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Der gute Mensch von Mauthausen

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Der ehemalige SS-Mann Johann Gogl ist, nach dem Spruch der Geschworenen, nicht schuldig. Häftlinge des KZ Mauthausen mißhandelt und ermordet zu haben.

Wenn einer täglich, ja stündlich um sein Leben zittern muß, weil er es, dieses sein Leben, von der Laune eines hemmungslosen Peinigers abhängig weiß, dann wird dessen Gesicht sich dem tödlich Bedrohten wohl unverlierbar einprägen. Die Zeugen waren nicht aufgerufen, irgendeinen Zufallsbekannten wiederzuerkennen, sondern den unheiligen Todesengel zu identifizieren, der unter ihnen gewütet hatte. Trotzdem glaubten die Laienrichter, an dem Erinnerungsvermögen der einstigen Häftlinge zweifeln zu müssen.

Überhaupt keinen Zweifel an der Unschuld des Angeklagten hegten 268 seiner Mitbürger von Ottnang, dem Wohnort Gogls. Sie bezeugen dem KZ-Aufseher — dem es damals ja freigestanden wäre, vom bequemen Lagerdienst sich zum freilich lebensgefährlicheren Fronteinsatz zu melden —, daß er, den sie seit 20 Jahren kennen, „sich stets für den Schutz des Lebens einsetzte“. Und zwar wie? Bei der Bergrettung.

Die Argumentation wäre einfach umwerfend, wenn man inzwischen nicht längst schon wüßte, was nur noch die offenbar unbelehrbaren ehemaligen Häftlinge nicht wahrhaben wollen: daß sie alle, alle, alle, vom Reichsführer-SS abwärts bis zum letzten Wachtposten, im Grunde gute Menschen waren. Spricht es nicht für Himmlers Sensibilität, ja für sein Mitleiden mit der geschundenen Kreatur, daß ihm, als er einmal einer Massenexekution beiwohnte, totenübel wurde? Kann man für das, was in Auschwitz, geschehen ist, den Lagerkommandanten Höß verantwortlich machen, da dieser in seiner Autobiographie sich als Tierfreund schildert — „Besonders die Pferde hatten es mir angetan. Ich konnte gar nicht genug tun an Streicheln, Erzählen und Leckerbissenanbieten“ —, da er Musik und Blumen liebt und darüber auch nicht der Menschen vergißt, selbst wenn es Häftlinge sind, und schon gar nicht der lieben Kleinchen: „Ich wäre“ — so angesichts der Vergasung jüdischer Kinder — „am liebsten vor Mitleid von der Bildfläche verschwunden“? Und Eichmanns „Fahrdienstleiter“ Novak: Hat auch nur einer seiner Kollegen und Nachbarn ihn anders denn als einen Tier- und Menschenfreund gekannt? Man versteht die Frage, die beim Grazer Judenmordprozeß von 1963 ein Geschworener einem Zeugen gestellt hat: „Welches Motiv sollte Murer denn gehabt haben, Ihren Vater umzubringen?“

„Vielleicht“, rätselte Friedrich Torberg damals, „das gleiche, aus dem die Geschworenen ihn freisprachen und das Publikum ihm applaudierte?“ Johann Gogl aber hatte gewiß kein Motiv gehabt, Häftlinge zu ermorden, denn er ist Mitglied der Bergrettung. Und die Gechworenen, da sie der Logik folgten und nicht dem Beweisverfahren: Sie leisteten, was der Verteidiger von ihnen gefordert hatte: „einen positiven Beitrag zur Bewältigung der Vergangenheit.“

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