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Der große Bruder drangt

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Der jugoslawische Außenminister, Mirko Tepavac, besuchte wieder einmal Rumänien, um mit seinem Kollegen Corneliu Manescu an einer stahlharten Friedens- und Kooperationssache zu hämmern, die bald bis Helsinki verlängert werden soll. Die rumänisch-jugoslawischen Konsultationen vermehren sich. Der „große Bruder im Osten“ wirft drohende Schatten auf Bukarest und Belgrad, es ist durchaus verständlich, daß die beiden Balkannachbarn eine gemeinsame politische und ökonomische Marschroute für die Zukunft fixieren wollen.

Noch nie mußten in Bukarest so viele Probleme besprochen werden. Die geplante europäische Sicherheitskonferenz sowjetischer Prägung scheint Bukarest und Belgrad keine Schwierigkeiten zu verursachen. Komplizierter war das Problem Ostdeutschland am Vorabend der Heinemann-Visite in der rumänischen Hauptstadt. Um so mehr, weil der längst konzipierte und vorbereitete, neue, zwanzigjährige ostdeutsch-rumänische Freundschafts- und Beistandspakt nach langem Zögern bis heute nicht unterschrieben wurde und Ulbrichts hastig geplante und forcierte Reise nach Rumänien, noch vor dem Eintreffen, in das Schwarze Meer fiel.

Ein Balkanthema par excellence war der Vorschlag des bulgarischen Außenministers Bascheff auf Abschluß eines Nichtangriffspaktes in Europa, inklusive Balkan. Die albanisch-griechische Versöhnung mit bevorstehender Aufnahme der diplomatischen Beziehungen und der ganze Komplex der chinesischen Außenpolitik im Hinblick auf chinesisch-amerikanische Kontakte, sowie gemeinsame Initiativen für die Herbstsession der UNO-General- versammlung, figurierten auf Tepa- vacs Traktandenliste.

Größte Überraschung bereitete in Bukarest das durchgesickerte Gerücht, wonach Ceausescu während seiner bevorstehende Reise nach Tokio Mao Tse-tung offiziell in Peking besuchen will. Auch die Möglichkeiten der Junireise Ceausescus nach Finnland mußten eingehend erörtert werden, weil der rumänische Außenminister schon ziemlich lange der Ansicht zu sein scheint, daß eine Helsinki-Bukarest- Belgrad-Achse sowohl politisch als auch wirtschaftlich vorteilhaft wäre. Nur in der Nahostfrage sind Belgrad und Bukarest weit voneinander entfernt, obwohl die

Rumänen in der letzten Zeit elastischer geworden sind und ihre Beziehungen zu den arabischen Staaten etwas verbessert haben, wobei sie dem Sowjetdruck nachgegeben hgbgn. „

Eine weitreichende Interessengemeinschaft besteht zwischen Bukarest und Belgrad bezüglich der amerikanischen Kapitalinvestitionen in beiden Ländern. Ceausescu hat manche Erfahrungen im Oktober 1970 in den Vereinigten Staaten gesammelt und seither reife Früchte geerntet. Tito geht in diesem Jahr nach Washington und könnte von Ceausescus Ratschlägen profitieren.

Der Förderative Sekretär für Außenhandes, Mohammed Hadžič, empfing vor ein paar Tagen in Belgrad den Stellvertretenden rumänischen Außenhandelsminister, Ion Stojan, mit dem er ein Warenaustauschabkommen für das laufende Jahr unterzeichnet hat. Rumänien beobachtete aber auch von Anfang an, mit größtem Interesse das Funktionieren des jugoslawischen wirtschaftlichen Self-Manage- ment-Systems. Im Mai entsandte Bukarest drei Beobachter: ZK-Sek- retär Vasile Potop, Vizepräsident des General rats der Gewerkschaften Gheorghe Petrescu und ZK-Mit- glied des Jugendverbaodes Voinea Coriolan nach Belgrad, wo sie dem Zweiten Kongreß der jugoslwischen Manager beiwohnten. Budapest schickte ebenfalls zwei Experten als Kundschafter. Die Kritik der Rumänen war nur teilweise positiv.

Ceausescu übte unlängst öffentlich Kritik an den Mangelersdreinungen und der Nichterfüllung vieler Exportkontrakte. In zahlreichen Bereichen ging die rumänische Wirtschaftsproduktion zurück. Man spricht sogar von einer „chaotischen Situation in der Staatswirtschaft“. Es wurde in Bukarest bekannt, daß allein im Bereich von drei Buka- rester Wirtschaftsministerien im Laufe des vergangenen Jahres 6000 Wirtschaftskontrakte nicht erfüllt worden sind. Im vergangenen Jahr mußte der Staat, nur im Bereich der chemischen Industrie, Verluste von 10 Mill. Lei wegen nichterfüllter Lieferkontrakte verkraften. Die Fabriken entschuldigten sich damit, daß die verspäteten oder ausgebliebenen Rohmateriallieferungen die Schuld daran trugen.

Ceausescus Steckenpferd ist die Außenpolitik. Seine Skandinaviensehnsüchte haben sich bisher nur teilweise erfüllt. Rumäniens Außenminister fand im März in Schweden und Dänemark offene Ohren, seine Werbetour in Norwegen mußte er jedoch auf Herbst verschieben. Bukarests Schlüssel zu den nördlichen Ländern heißt „bilaterale Beziehungen“, die auf dem wirtschaftlichen und technisch-wissenschaftlichen Sektor Erfolge versprechen. Ceausescu apostrophiert sich selbst als „Handeslreisender Nummer eins Rumäniens“, was seine unermüdliche Aktivität und Vielseitigkeit betrifft, mit Recht. Seit 1969 war er in der Türkei und im Iran, in Frankreich, in Österreich, in den USA und in Marokko, wobei seine Trips nach kommunistischen Ländern nicht berücksichtigt sind.

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