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Der Funktionärsadel züchtet neue Untertanen

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Das Ausmaß vorhandener Privilegien in einer Gesellschaftsordnung ist der verläßlichste Schuldspruch über Wert und Unwert eines Systems und zugleich der unentrinnbare Beweis, wie weit sich die Realität des Gemeinschaftslebens bereits vom humanistischen Ideal einer menschenwürdigen Gesellschaft entfernt hat. Die Diskussion über Privilegien in diesem Sinne ist daher kein Thema für Neidgenossen und sonstige Klassenkämpfer.

Sie ist schlicht der Zugang zur kritischen Prüfung der Gesellschaftsordnung des entwickelten Wohlfahrtsstaates, die sich selbst als das Ergebnis der Uberwindung einer privilegienbeschwerten „älteren Gesellschaft“ (Or-tega y Gasset) versteht und die daraus alleine schon ihre Legitimation schöpft. Das bedeutet aber auch, daß gerade jene zentralen Grundwerte von Freiheit, Gerechtigkeit und Gleichheit, denen sich diese neue Gesellschaftsordnung verschrieben hat, in der gesellschaftlichen Praxis zu kurz kommen,, ja vielfach geradezu in ihr Gegenteil verkehrt werden.

Die Ursachen dafür liegen in der Or-ganisations- und Machtstruktur des modernen Wohlfahrtsstaates. Das Ziel nach Herstellung sozialer Gerechtigkeit wurde leichtfertig in die Hände kollektivistischer Institutionen und

Bürokratien gelegt. Die ökonomische Abhängigkeit des Menschen in der älteren Gesellschaft wurde durch die organisatorisch-bürokratische Abhängigkeit im Wohlfahrtsstaat ersetzt. Der liberale Grundsatz vom Vorrang der Person vor der Institution ist daher auch unter den geänderten Bedingungen relativiert. Nur die Machtträger haben sich geändert, die Untertänigkeit aber ist geblieben.

Und der neue Funktionärsadel versteht sein Geschäft. Man denke nur an das signifikante Beispiel der Luxusautos. Als die FPÖ-Fraktion im Wiener Rathaus die Anfrage stellte, ob nun nach dem 2. Abgabenänderungsgesetz auch politische Beamte und Funktionäre nur mehr Dienstautos bis zur Preisklasse von 105.000 Schilling fahren werden, war die Reaktion typisch. Der SPÖ-Abgeordnete und Gewerkschafter Braun meinte, man werde auch weiterhin teurere Dienstautos fahren, schließlich hätten die Politiker und der sonstige Funktionärsadel Anspruch auf „Sicherheit“.

Großartig! Als ob nicht auch etwa der Handelsreisende und andere kleine Angestellte, die täglich ihr Auto beruflich benötigen, einen Anspruch auf Sicherheit haben. Wirklich, Georg Orwell's Farm der Tiere scheint Realität zu gewinnen: Auch dort gab es unter den Gleichen einige die gleicher waren! Rupert Gmoser hätte daher in seinem Beitrag (Furche, vom 23. Juni 1978) diesen Zustand nicht nur feststellen, sondern auch eine Antwort geben sollen, wie denn der Sozialismus diese von ihm geschaffene gesellschaftliche Situation zu überwinden gedenkt.

Zudem kommt, daß im modernen Wohlfahrtsstaat der Verteilungskampf zwischen kollektiven Gruppen ausgetragen wird. Fragen des Gemeinwohls und der Solidarität bleiben auf der Strecke. Wer nicht das Glück hat, einer der starken kollektiven Gruppen anzugehören, fällt beim sozialen Ausgleich durch den Rost.

Ich denke an das noch immer ungelöste Problem des sozialen Schutzes für die Bäuerin (z. B. Karenzgeld), das man sich zwar jetzt anschickt zu lösen, aber nur für jene Bäuerinnen, die Mitbesitzer sind! Immerhin hat Staatssekretär Schober noch vor wenigen Monaten den sozialen Schutz der Bäuerin als „ungerecht“ öffentlich abgelehnt.

Wer nicht zu den starken Gruppen gehört, hat vom Sozialstaat nichts zu erwarten. Nicht anders verhält es sich bei den Beamten. Die Mächtigen in der Gewerkschaft der öffentlich Bediensteten gehören den gehobenen Einkommenskategorien an. Verständlich, daß eine solidarische Verbesserung der Einkommenssituation der jüngeren Beamten unterblieb. Die Grundwerte von Gerechtigkeit und sozialer Freiheit bleiben auch in diesem System Bekenntnisse auf dem Papier. Der Gruppenegoismus ist Realität!

Oder wie steht es mit dem Problem des Uberschusses an Junglehrern? Die jungen Lehrer könnten mühelos untergebracht werden, würden die älteren Kollegen solidarisch auf die ihnen liebgewordenen Uberstunden verzichten. Aber welche rote oder schwarze Personalvertretung ist schon von sich aus bereit, solches vorzuschlagen! Man kann doch nicht leichtfertig seine Wählerschaft vergrämen.

Die freiheitliche Lehrerschaft in Kärnten hat diese Solidarität mit den Junglehrern gefordert. Die Antwort von den alten Machthabern steht bislang noch aus! Bestehende Privilegien werden nämlich zu rasch zur Qualität „wohlerworbener Rechte“ umfunktioniert.

Unmißverständlich formuliert es Daniel Bell (Die Zukunft der westlichen Welt), daß das Dilemma des öffentlichen Haushaltes heute nicht allein darin besteht, „im herkömmlichen Sinne Vorbeugungen zur Befriedigung öffentlicher Bedürfnisse zu treffen“, sondern daß „er sich auch zwangsläufig zum Austragsort zur Erfüllung privater Wünsche und Gruppenwünsche entwickelt“. Ein Antagonismus: im Sozialstaat herrscht das Recht des Stärkeren! Wer näher zur Sonne der Macht steht, wird auch im Verteilungskampf erfolgreicher sein.

Es ist daher keineswegs so, wie Wilhelm Hennis meint, daß Reformen immer von den Benachteiligten kommen. Die Lage der Benachteüigten dient vielmehr dem im Besitze der Macht befindlichen Politadel als willkommener Vorwand, um Maßnahmen zur Sicherung ihrer eigenen Position zu ergreifen. Die Entwicklung auf dem Steuersektor macht es beispielsweise deutlich. So macht die Verteilungsdemokratie die schwächeren Schichten der Gesellschaft glauben, neue Steuern, Gebühren und Abgaben treffen ohnedies nur die „Reichen“.

Es paßt in das Bild der modernen Untertänigkeit

In der Realität hat sich in den letzten acht Jahren das Verhältnis des Lohnsteueraufkommens zu den Gewinnsteuern von 1: 1 zu 1:1,6 zulasten der einkommensschwächeren Gruppen entwickelt. Es paßt daher in das Bild der modernen Untertänigkeit, daß auch das neue Investitionsprogramm für die Wirtschaft durch eine Manipulation mit dem Eckzinssatz für Spareinlagen auf dem Rücken der einkommensschwächeren Gruppen ausgetragen werden soll.

Man denke hier vor allem an junge Menschen am Beginn des Aufbaues ihrer beruflichen und familiären Existenz. Groteskerweise wirbt gerade in dieser Situation die: gewerkschaftseigene Bank, B AWAG, um den kleinen Sparer! “ '

Die Beispiele zeigen, wie grundsätzlich im modernen Wohlfahrtsstaat die Frage nach dem Privilegienabbau angelegt ist. Darin liegt die große Aufgabe für alle freiheitlich gesinnten Menschen, auch über die Grenzen der FPÖ hinweg. Denn freiheitliche Verantwortung löste glaubhaft das Versprechen nach persönlicher Selbstbestimmung und Gerechtigkeit für die Menschen überall dort ein, wo schon bislang von der FPÖ mitentschieden werden konnte. Erinnert sei da etwa an den neuen Weg in Graz unter einem Bürgermeister Götz, aber auch an die Reform der Landwirtschaftskammer in Kärnten.

Dort führte die freiheitliche Initiative dazu, daß die Bauern von der Ubermacht des Bauernbundes in der Landwirtschaftskammer nicht länger „verwaltet“, sondern wieder in ihren Interessen vertreten werden und Förderungsmittel nicht nach dem Parteibuch vergeben werden. Auch die in Kärnten auf Initiative der FPÖ herbeigeführte Neuregelung der Sondergebühren von Primarärzten mag veranschaulichen, daß das Bekenntnis der FPÖ zu Leistungs- und Einkommensgerechtigkeit nicht im Sumpf der tagespolitischen Praxis auf der Strecke bleibt.

Eines darf dabei nicht übersehen werden. Privilegienabbau bedeutet nicht Demontage des Sozialstaates, da die Schaffung gerechter Lebens- und Einkommensverhältnisse die Interde-pendenz von Staat und Gesellschaft in ihrer vielfältigsten Form gebietet. Privilegienabbau bedeutet vielmehr eine wirksame Durchdringung des modernen Wohlfahrtsstaates mit den Grund-und Freiheitsrechten einschließlich einer Geltung von sozialen Grundrechten, die wieder der Person und ihrem Freiheitsanspruch zu Ansehen verhelfen, anstatt sie in gruppenhafter Bedürfnisbefriedigung einer kollektivierten Gesellschaft aufzulösen. Womit gesagt ist, daß der Staat von der Last befreit werden muß, Turnierstätte privater und gruppenhafter Wünsche von Privilegierten zu sein und der Gruppenegoismus durch Gemeinschaftsverantwortung ersetzt werden muß.

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