6819501-1973_27_04.jpg
Digital In Arbeit

Der große Selbstbetrug

19451960198020002020

Die alljährliche Lohnrunde ist angelaufen, wird nach einem gut eingespielten Ritual zelebriert. Wie üblich, beginnt das Spiel mit einem Knalleffekt. Diesmal wurde er von den Brauereiarbeitern angezündet, die nicht weniger als 18 Prozent Lohnerhöhung — in zwei, allerdings sehr nahe beieinanderliegenden Etappen durchsetzten. Die Konsequenz ließ nicht auf sich warten: Die Brauereien fordern pünktlich eine Bierpreiserhöhung.

19451960198020002020

Die alljährliche Lohnrunde ist angelaufen, wird nach einem gut eingespielten Ritual zelebriert. Wie üblich, beginnt das Spiel mit einem Knalleffekt. Diesmal wurde er von den Brauereiarbeitern angezündet, die nicht weniger als 18 Prozent Lohnerhöhung — in zwei, allerdings sehr nahe beieinanderliegenden Etappen durchsetzten. Die Konsequenz ließ nicht auf sich warten: Die Brauereien fordern pünktlich eine Bierpreiserhöhung.

Werbung
Werbung
Werbung

Die übrigen Lohnwünsche wurden oder werden präsentiert, die meisten davon nicht bescheidener, die Leitlinie von Präsident Benya („nicht unter 10 Prozent“) weit hinter sich lassend. Gewiß steckt da noch ein Verhandlungsspielraum drin, aber man muß kein Prophet sein, um schon heute zu sagen, daß es die teuerste Lohnrunde wird, die Österreich bisher erlebt hat. Und noch weniger Prophetengabe braucht es, um sich die Preisrunde, die ihr auf dem Fuße folgen wird, vorzustellen.

Nun gibt es einen plausiblen Grund dafür, daß die Lohnrunde in diesem Jahr massiver ausfällt als bisher: die Inflation. Bedenken wir, daß die Entwertungsrate schon mehr als 8 Prozent beträgt und daß bei jeder Nominallohnerhöhung dank der Progression des Steuertarifs der Finanzminister kräftig mitnascht, dann bleibt von den imposanten Erhöhungsraten zwischen 10 und 20 Prozent herzlich wenig übrig, jedenfalls nicht viel mehr als die Basisforderung des Gewerkschaftspräsidenten auf 3 Prozent Reallohnerhöhung. Eine fünf- bis sechspro-zentige Lohnerhöhung in stabileren Zeiten mochte mehr gewesen sein.

So wenig man den Arbeitnehmern den Wunsch nach Abgeltung verübeln kann, so suspekt sind die Konsequenzen, die die Politiker daraus ziehen, die Inflation sei eben der Preis für Vollbeschäftigung, Wachstum und Fortschritt, kurz für alles, was wir lieben und schätzen. Es komme nur darauf an, beim internationalen Fitneßmarsch in die ach so segensreiche Inflation nicht ganz vorne dran zu sein, die „relative Stabilität“ zu sichern. Solange wir tüchtige Gewerkschafter haben, die dafür sorgen, daß die Inflation den Arbeitnehmern abgegolten und sogar kräftig überkompensiert werde, könne es diesen vollkommen gleichgültig sein, ob die Währung stabil sei oder nicht. Alles sei eben relativ. Die Inflation verschwindet — hokus-pokus — im Zylinder dieser finanzpolitischen Relativitätstheorie.

Die Pensionisten, die Bezieher fester oder weniger elastischer Einkommen, die Bauern, und vor allem die Sparer wissen es anders. Ihnen werden die Inflationsverluste gar nicht oder völlig ungenügend abgegolten. Aber auch für die Lohn- und Gehaltsempfänger geht die Rechnung nie auf: Wie schnell auch die Löhne steigen, die Inflation klettert flinker.

Das ist nicht Zufall oder Willkür, sondern ein unauflöslicher Kausalnexus. Die Kybernetiker führen daher die Lohn-Preis-Spirale gern als Prototyp eines „positiv rückgekoppelten Regelkreises“ an, wobei die positive Rückkoppelung im geschlossenen System zu expWentiellem Wachstum führt. Anders ausgedrückt, wir haben es hier mit zwei fest miteinander verbundenen Faktoren zu tun, die einander Impulse mit permanentem Verstärkereffekt geben.

Dadurch wird aber die Sache gefährlich. Man kann eben nicht „ein bißchen“ Inflation machen, sie nach Gutdünken variieren, sondern, einmal in Gang gesetzt, erskaliert sie sich selber, und die Entwertungsraten werden immer größer: Je höher die Lohnforderungen ausfallen, um so stärkere Kosten- und Preissteigerungen sind die Folge, welche ihrerseits wieder noch höhere Lohnforderungen auslösen. Wir konnten diese Prozedur in den letzten Jahren zur Genüge beobachten.

Wenn wir — und nicht nur wir Österreicher, sondern die ganzen westlichen Staaten — nicht bald aus diesem Circulus vitiosus ausbrechen, so ist die galoppierende Inflation unvermeidlich und mit ihr der Zusammenbruch der Wirtschaft. Wir dürfen uns nicht der Illusion mancher Wirtschaftspolitiker hingeben, daß, weil bisher nichts geschehen ist, auch in Zukunft alles gutgehen werde, daß die Inflation ungefählich sei, solange man nur möglichst viele Faktoren „dynamisiere“. Anfänglich mag es tatsächlich so erscheinen, als gebe die Inflation der Wirtschaft Impulse, als würden wir durch sie reicher, aber schneller als wir denken erreicht sie eine kritische Größe und dann kommt es unweigerlich zum Kollaps.

Wir müssen uns daher mit der unpopulären Tatsache vertraut machen, daß man Inflation nicht abgelten kann, daß das Prinzip der Inflations-abgeltung an sich schon ein Element der Inflation ist, das seinerseits die Abgeltung unmöglich macht, weshalb wir per saldo durch die Inflation nicht reicher, sondern ärmer werden, wobei deren Auswirkungen vor allem die wirtschaftlich Schwächeren zu spüren bekomen. Die Forderung nach Inflationsabgeltung ist nichts als ein gigantischer Selbstbetrug der Arbeitnehmer.

Inflation ist unsozial. Darüber sollten wir uns durch die sozialpolitischen Trostpfästerchen, die uns die Regierung fallweise verabreicht und die selbst meist wieder inflationistisch wirken, nicht hinwegtäuschen.

Das Faktum, daß die Lohn-Preis-Spirale ein geschlossenes System ist

— zu dem noch andere Inflationstreibende Systeme wie die Einnahmen-Ausgaben-Spirale der öffentlichen Hand hinzukommen — erklärt es auch, weshalb die einseitigen Bremsungen der Preise, wie sie durch Kontrollen und Stopps oder durch Kreditbeschränkungen versucht werden, bisher keinen Erfolg zeitigten. Die einseitige Bremsung ist entweder wirkungslos oder das ganze System gerät ins Schleudern, „baut einen Unfall“.

Wenn wir es also mit der Inflationsbekämpfung ernst meinen, so müssen wir die Bremsen an beiden Seiten ansetzen, müssen auch die Arbeitnehmer ein oder zwei Jahre auf Inflationsabgeltung verzichten. Die dadurch zu erreichende Stabilisierung der Preise — auch wenn sie nur unvollkommen geltagt — würde die Unternehmergewinne stärker beschneiden und die soziale Symmetrie besser herstellen, als dies noch so hohe Lohnforderungen jemals vermögen.

Solange sich die Gewerkschaften

— in Österreich und anderswo — nicht zu dieser sicherlich unangenehmen, aber eben auch unabweis-lichen Erkenntnis durchringen, dürfen wir uns keine Hoffnung auf ein Ende der Inflation machen. Wir werden uns dabei gewiß noch einige Zeit — aber nicht zu lange — eines wirtschaftlichen Wachstums freuen, von dem wir zu spät bemerken werden, daß es in Wirklichkeit ein Ausverkauf ist.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung