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Der Geist Japans

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Mit dem Tod Hirohitos sind in Japan wieder archaische Strukturen hervorgetreten. Regierung und Rechtskreise höhlen die Verfassung aus. Das Land steht am Scheideweg.

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Mit dem Tod Hirohitos sind in Japan wieder archaische Strukturen hervorgetreten. Regierung und Rechtskreise höhlen die Verfassung aus. Das Land steht am Scheideweg.

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Die weltweite Teilnahme am Begräbnis des japanischen Kaisers Hirohito reflektiert wohl weniger die Wertschätzung für die scheue, eher gehemmt wirkende Persönlichkeit des 124. Herrschers der ältesten Dynastie der Welt als vielmehr die Tatsache, daß sich Japan aus den Ruinen der totalen Niederlage in einer Generation zur zweiten Industriemacht des Westens aufgeschwungen hat und sich anschickt, aus dem Windschatten Amerikas herauszutreten und die ihm zukommende Rolle weltweit energisch auszuspielen.

Mit dem Kaiser Showa wird auch das Trauma der Niederlage zu Grabe getragen. Daran, daß

Japan Number one in der Welt ist, hat hierzulande niemand je ge- zweifelt; nur merken das langsam auch die Ausländer und schreiben ihre Bücher unter ähnlichen reißerischen Titeln.

Das Riesenspektakel der Trauerfeier bestätigt, was hier bisher nur in trautem Kreis diskutiert wurde. Japan hat seine Kriegsziele erreicht: die Vertreibung der westlichen Kolonialmächte aus Asien, wo nur noch Rußland die zentralasiatischen Kolonien des Zarenreiches besetzt, und die Schaffung der gemeinsamen Wohlstandssphäre in Asien.

Krieg ist für Japan schon längst kein Mittel der Politik mehr. Denn es ist einfacher, einheimische Machthaber, die man kaufen kann, an den Schalthebeln zu wissen. Wo die Militärs versagten, siegten die Techniker und Kaufleute, vor allem dank der geschickt ausgenützten Reparationszahlungen und neuerdings der Entwicklungshilfe, die zu über 90 Prozent in Asien verbleibt. Wenn ! nun Japan sogar die USA mit Entwicklungshilfe überrundet, ist dafür gesorgt, daß ein Großteil der Gelder japanischen Firmen zugute kommt.

Die monatelange Krankheit und das langsame Sterben des Kaisers brachten ein außergewöhnliches Phänomen ans Tageslicht: Die Regression auf archaische Strukturen. Ohne daß von seiten der Regierung irgendwelche Hinweise erfolgten, unterzog sich das Volk einer Art „Fastenzeit“, genannt jishuku, das heißt Selbsteinschränkung.

Die Politiker verzichteten auf ihre aufwendigen Empfänge, die ihnen reiche Spenden einbrachten, Filmsternchen und Sportgrößen auf spektakuläre Hochzeiten, die Schulen und Universitäten schränkten ihre jährlichen Feste ein. Hotels, Restaurants erlitten schwere Einbußen.

Die künstlich in die Nachkriegsverfassung eingeschleusten Restriktionen lösten sich in Luft auf. Der Kaiser werde dort zwar nicht als Staatsoberhaupt bezeichnet, aber man dürfe ihn im Ausland trotzdem so nennen, ließ die Regierung verlauten.

Die Rechtsradikalen, im Bund mit den Yakuza, den tief verwurzelten Gangstergruppen, übten nun Druck auf die Regierung aus, um das Begräbnis als großartige Chance zu benützen, um die ungeliebte Verfassung, die als Servitut der Fremdmächte gilt, auszuhöhlen.

Das gilt vor allem von der Aufhebung der Trennung von Religion und Staat. Der sogenannte Staats-Shinto war vor erst gut hundert Jahren künstlich ge schaffen worden aus der Verbindung alter Traditionen mit der Hegelschen Geschichtsphilosophie, nach der in Preußens Geschichte, das gerade zur Großmacht aufgestiegen war, sich der göttliche Geist manifestiere.

Dieser Staatskult bot die ideologische Grundlage für den japanischen Imperialismus. Während mehr als tausend Jahren hatte der Kaiser fast nur zeremonielle Funktionen als Oberpriester der Nation vollzogen, während Militär, Verwaltung, Politik von Stellvertretern, zuerst von jüngeren Brüdern, später von Shogunen, wahrgenommen wurden.

Erst im neuen Japan der Meiji- zeit wurde der Kaiser nun Staatsoberhaupt, Oberbefehlshaber und Hoherpriester in einer Person. Da in Japan nie die Idee eines über allen Geschöpfen gültigen Naturrechts entwickelt worden war, ging alles Gute, Wahre, Richtige vom Kaiser allein aus. Was er tat und befahl, besaß Gültigkeit als höchster Wert. Das erklärt,

warum hier das Problem der Bewältigung der Vergangenheit nie wahrgenommen wurde. Was im Namen des Kaisers geschah, war richtig.

Damit eng verbunden ist der Gedanke, daß die Japaner unter der väterlichen Autorität des Kaisers eine Großfamilie bilden (ein Innen = uchi), in dem Regeln der Ethik und Höflichkeit eine Rolle spielen. Im Draußen (soto) aber gibt es keinerlei Schranken. Deshalb war alles außerhalb des Inselreiches ohne jede ethische Wertung.

Die Diskussion über die Mitverantwortung des Kaisers ist müßig, weil sie die nie in Zweifel gezogene Grundlage allen Handelns war.

Seit jeher fragt der Japaner kaum nach Gut und Böse, oder nach Wahr und Falsch. Was ihn interessiert, ist die Frage, ob etwas funktioniert oder nicht, und in zweiter Linie, ob es schön sei. Er ist von Natur aus Pragmatiker und Ästhet; denn solche Werte entwickelt der Shinto als Ausdruck einer ganz und gar diesseitigen, auf Gewinn, Nutzen und Lebensgenuß ausgerichteten, optimistischen Weltanschauung.

Japaner zu sein ist seine Religion. Und ihre Aufgabe ist, den Geist Japans der ganzen Welt zu demonstrieren. Das war das eigentliche Geheimnis der Trauerfeier in Tokio.

Ein Meisterplan wird seit zirka 20 Jahren Schritt für Schritt in die Tat umgesetzt. Der erste Schritt war die Wiedereinsetzung des mythischen Gründungstages durch Jimmu Tenno vor über 2.600 Jahren als Staatsfeiertag.

Ihm folgte das Gesetz, die traditionelle Bezeichnung für die Regierungsperioden (Showa für Hirohito, Heisei für Akihito) beizubehalten. Bei der Trauerfeier wurde nun bewußt der Unterschied zwischen der religiösen Feier, die ein Privatzeremoniell der Familie bleiben sollte, und der staatlichen Feier aufgehoben. Angestrebt wird von der Regierungspartei, für die sich der frühere Premier Nakasone zum Sprachrohr macht, auch die staatliche Unterstützung der Thronbesteigungszeremonie, die erst nächstes Jahr stattfinden wird, wenn der Kaiser im Kultmahl mit neuem Reis in den Mutterschoß der Sonnengöttin zurückkehrt und dadurch selbst Gott wird.

Der nächste Schritt wird sein, die Schreine der Gefallenen im Yasukuni in Tokio und der Sonnengöttin in Ise zu Staatsschreinen zu erheben. Dann wird auch der Kaiser wieder in seine alte Stellung gehoben und Shinto wieder zur Staatsreligion erklärt.

Dieser planmäßigen Aushöhlung der Verfassung durch Regierung und Rechtskreise widersetzen sich nur die Linksparteien, einige buddhistische Sekten und die Christen. Wenn nicht einmal der Recruit-Skandal, in den die Regierungspartei, teilweise auch die Opposition und Wirtschaftskreise durch Insidergeschäfte verwik- kelt sind, ernsthafte Proteste auslöst, ist noch weniger Widerstand gegen diese Regression in archaische Strukturen in diesem gehorsamsten aller Völker zu erwarten.

Japan ist das unwandelbare Volk, das früh in der Geschichte seine Identität fand und sie durch alle Wandlungen einer blutigen Geschichte. unerschüttert bewahrt. Alle Änderungen geschehen nur an der Oberfläche.

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