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Der Habsburger

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Am 20. November dieses Jahres wird dgr frühere Kronprinz Österreich-Ungarns und der Chef des am längsten regierenden deutschen Kaiserhauses sechzig Jahre alt. Es ist vielleicht nicht zufällig, daß ein ungarischer Autor diese Gelegenheit wahrgenommen hat, um diese außergewöhnliche Persönlichkeit einmal in das rechte Licht zu rücken. Die aktuelle Bedeutung dieses Habsburgers liegt zweifellos weniger in seiner Abstammung als in dem, was er tut, was er schreibt, was er sieht, was er sagt. Hier ist ein Mann des Wortes und der Tat, der, wie Vasari hervorhebt, die Möglichkeit hat, nicht nur mit Staatsoberhäuptern und Regierungschefs zu soupieren, sondern sich auch mit Arbeitern zu unterhalten, mit asiatischen Bauern Tee zu trinken und in Slums her-umzuspazieren — ein Mann, der buchstäblich die ganze Welt kennt.

Der Autor hat uns ein ausgezeichnetes, sehr gründlich belegtes Buch geschenkt, keine servile Apologie, sondern das Porträt eines außerordentlichen Zeitgenossen, und dazu noch ein gutes Stück Weltgeschichte. Psychologisch interessant ist die Schilderung eines Herrschersohnes, der im Exil schon als Kind mit weltweiten Perspektiven aufwächst, der auch heute trotz brennender Liebe zu einer problematischen Heimat ihr „Ideographisch“ entwachsen ist. Hier haben wir einen Prinzen, der nicht nur deutsch, französisch, ungarisch, englisch, spanisch, sondern auch baskisch und selbst ein wenig kroatisch und flämisch spricht. Die Jahre des Studiums hat er in eiserner Disziplin verbracht. Der aktiv-politische Teil dieser Biographie hingegen beginnt mit Berlin im Jänner 1933, mit einem Besuch beim Präsidenten Hinden-burg (der bemerkenswerte Äußerungen gemacht hatte) und mit den wiederholten Versuchen Hitlers und Görings, an „Otto“ (wie er hier stets genannt wird) heranzukommen. Nein, der frühere Kronprinz und ungarische Erbkönig hatte keine Lust, die Rolle eines Prinzen Auwi zu spielen. Nicht weniger spannend wird die Periode des Kampfes der Nazi um die Macht in Österreich behandelt. Ottos vergeblicher Versuch, Kurt v. Schuschnigg (einen loyalen und grundehrlichen Mann) zu überreden, ihm die Kanzlerschaft zu übertragen, die Widerstände nicht nur der Braunen, sondern auch der magyarischen Nationalisten, vor allem aber der Tschechen und Serben, die ganz offen gestanden, daß sie viel lieber den Zöllnersohn aus Braunau als einen Habsburger in der Wiener Hofburg sähen. Waren doch sowohl Benes als auch Stojadinovic (nicht mit Unrecht) davon überzeugt, daß eine Restauration in Österreich ihre synthetischen Schwindelstaaten über Nacht zum Zerfall bringen würde. Schuschniggs Weigerung — keineswegs aus egoistischen Motiven — und der bald darauf erfolgte „Anschluß“ waren für Otto arge Schläge, doch bald sammelte er die österreichische Emigration in Frankreich und Belgien um sich, besuchte die Vereinigten Staaten, wo er sich mit Roosevelt befreundete, doch mußte er bald nach dem Fall Frankreichs wieder in die Neue Welt zurückkehren.

Unzweifelhaft bilden die Schilderungen der Aktivitäten Ottos in Amerika und Kanada während des zweiten Weltkriegs nicht nur den aufregendsten Teil dieses Buches, sondern geben auch dem Historiker wertvollste Einsichten. Sicherlich erreichte Otto dank seiner Verbindungen mit dem Weißen Haus, mit Churchill und de Gaulle für Österreich einiges, aber (und das wird vom Autor delikat angedeutet) waren viele seiner Anstrengungen dank der psychopathischen Veranlagung des höchst charmevollen, aber auch physisch angeschlagenen Präsidenten und vor allem als Folge der expansionistischen Zähigkeit der Sowjets, umsonst gewesen. Mit schwachen Freunden mußte Otto gegen die vereinigte Phalanx der Nazis, Kommunisten, Sozialisten, Tschechen, Linksliberalen im Dschungel einer linksdralligen Emigraille und einer kommunistisch unterwanderten amerikanischen Außenpolitik ankämpfen. Der Rezensent, der diese Tragödie miterlebt hat, kann den Autor für seine photographisch getreue Schilderung nur bewundern.

Mit französischer Hilfe kam Otto im Mai 1945 nach Tirol, doch bestand die Regierung Renner darauf, daß im Sinne der Verfassung des Jahres 1920 die Habsburger für ihr Verbrechen, den österreichischen Staat geschaffen zu haben, landesverwiesen bleiben müßten. (Das ist derselbe Dr. Renner, der im April 1938 öffentlich für den braunen Anschluß Propaganda getrieben hatte — und sich später an „Genossen Stalin“ anbiederte.) Wenn man aber die Habsburgergesetze der Republik Österreich betrachtet, muß man staunen, wie „dynastisch“, wie „sippenhaft“ Republikaner denken können. Otto mußte also wieder ins Exil zurück. Die

Braun-Rote Gemeinschaftsfront gegen ihn blieb fest geschlossen. Der Diebstahl seines Privatvermögens wurde „relegalisiert“.

Nicht minder aufregend und „unwahrscheinlich“ für den Leser ist die Schilderung Ottos endloser Versuche, als Privatmann in die Heimat zurückzukehren. Das schlechte Gewissen der Expropiateure, die übrigens völlig überflüssige Angst der Regierungen, die ein methodisch „dehisto-risiertes“ Land verwalteten, die endemische Mißgunst, das alles erwies sich als schwer zu nehmende Hürde. Nicht zuletzt ärgerte man sich in der Republik der Neidgenossen, daß „der Otto“ Österreich in aller Welt vertrat, denn der Habsburger war auf dem ganzen Erdkreis bekannt, während die Namen lokaler Größen in stetem Wechsel bestenfalls über die Salzach drangen. Mit einem Namen, der mehr als 700 Jahre lang bekannt ist, kann der Ruhm bescheidener Parteipolitiker wohl kaum konkurrieren. Schließlich konnte Otto zurückkehren — Jahre nachdem er feierlich aus der „Familie Habsburg-Lothringen“ ausgetreten war (man glaubt den absurden Wortlaut nicht, bis man ihn schwarz auf weiß liest) —, aber eine Zeitlang hatten nur er und seine Frau „Zutritt“ zu seiner Heimat, nicht aber seine die Republik bedrohenden kleinen Kinder. Die Lächerlichkeit tötet nicht mehr ...

Immerhin: der ehemalige Kronprinz hat seine Vergangenheit bewältigt, was allerdings nicht jeder Österreicher von sich sagen kann. Otto von Österreich ist inzwischen Otto von Europa geworden. Und wie dies geschehen ist, erfahren wir von diesem erregenden Buch.

DR. OTTO HABSBURG oder: Die Leidenschaft für Politik. Von Emilio Vasari. Verlag Herold, Wien-München 1972. 410 Seiten, 26 Abbildungen, S 198.—.

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