufforderte, war kein Zufall. Wahrscheinlich hätte sich Reagan vor einem Jahr nicht träumen lassen, daß er sie so halten würde. Und noch immer ging sie vielen zuwenig weit.

Das heißt nicht, daß die Nordamerikaner plötzlich alle zu Pazifisten, einseitigen Abrüstungsanhängern und Bombenvernichtern geworden wären, obwohl man bei ihnen immer auch eine unheilvolle Vermengung von heiliger Begeisterung und unheiliger Naivität einkalkulieren muß.

Es heißt nur, daß das große Nachdenken über den Wahnsinn des Wettrüstens jetzt überall mit Macht und unaufhaltsam eingesetzt hat: So wie bisher kann es nicht weitergehen!

Deshalb haben führende Senatoren beider Kongreßparteien im Senat der USA eine Entschließung eingebracht, die von der Regierung verlangt, der Sowjetunion Verhandlungen über einen paritätischen und überwachbaren Abbau der nuklearen Rüstungspotentiale anzubieten.

Den Ausgang nahm die Bewegung von lokalen Bürgerversammlungen, wie sie neben der Schweiz auch in Neu-England, dem Kernland der USA an der Atlantikküste, noch üblich sind und auf denen gewöhnlich über Schulfragen und Straßenbauten palavert wird.

Stadträte und Landtage schlössen sich den Appellen, die vielfach auf ein Einfrieren der nuklearen Waffenarsenale zielen, dutzendweise an — auch in anderen Staaten, nicht zuletzt in Reagans Heimatstaat Kalifornien.

Bücher zum Thema Frieden sind zu Bestsellern geworden. Beruf sgruppen organisieren sich für Friedensaktionen: Arzte, Juristen, Wirtschaftsmanager. Und ein ganz starker, wenn nicht der entscheidende Impuls kommt von den Religionsgemeinschaften.

Uber 70 der 368 römisch-katholischen Bischöfe der USA engagieren sich nachhaltig für die Friedenskampagne. Die gesamtkatholische Bischofskonferenz plant eine Erklärung. Auch der Nationale Rat der Kirchen, der 40 Millionen Protestanten vertritt.hat sich für ein Einfrieren der Atomrüstungen ausgesprochen.

Rabbi Alexander Schindler, Präsident der Union hebräischer Gemeinschaften der USA, erklärte: „Die nukleare Abrüstung wird die zentrale moralische Frage der Achtziger jähre sein, wie es Vietnam in den Sechziger jähren gewesen ist."

Diesem Klima der moralischen Mobilisierung, für welche die USA immer noch größtes Hoffnungsgebiet sind, kann auch die Regierung Reagan sich nicht entziehen.

Es gibt aber auch immer mehr Anzeichen dafür, daß selbst in Osteuropa, vor allem in der DDR, der Funke der Friedensbewegung nicht mehr auszutreten ist. Der Druck nimmt auch dort zu, wenngleich unter viel schwierigeren Bedingungen und daher mit viel geringerer Wirksamkeit. Und er kommt auch dort vor allem von den Kirchen.

Das ist für alle Friedensfreunde eine Stunde großer Hoffnung, daß wieder und weiter verhandelt wird. Präsident Reagan hat angekündigt, daß eine neue Runde für die Verringerung strategischer Rüstungen (früher SALT, jetzt START = Strategie Arms Reduc-tion Talks) „in diesem Sommer" beginnen soll.

In Genf wird seit 30. November 1981 über eine Beschränkung nuklearer Mittelstreckenwaffen in Europa verhandelt. Und in Wien laufen seit 1973 Verhandlungen über eine Reduktion der konventionellen, also der nicht atomar bewaffneten Streitkräfte.

Die Wiener Verhandlungen sind ein historisches Unikum insofern, als noch nie in Friedenszeiten nicht zwei Staaten, sondern zwei Bündnissysteme über Abrüstung verhandelten: 12 NATOStaaten und. sieben Länder des Warschauer Paktes. Sie liegen miteinander seit bald neun Jahren im Clinch. Aber sie stimmen eigentlich überein: Wenn die Bosse ganz oben es möchten, wäre eine Einigung rasch erzielt!

Schon heute ist man sich einig über das Gebiet des Truppenabbaus (Mitteleuropa im weiteren Sinn), über zwei Reduktionsphasen und über anzustrebende Obergrenzen (nicht mehr als 900.000 Mann auf beiden Seiten, alle Waffengattungen eingeschlossen.)

Hauptstreitpunkte sind die „Datenfrage" und das Inspektionsproblem. Man konnte sich bis heute nicht einigen, wie viele Soldaten der Westen und der Osten heute im Reduktionsraum stehen haben. Rund 150.000 bis 160.000 Mann auf östlicher Seite sind umstritten: Gibt es sie oder sind sie Phantome?

„Das ist doch beim heutigen Technologiestand kein Problem", beschönigt Jurij Scharkow, Sprecher der sowjetischen Verhandlungsdelegation. Er verweist auf den vom Warschauer Pakt vor kurzem eingebrachten Vertragsentwurf, der zunächst einmal den Abzug von 13.000 US- und 20.000 Sowjetsoldaten samt Waffen und Material anpeilt. Selbst „Begleitmaßnahmen" wie Informationsaustausch und die „zeitweilige" Besetzung von „Beobachtungspunkten" wären vorgesehen.

Dem Westen ist das freilich zuwenig. US-Chefunterhändler Botschafter Richard F. Staar besteht auf „eyeballing", also einem genauen „Beäugen" aller Reduktionsmaßnahmen. Im jüngsten Westvorschlag sind 18 Inspektionen pro Jahr vorgesehen. Und die „Datenfrage" bleibt ein Hauptstreitpunkt.

Nun hat dazu der deutsche NA-TO-General Franz Uhle-Wettler (FURCHE Nr. 13) einen originellen Vorschlag gemacht: Lassen wir das nutzlose Soldatenzählen "sein - zählen wir die Panzer! Das geht einfacher, sie allein stellen ein Angriffspotential dar, schließen wir also ein Abkommen über eine Panzer-Reduktion!

Die Reaktionen der professionellen Unterhändler sind natürlich zurückhaltend: Man sieht das Werk vieler Jahre gefährdet, finge man mit ganz Neuem an.

Der deutsche Delegationschef, Botschafter Walter Boss, verweist auch auf die Fragwürdigkeit der Unterscheidung von Angriffs- und Verteidigungswaffen.

Brigadegeneral Georg-Heinrich Roth assistiert mit einem Zusatzargument: Einigte man sich über ein Panzerabkommen, müßten die Supermächte ihre Tanks zurückziehen (die USA 6000 km weit, die UdSSR 650 km), die Staaten im Reduktionsgebiet aber (also auch die BRD) die ihren vernichten. Folge: „Die Russen könnten über Nacht wieder da sein, die Amerikaner in ein paar Monaten, wir in zehn Jahren!"

US-Botschafter Staar erinnert daran-, daß zwischen 1975 und 1980 ein NATO-Vorschlag auf dem Tisch lag, eine ganze Panzerarmee mit 68.000 Mann und 1200 Panzern abzuziehen, den der Osten nicht aufgegriffen habe. Dieser zog freilich „freiwillig-einseitig" 20.000 Mann und 1000 (veraltete) Panzer aus der DDR zurück, während der Westen ebenso „freiwillig-einseitig" 1000 (alte) nukleare Sprengköpfe forträumte.

Für den Fall, daß die jetzigen Verhandlungen erfolglos blieben,ist freilich auch der bekannte österreichische Militärstratege General Wilhelm Kuntner für ei-' nen Akzentwechsel zugunsten einer Untersuchung von Armeestrukturen und Militärstrategien.

Die NATO-Strategie der „Vorneverteidigung" (also dort, wo angegriffen wird) ist halt doch etwas ganz anderes als die östliche „Vorwärtsstrategie" (also notfalls auch vorwegnehmende Einmärsche in Gebiete, aus denen Angriffe erwartet werden).

Einig sind sich alle: Motive für eine Einigung in Wien gäbe es viele, vor allem wirtschaftliche. Unter der Last der Militärbudgets stöhnen Ost und West. Unbestritten bleibt freilich auch: Keine Last ist zu hoch, die uns den Frieden sichert.

Ein Fortschreiten der bisherigen Methoden tut das nicht. Um neue, bessere wird noch lange und geduldig, aber nicht ohne Hoffnung gerungen werden müssen.

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