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Der geopferte Primas

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Papst Paul VI. hat am 5. Februar den in Wien im Exil lebenden Primas von Ungarn und Erzbischof von Esztergom, Kardinal Mindszenty, in den Ruhestand versetzt und sein Erzbistum für vakant erklärt.

Eine außergewöhnliche Vorgangsweise seitens des Vatikans. Wenn der Heilige Stuhl aus irgendwelchen Gründen einen Wechsel auf einem Bischofsstuhl vornehmen will, dann läßt er fast immer den Betreffenden wissen, er möge selber um Versetzung oder Abberufung ansuchen. Das ist hier nicht geschehen und der Grund dürfte darin zu sehen sein, daß der bisherige Primas sich beharrlich weigerte, ein solches Ansuchen zu stellen. Als der jetzt 81jährige Kirchenfürst vor nunmehr rund drei Jahren Ungarn verließ, war ausdrücklich zwischen dem Vatikan und der ungarischen Regierung ausgemacht worden, daß Mindszenty offiziell weiterhin Erzbischof von Gran und damit Primas von Ungarn bleibe. Bedingung der ungarischen Regierung war allerdings auch, daß sich der Kardinal im Ausland jeder politischen Tätigkeit enthalte. Und nun scheint die ungarische Regierung auf dem Standpunkt gestanden zu sein, daß manche Äußerungen des Kardinals, die dieser hie und da machte, und die nur unter sehr weitgehender Auslegung des Begriffes „Politische Tätigkeit“ als solche aufzufassen sind, einen Bruch des seinerzeitigen Abkommens darstellten (auch die Nationalsozialisten werteten jede Predigt eines Kaplans, der zum Nationalsozialismus irgendwie kritisch Stellung nahm, als politische Tätigkeit). Und unter diesem Aspekt scheint Ungarn den Vatikan unter massivsten Druck gesetzt zu haben, um zu erreichen, daß dieser lästige Bekenner jedwede auch nur formalrechtliche Basis verliere, im Namen Ungarns sprechen zu können. Für das kommunistische Ungarn scheint die alte tausendjährige Verfassung des Stephansreiches immer noch geheim wirksam zu sein. Nach dieser ist der Primas der vierte Mann im Staat und wenn seine drei Vordermänner (König, Palatin, Ministerpräsident) ausfallen, der eigentliche Regent des Landes. An diese Verfassung denkt sonst niemand mehr, aber sie scheint in manchen kommunistischen Köpfen noch ein gespenstisches Dasein zu führen. Und so sah sich die vatikanische Diplomatie in der verzweifelten Lage, entweder die Forderung Budapests zu erfüllen oder alle weiteren Verhandlungen abbrechen zu lassen. Und damit der Kirche Ungarns vielleicht zu schaden.

Die vatikanische Diplomatie steht seit langem auf dem Standpunkt, auch unter großen Zugeständnissen, zu vermeiden, daß es in den Ostländern keine Bischöfe gebe. Ohne Bischöfe gibt es keine Priester und ohne Priester keine funktionierende Kirche. In der Türkenzeit war die katholische Kirche ohne Bischöfe. Sie hatte bald keine Priester mehr und sank zu einer Mesnerkirche herab.

Nicht nur Mindszenty ist zu bedauern. Er hat 25 Jahre seines Lebens in Gefängnissen verbracht. Zweifellos mußte er viele Folterungen über sich ergehen lassen. Niemals wäre er aus dem Exil in der amerikanischen Botschaft in Budapest ins Ausland gegangen, wenn es nicht der Papst ausdrücklich gewünscht hätte. Ein Zeugnis des Gehorsams gegenüber dem Oberhaupt der Kirche, an dem sich viele ein Beispiel nehmen könnten. Jetzt verlor er auch noch sein Erzbistum und damit ist sein Kreuz um ein Stück schwerer geworden. Ob dieses Opfer, das von ihm gefördert wurde, wirklich sinnvoll war, wird die Zukunft lehren. Der ganze Fall zeigt nur, wie schwierig die Laige der Kirche in den östlichen Ländern ist. Wie skeptisch Zusicherungen kommunistischer Regierungen zu betrachten sind.

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