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Der Geist ist Leben

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Die Bäume sterben, obwohl sie sprießen. Die Menschen haben mehr als sonst in diesem Frühling gefroren. Während wir auf das Ende des Zweiten Weltkriegs vor 40 Jahren dankbar zurückblicken, wird der „Krieg der Sterne” geplant. Wo man hinsieht: Es gibt keine Visionen mehr, man sieht in die Vergangenheit zurück, da die Vorväter noch Träume hatten, in eine heile Natur, die wie eine Mutter den Menschen bergen und ernähren konnte, deren Milch noch nicht von saurem Regen durchsetzt war.

O ja, der „Club of Rome” hat erst jüngst das Bild einer durch Mikrocomputer gesteuerten Welt entworfen, in der menschliche Arbeit weitgehend überflüssig geworden ist. Wurden dadurch Hoffnungen geweckt, werden sich die Menschen für dieses Ziel engagieren? Sind nicht die Ängste berechtigt, daß der Mensch in einer solchen hochtechnisierten Welt funktions- und heimatlos wird? Ist es nicht gerade moralische Pflicht, sich einer solchen Entwicklung entgegenzustellen?

Augenfällig ist der Autoritätsverlust von Wissenschaft und Politik: Noch bevor es zur „Demokratisierung aller Lebensbereiche” kam, begannen sich die vorher ach so unmündigen Bürger zu wehren. Die Mächtigen von einst werden immer mehr ohnmächtig. Was sie auch tun wollen, immer tritt ihnen der Widerstand der Bürger entgegen: Zwentendorf, Hainburg, Zeltweg. „Denkpausen” sollen das Patt kaschieren.

Eine ruinierte Natur und eine verängstigte Gesellschaft geraten zunehmend in den Zustand der Erstarrung: Sie verweigern sich der Veränderung. Damit auch dem Leben?

Wir kennen die Reaktion mancher Lebewesen, sich im Augenblick der Gef anr absolut ruhig zu verhalten. Die Physik lehrt das Gesetz der Entropie: Die Welt strebt einem vollkommenen Wärmeausgleich zu, alle energetischen Prozesse kommen schließlich zur Ruhe. Die Geschichte berichtet uns vom Erschlaffen der Hochkulturen: Das Interesse an öffentlichen Angelegenheiten erlischt, man zieht sich auf den Raum des Privaten zurück. In das entstandene Vakuum tritt eine überwuchernde Administration.

Die sechziger und siebziger Jahre waren von einer Welle des Neorationalismus und des Zukunftsoptimismus geprägt. Heute sind wir mit der Tatsache konfrontiert, daß Naturwissenschaftler, die sich doch auf exakte Messungen stützen, fast bei jeder in der Öffentlichkeit aufgetretenen Streitfrage gegenteilige Positionen einnehmen. Der Naturwissenschaft wird längst nicht mehr zugetraut, die Menschheitsfragen zu lösen. Herbert Pietschmann verkündet „Das Ende des naturwissenschaftlichen Zeitalters”.

Die Stimmen, die riefen, der menschliche Geist habe sich einseitig in eine falsche Richtung bewegt, ließen viele aufhorchen. Es wurde die Forderung nach einer kopernikanischen Wende zu Werten, zum Sein erhoben.

Was ist anders geworden? Man hört jetzt öfter das Bekenntnis zu mehr Moral aus Politikermund. Aber wenn es darum geht, moralisches Bewußtsein in die Tat umzusetzen, werden solche Äußerungen als Worthülsen entlarvt.

Und die Kirche in unserem Land? Ist sie die glaubwürdige Alternative zur zunehmenden Erstarrung unserer Gesellschaft? Ist nicht auch sie von Stagnation erfaßt? Was ist von der Aufbruchstimmung des Katholikentages und des Papstbesuches geblieben?

Was damals punktuell im Bewußtsein der Öffentlichkeit war, ist in vielen Pfarren, Bewegungen und Gruppen weiter im Gange: Die Krisenerscheinungen der Jahre nach dem Konzil sind abgeflaut, fast durchwegs ist das Gemeindeleben lebendiger geworden. Es gibt wieder eine Jugend, die sich, wenn auch in anderer Art als einst, zur Kirche bekennt. Noch nie haben sich so viele Laien intensiv in der Pastoral hauptberuflich oder ehrenamtlich betätigt. Man versteht wieder zu feiern, die Gottesdienste geben vielen Erhebung und Geborgenheit.

Das Bewußtsein für die gesellschaftspolitische Verantwortung ist entgegen manchen Rückzugstendenzen im Steigen begriffen. Nicht nur in Gebets- und Meditationsgruppen vertieft sich der Glaube vieler Christen. Wallfahrten sind wieder im Kommen. Trotz vieler schwerer Probleme — wie dem empfindlichen Priestermangel - ist diese Kirche voll Leben. Man kann dies nicht zuletzt in den neuen Gemeinden zwischen den Betonklötzen am Wiener Stadtrand erfahren.

Pfingsten: Wir erinnern uns der Herabkunft des Gottesgeistes auf eine verschüchterte junge Kirche, die durch ihn missionarisch geworden ist. Nicht nur in charismatischen Gruppen wird die Bedeutung des Hl. Geistes für das Leben der Kirche und des einzelnen Christen erkannt.

„Wenn Christus in euch ist, ist zwar der Leib tot aufgrund der Sünde, der Geist aber ist Leben aufgrund der Gerechtigkeit”, schreibt Paulus (Rom 8,10). Was der Apostel dem einzelnen Christen, der infolge der Sünde dem Tod verfallen ist, als Hoffnung vorstellt, das scheint heute mehr denn je gefordert, um heilend und belebend zu wirken; von Gottes Geist aber erhoffen und erbeten wir, daß er das Antlitz der Erde erneuert.

Der Autor ist Direktor der Religionspädagogischen Akademie der Erzdiözese Wien.

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