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Der Glaube muß erneuert werden

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Eine Impulstagung zum Thema „Kultur und Glaube" für den Katholikentag 1983 führte in Graz vom 5.-7. November zu einer offenen Aussprache zusammen. Einem Auszug aus dem Referat von Peter Berglar werden weitere Beiträge folgen.

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Eine Impulstagung zum Thema „Kultur und Glaube" für den Katholikentag 1983 führte in Graz vom 5.-7. November zu einer offenen Aussprache zusammen. Einem Auszug aus dem Referat von Peter Berglar werden weitere Beiträge folgen.

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Religiosität und Kultur sind zweierlei, und man gerät in die Irre, wenn man hier nicht sauber unterscheidet. Gewiß stellt das Entstehen der europäisch-abendländischen Kultur eine Umsetzung von Christianisierung in Weltprägung dar. Ich möchte auch einräumen, daß in den Anfängen ein enger Zusammenhang zwischen der personalen Gläubigkeit und Frömmigkeit der Handelnden und ihren Hervorbringungen bestanden hat. Doch mit Sicherheit setzte alsbald ein Emanzipationsprozeß der Kultur ein; sie verselbständigt sich.

Um einen Dom zu bauen, um ein schönes Evangeliar zu fertigen oder eine'Monstranz, um im Osten zu christianisieren oder Kreuzzüge zur Befreiung des Heiligen Landes zu unternehmen, mußte man nicht als einzelner von Christus wirklich „durchtränkt" sein. Daß Kultur Autonomie gewinnt, bedeutet: Man kann noch herrliche Tabernakel schaffen, ohne selbst an die Realpräsenz Christi wirklich zu glauben.

Ja, es ist noch komplizierter: Der einzelne, in diese Kultur hineingeboren, ist mit ihren Formen und Gewohnheiten so verwachsen, daß er gar nicht mehr weiß und auch nicht reflektiert und nicht unterscheidet, ob er nur ein „Kulturchrist" oder auch noch ein „Glaubenschrist" ist.

In unserem alten Europa geht es nicht um Probleme der kulturellreligiösen Jugendleiden und Wachstumsschmerzen, wie etwa im heutigen Afrika, sondern um Altersgebrechen, um die Frage: Tod oder Gesundung und Verjüngung. Glaube und Leben treten mehr und mehr auseinander, die Kultur zerfällt.

Ihre Rettung und Erneuerung ist nur durch die Wiederversöhnung von Glauben und Leben möglich. Der Kulturauftrag der Kirche ist also ein Auftrag zur Glaubenserneuerung; da wir alle, jeder Christ einzeln, Kirche sind, muß auch bei jedem einzeln die renovatio cordis stattfinden; das ist das erste und wichtigste.

Lassen Sie mich also zusammenfassen:

1. Der Kulturauftrag der Kirche ist in unserer Lage, in unseren Breiten eine Spielart des umfassenden Glaubenserneuerungsauftrages der Kirche. Als solchen sollten wir ihn ganz extensiv verstehen. Er geht weit über „kulturelles Leben" im engeren Sinne hinaus.

Kultur bemißt sich ja nicht nur nach den Wissenschaften und Künsten, ihren Institutionen und Vertretern, sondern vor allem auch nach dem Zustand der Ehen und Familien, des Erziehungsund Bildungswesens, der Arbeitswelt, des breiten moralischen Konsensus und so fort.

In alledem wird die Kirche so viel zu sagen haben, so viel Gehör finden, so viel ausrichten wie sie durch die Zahl und Intensität ihrer Glieder, die im eigenen Leben Christus wirklich nachzufolgen versuchen, ansteckend und befeuernd wirkt. Das eben ist die neue Situation — die institutionelle Autorität, aus ihrer göttlichen Sendung heraus, hat schwer gelitten. Das ist ein besonders ernstes Problem am Ende dieses Jahrhunderts.

2. Für den vordringlichen Auftrag der Kirche in der gegenwärtigen Lage und wohl weltweit, für den aktuellen Kultur- und zugleich Heilsauftrag schlechthin halte ich den Kampf gegen die erschreckende religiöse Unwissenheit.

Die Zahl der Katholiken, die ihre Religion und ihre Kirche nicht mehr kennen und daher auch keinen Zugang zur Spiritualität finden und unfähig werden, im Alltag apostolisch zu wirken, ist enorm groß und wächst weiter. Ohne die Heilung dieser Wunde, die sich übrigens vom Kindergarten bis in die Priesterseminare erstreckt und entsprechend therapiert werden muß, bleiben zwangsläufig alle anderen Aktivitäten hinsichtlich ihrer Früchte fragwürdig.

3. Einen weiteren zentral wichtigen Kulturauftrag der Kirche sehe ich darin, in Wort und Schrift dem „Dreiverbund" von Historismus, Relativismus und Subjektivismus (alle drei heute exzessiv vorangeschritten), der das katholische Christsein an der Wurzel bedroht, entgegenzutreten.

Dabei meint die Vokabel „Hi-; storismus" die irrige Auffassung, daß die Kirche nicht nur in der Geschichte steht, nicht nur Geschichte hat, sondern daß sie nichts aufweist, was nicht geschichtlich ist, daß sie ein historisches Produkt ist und daher in allem dauernd wandelbar.

Mit „Relativismus" bezeichne ich die Leugnung der absoluten, ein für allemal der Disponibilität entzogenen Wahrheit, die in die Gefäße der in sich nicht diskussionsfähigen Dogmen gegossen ist.

Unter „Subjektivismus" haben wir die Abtrennung des Glaubens und des Glaubenslebens von objektiver Erkenntnis, von hierarchischer Autorität, von Gebot und Gehorsam und die Verlagerung in das ausschließlich persönlichprivate Dafürhalten, in den Schmelztiegel unserer „Stimmungen" oder, wie man heute gern sagt, „Erfahrungen" zu verstehen.

Wenn hier nicht angesetzt wird, werden bald immer weniger Leute wissen, warum sie eigentlich katholisch sein sollen, und was Kirche und Leben in der Kirche eigentlich ist. Damit aber würde sich auch jede Hoffnung auf eine kulturelle Erneuerung aus dem Geiste Christi zerschlagen.

4. Schließlich bleibt noch ein ganz nach innen, ein auf den Kult bezogener Kulturauftrag zu nennen: die Obsorge, die Erhabenheit und Heiligkeit der kirchlichen Kulthandlungen, vor allem natürlich des Meßopfers zu beschützen. Mit anderen Worten: Den Kult nicht durch die Art und Weise des Vollzugs im 'Bewußtsein der Gläubigen — und übrigens auch in dem der Nicht- oder Andersgläubigen — banalisieren und insbesondere die Realpräsenz Christi nicht verdunkeln zu lassen.

Hierbei handelt es sich um den innersten Kern, sozusagen um das „Sanctissimum" der römisch-katholischen Kirche. Immer ist der Vollzug des zentralen Heilsgeheimnisses und überhaupt alles liturgischen Handelns in der Kirche nicht nur besonders umhütet, sondern auch zum Gegenstand der großartigsten kulturellen Schöpfungen gemacht worden.

Der Autor Dr. med. und Dr. phil. ist Professor für Geschichte der Neuzeit und der Neuesten Zeit in Köln.

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