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Der Gourme

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Wie wir alle wissen, ist der Wohlstand im allgemeinen beträchtlich angestiegen. Wie wir ebenso wissen, hat der Stand des Kontos mit dem Stand der Bildung nicht immer Schritt gehalten. Diesem Manko abzuhelfen und ihren eigenen Wohlstand dadurch zu mehren, haben sich viele Buch- und Zeitschriftenverlage vorgenommen Zumindest zweiteres ist - wie wir wissen - durchaus gelungen.

Ein besonders gravierender Bildungsmangel dürfte insbesondere auf dem Gebiet des Essens vorliegen. Denn während man auf einem großen Teil dieses Erdballs nicht weiß, wo man die Nahrung hernehmen soll, weiß der andere und deutlich kleinere Teil nicht, was aus der Fülle des Angebotenen für den standesgemäßen Verzehr geeignet ist. Der Beweis dafür ist in unseren Zeitungskiosken und Buchhandlungen zu betrachten: Zeitungen und Bücher Uber das richtige Essen nehmen überhand. Folglich wenden sich auch immer mehr Autoren dieser Literatursparte zu, die ja tatsächlich in der Lage ist, ihren Mann im wahrsten Sinn des Wortes zu ernähren.

Ein alter Freund von mir - einst bekannt für seine blumigen Formulierungen - ist inzwischen bei einer solchen Freß-Gazette gelandet und schärft sein Stilvermögen an ungewürzten Speisen und mißlungenen Desserts. Erfreute er seine Leser einst mit diversen journalistischen Enten, muß es heute mindestens Ente ä l'Orange sein. Aber davon soll hier eigentlich nicht die Rede sein. Vielmehr bedrückt es mich zu sehen, wie dieser Freund Monat um Monat neue Eßmoden entdecken oder gar selbst journalistisch kreieren muß und unsere Freundschaft dabei langsam vor die Hunde geht.

Noch vor zwei Jahren traf ich ihn einmal, es war gerade Zeit für das Abendessen, und ich schlug ihm vor, unser Stammbeisel aus Jugendtagen aufzusuchen. Verächtlich rümpfte er die Nase und sah mich an wie den letzten oder möglicherweise auch den ersten Menschen. Sein Blick sagte: „Willst du mich vergiften? Schon der Geruch macht mich krank!“. Er beutelte sich und sagte: „Ich seh' schon, ich muß bei dir ein wenig Entwicklungshilfe leisten. Von gutem Essen hast du keinen Schimmer.“

Sprach's und schleppte mich in ein kleines, ungemütliches Lokal, wo die Tische klein und die Zeche groß war. Die Speisekarte - sie hätte genausogut in j apanisch geschrieben sein können, denn die krakelige Handschrift des verfassenden Kochs ließ einem nur die Hoffnung, daß dieser wenn schon nicht schreiben so doch wenigstens kochen konnte. So bestellte ich, indem ich - wie sonst nur im Ausland - mit dem Finger nach dem Lotto-Prinzip irgendwohin deutete und dem Schicksal seinen Lauf ließ. Was ich dann zu essen bekam, vergessen wir es: eine Mischung aus diversen Pürees für Zahnlose, das Ganze jedoch tückisch durchsetzt mit harten, weil ungekochten - ich glaube mein Freund nannte das ä point - Gemüsestückchen, die einem die Krone vom letzten Zahn rissen. Jedenfalls: es war das Ende einer wunderbaren Freundschaft.

Einige Monate darauf liefen wir einander wieder unbeabsichtigt über den Weg. Ich wollte Versöhnlichkeit zeigen und lud ihn zum Essen ein. Wohin? Na, in jenes Lokal, in dem unsere Freundschaft einst zerbrach. Entsetzt blickte er mich an: „Du bist out, hoffnungslos out! Dieses Lokal ist doch das letzte, dieses ungekochte Gemüse, nur Pürees, nix zum Beißen. Schnickschnack. Die regionale Küche ist wiederentdeckt, ein bisserl aufgebessert und neu arrangiert.“ Gönnerhaft klopfte er mir auf die Schultern und schleppte mich in ein neues Lokal. Vom Blunz'ngröstl um 550,-wül ich nicht sprechen, die Kuttelfleck um 290,- schweigen wir darüber. Aber „Lungauer Schwein, im Mühlviertier Ofen gebraten mit eigenem Saft an Langustenknöderln mit pro vencalischem Heidekraut auf Art des Waldviertels“, das war mir dann zuviel. Und unsere Freundschaft hatte einen neuen, schweren Schlag erhalten

Wieder zogen einige Monate ins Land und wieder liefen wir einander über den Weg. Aus Erfahrung klug geworden, sagte ich gar nichts, aber er hatte mich schon umarmt und entführt. „Kochen wie Urgroßmutter, das ist es“, verriet er mir gönnerhaft. Und so saßen wir dann in einem Lokal, und erhielten Grammelknödel mit Schweinsbraten auf Blunze und Leberwurst mit eingebranntem Sauerkraut. „Schau“, sagte er, „der Schweinsbraten, mindestens fünf Stunden im Rohr! Das ist es!“ Auf meinen schüchternen Einwand, er habe doch noch vor einem Jahr von kurzen Kochzeiten geschwärmt, ging er nicht weiter ein.

Als ich vor ein paar Wochen gegen . zwei Uhr morgens hungrig durch die Stadt wankte und einen Würstelstand ansteuerte, glaubte ich meinen Augen nicht zu trauen. Da saß er, das Notizbuch gezückt, die Zähne genußvoll in ein Buren Würstel versenkt. Er grüßte mich nicht sondern sagte nur: „Der Senf, du mußt den Senf kosten. Einmalig, himmlisch, sowas von einem Senf. Und das Rinderfett in dieser Burenwurst. Ein Gedicht.“ Meine Entgei-sterung war perfekt. „Ja, der Fortschritt, alles bewegt sich. Wir stoßen vor zu immer neuen Ufern! “ Still aß ich meine Burenwurst. Ich wollte nicht die letzten Reste unserer Freundschaft zerstören, denn ich ahnte schon, wo ich ihn - getreu den geschichtlichen Gesetzen Hegels -demnächst treffen würde: zwischen Pürees und ungekochtem Gemüse. Woran man sieht, daß die Geschichte nur ein großer, sich immer wiederholender Kreislauf ist, dessen einziger Ruhepol eine Burenwurst mit süßem Senf ist. Mahlzeit!

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