Die großen politischen Zusammenhänge in der Bundesrepublik Deutschland könntet Ihr Österreicher leichter durchschauen als wir. Ihr seid nämlich näher an St. Gilgen, wo unsere Zukunft mehrmals täglich ins Wasser plumpst.
Jeden Sommer geht Helmut Kohl in Eurem Wolfgangsee baden, denkt lange nach und trifft jedes Jahr wieder eine große politische Entscheidung. Meist ringt er sich dazu durch, weiter Kanzler bleiben zu wollen. Dieser Entschluß von St. Gilgen fällt allerdings jedes Jahr schwerer. Nicht Kohl, aber den anderen. Sie nennen ihn schon den Gilg.
Inzwischen ist in Bonn die Hölle los, als sitze unser Kanzler das ganze Jahr auf einer Spielkiste mit Kasperlfiguren. Und kaum fährt er in Urlaub, schon kommen die Polit-Ka-sperl aus der Kiste und führen sich auf.
Zuerst hat sich die Opposition aufgeführt: Vertreter der SPD und der Grünen sind dabei erwischt worden, wie sie miteinander getagt haben.
Jetzt haben prompt alle geglaubt, die mauscheln schon heimlich und hinterrücks eine neue Koalition aus. CDU, CSU und FDP konnten sich nicht genug darüber erregen, daß die Oppositionsparteien so schamlos sind, an die Macht kommen zu wollen.
Gramzerfurcht haben die Schwarzen bei uns gegrübelt, wie sie aus der vom Gilg nicht mehr bewachten Spielkiste auch noch ein paar gute Ka-sperl-Szenen herausholen könnten. Zum Beispiel eine öffentliche Diskussion darüber, ob der CDU-Vorsitzende Kohl auf dem Parteitag in Bremen wieder den alten CDU-Generalsekretär Heiner Geißler vorschlagen soll. Oder lieber einen anderen? Oder noch besser eine andere?
Mit einem zornigen Schlag ins Wasser hat der schweigende Gilg am Wolfgangsee sofort eine starke Entscheidung getroffen. Er sagt jetzt gar nichts dazu, spätestens am 10. September, weil sonst der Parteitag schon vorbei ist.
Falls Kohl Geißler behalten möchte, hätte er es gleich sagen und alle Spekulationen beenden können. Wenn er aber sagt, daß er noch nichts sagen kann, hat er eigentlich schon alles über Geißler gesagt. Wie es der Zufall will, ist aber auch Geißler mit Kohl nicht zufrieden -wie viele in der CDU. Denen wäre es viel lieber, Kohl ginge in Bonn baden oder in Bremen.
Wenn nicht Geißler, sondern Kohl bald beruflich frei würde, könnte ich Euch unseren Gilg wärmstens empfehlen als Festspieldirektor für Salzburg. Da hätte er vom Wolfgangsee nicht so weit hin. Er ist erfahren mit der gleichzeitigen Aufführung mehrerer Sommertheater und neigt zu starker Führungskraft: Jedes Jahr in St. Gilgen trifft er eine Entscheidung!