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Der große Beginn

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Von allen Kaisern des Heiligen Römischen Reicheserfreute sich Joseph II. der größten Beliebtheit bei den Serben. In der serbischen Literatur finden wir viele Verse, die dem Kaiser galten, und der bedeutendste serbische Aufklärer Dositej Obradovic (um 1740-1811) schrieb als erster serbischer Kultusminister kurz vor seinem Tode in Belgrad:

„Wenn in meinen Plänen etwas würdig war, alles sollte man jenen glücklichen Umständen und jener großen Seele Josephs des Zweiten zuschreiben, der seinerzeit viele begeisterte Anhänger gewann und Geister anspornte; ohne ihn würden viele Dinge keinem Menschen einfallen.”

Der Kaiser machte durch sein Toleranzpatent die orthodoxen Serben zu gleichberechtigten Bürgern seines Reiches; unter seiner Regierung erhielten sie auch das Promotionsrecht und konnten so auch in Wien studieren. Durch seine aufklärerische Kulturpolitik erwarb er sich Sympathien der damaligen dünnen Schicht der serbischen Intelligenz.

Der Krieg, den der Kaiser zusammen mit Rußland gegen die Türken führte (1788 - 1791), erweckte viele Hoffnungen auf die Wiederherstellung Serbiens. Mehrere Führer des serbischen Aufstandes von 1804 erwarben ihre Kriegserfahrungen eben durch ihre Beteiligungen am Kriege, den der Kaiser gegen die Türkei führte; die Serben verherrlichten den Kaiser als ihren Befreier.

Die unter Maria Theresia in Gang gesetzte Reform, vor allem die des Schulwesens, erhielt unter Joseph II. feste Formen. Der Kaiser zeigte persönlich ein reges Interesse dafür; der Prozeß der Verweltlichung des Volksschulwesens wurde unaufhaltsam fortgesetzt. Von den orthodoxen Schuldirektoren verlangte er eine strikte Durchführung der proklamierten Schulreform. Einige damals eröffnete Volksschulen existieren noch heute.-

Im vorletzten Jahrzehnt des 18. Jahrhunderts wurden einige Hunderte von serbischen Schulen in der Donaumonarchie entweder neu gegründet oder modernisiert. Viele Schulgebäude wurden auf Staats- bzw. Gemeindekosten gebaut, und die materielle Basis für die Existenz von Schulen und Lehrern gesichert. Der „Kronzeuge” des damals begonnenen Prozesses im Schulbereich ist die heutige Pädagogische Akademie, die 1778 an der Haupt- oder Stadtschule zu Sombor (in der Batschka) mit „Normalkursen” begann.

Mit dem Toleranzpatent ging ein reger Kirchenbau Hand in Hand, architektonisch nicht selten nach dem österreichischen Vorbild; so wurden Kirchen in Batajnica, Zetnun, Sombor und in vielen anderen Städten und Dörfern gebaut. Mit dem Kirchenbau ist natürlich auch die Ikonenmalerei eng verbunden.

Als Ergebnis der Josephinischen Kirchenpolitik werden Konsistorien gebildet und bald nach dem Tode des Kaisers entsteht in Sremski Karlovci das Priesterseminar, das dreizehn Jahrzehnte lang tätig ist. Bis zum Zusammenbruch der Monarchie ist es die einzige serbische hohe Lehranstalt.

Ein allgemeiner Fortschritt im Kulturbereich war deutlich spürbar; mehrere Serben konnten österreichische oder sonstige fremde Hochschulen besuchen, viele wichtige Bücher wurden gedruckt, die meisten „bey Joseph Edlen von Kurzbeck k.k. Hofbuchdruk-ker” in Wien. In der serbischen Histo-rographie nennt man die Aufklärungsepoche nicht selten „Josephinismus”.

Die bei den Serben in der Donaumonarchie durchgeführten Reformen und ihre Errungenschaften wurden eben von diesen in der Monarchie geschulten Serben im neugegründeten serbischen Staat übertragen und so blieben sie nicht nur auf die Monarchie beschränkt.

Wenn man auch sagen könnte, daß die josephinischen Reformen in unserer Zeit zur Geschichte geworden sind, sind sie in Bezug auf die Serben, und zwar nicht nur auf die in der alten Donaumonarchie, in manchen Bereichen von weittragenden Folgen gewesen.

Erst im verweltlichten Schulwesen der josephinischen Zeit entstanden Unterrichtsplan und -programm, die im Laufe der Zeit einen anderen Inhalt bekommen mußten, da man Schritt mit der Zeit halten mußte. Es ist dies eine der dauernden Errungenschaften der Epoche. Im Prozeß der Nationsbildung spielten sie eine wichtige Rolle und bilden ein Bindeglied zur Gegenwart.

Der Autor ist Ordinarius Tür deutsche Literatur an der Phil. Fakultät der Universität Novj Sad und Direktor des Institutes Tür fremde Sprachen und Literatur der Philosophischen Fakultät.

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