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Der Hecht im Karpfenteich

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Die neue deutsche Fröhlichkeit können nun auch die verkabelten Wiener Haushalte genießen. Lokalkolorit bleibt allerdings bis auf weiteres konsequent ausgesperrt.

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Die neue deutsche Fröhlichkeit können nun auch die verkabelten Wiener Haushalte genießen. Lokalkolorit bleibt allerdings bis auf weiteres konsequent ausgesperrt.

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Ein rauschendes Fest war es nicht, als der Wiener Bürgermeister Helmut Zilk mittels imaginärem Knopfdruck am Donnerstag, den 24. Oktober, exakt um 18 Uhr 46, das erste private deutsche Fernsehprogramm SAT 1 in das Wiener Kabelnetz einspeiste.

Aber immerhin ein beachtlicher Einschnitt, denn die SAT 1-Maeher sehen sich am liebsten als Hecht im Karpfenteich der öffentlich-rechtlichen Rundfunklandschaft und setzen ungeniert auf Unterhaltung. Ihre Botschaft an die Konsumenten lautet: „SAT 1 sehen heißt: Abwechslung genießen.“

Dafür stellen die Entertainer bereit: „Spielfilme, die hier noch nie im Fernsehen liefen, Serien aus aller Welt, die für Spannung bürgen. Und auch die aktuelle Information kommt bei SAT 1 nie zu kurz. Drei Nachrichtensendungen täglich, in denen die Ereignisse menschlicher und verständlicher als anderswo präsentiert werden. Dazu der Sport, Magazine, Kulturbeiträge, ein tolles Kinderprogramm und die neuesten Musik-Hits.“

Was in der Eigenwerbung wie eine Mixtur erscheint, die auch aus dem Topf öffentlich-rechtlicher Programmgestalter stammen könnte, hat in der Praxis tatsächlich neue Akzente gesetzt. Der wesentlichste: Es darf im Studio auch gelacht werden.

Die neue Fröhlichkeit auf den Bildschirmen sorgt auch bei den Programmverantwortlichen für Erleichterung. Gegen die Zweifel der etablierten Rundfunkanstalten beharren sie darauf, daß sie in der Publikumsgunst besser liegen.

Konkret heißt das, daß in den Haushalten, die SAT 1 empfangen können, 54 Prozent das Programm besser beurteilen als das von ARD und ZDF. Bei den durchschnittlichen Tagesreichweiten sehen sich die Privaten auch voran: 34,6 Prozent der erreichbaren Fernsehhaushalte schauen täglich mindestens einmal SAT 1, 33,3 Prozent ZDF, 32,9 Prozent ARD und lediglich 2 Prozent 3Sat, das gemeinschaftliche Satellitenprogramm von ZDF, ORF und SRG.

Diese Daten brauchen die privaten Fernsehmacher, die erst ab Jänner 1985 im Kampf um die Publikumsgunst mitmischen, wie einen Bissen Brot. Denn mehr als bei den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten hängt ihr Uberleben von den eroberten

Reichweiten ab. Und das aus mehreren Gründen.

Das private Fernsehen muß sich vollständig aus Werbeeinnahmen finanzieren. Gebühreneinnahmen wie den öffentlich-rechtlichen Anstalten stehen ihm nicht zu. Da Werbepreise einerseits mit den Einschaltquoten, andererseits mit dem erreichbaren Zuseherpotential zusammenhängen, muß SAT 1 doppelt erfolgreich sein. Es muß in der Publikumsgunst besser liegen und gleichzeitig möglichst rasch die Verbreitung vorantreiben.

Aber gerade hierin liegt die eigentliche Schwachstelle des Projektes Privatfernsehen. Der Zeitpunkt, ab dem SAT 1 aus den roten Zahlen kommen kann, hängt von dem Tempo ab, mit dem die Kabelnetze ausgebaut werden.

Da die Geldgeber von SAT 1, im wesentlichen die großen deutschen Verlagsanstalten, nicht endlos lange mit Finanzspritzen dem Programm unter die Arme greifen können und wollen, war die Einspeisung in Wiens Kabelnetz eine nicht zu unterschätzende Stärkung des Lebensnerves von SAT 1.

Das drittgrößte geschlossene Kabelnetz der Welt, wie Helmut Zilk stolz verkündete, 125.000 verkabelte Wiener Haushalte, tragen dazu bei, daß SAT 1 zu Jahresende mehr als eine Million Haushalte erreichen — und entsprechende Werbepreise verrechnen — kann.

Ob der ORF ähnlich den deutschen öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten Rückschläge 'in der Publikumsgunst wird hinnehmen müssen, werden die ersten Umfrageerhebungen zeigen. Von weitgehender Bedeutung werden die Ergebnisse für das „Monopolunternehmen“ allerdings nicht sein, denn die Verkabelungsdichte in Österreich beträgt derzeit lediglich 11,5 Prozent.

Außerdem tut der österreichische Gesetzgeber sein Bestes, um den Konkurrenzdruck für den ORF auch in Zukunft zu minimieren. Das Konzept von SAT 1 sieht vor, daß lokale und regionale Berichterstattung und Werbung dem Programm auch Lokalkolorit gibt. In Österreich besteht dazu die Möglichkeit nicht, und das von der SPÖ zur Begutachtung ausgesendete „Kabel-Rundfunk-Gesetz“ verhindert auch für die

Zukunft die Programmschöpfung in Österreich. Der Wettbewerb wird also auch in Zukunft zugunsten des „Informationsmonopolisten“ ORF verzerrt bleiben.

Daran ändert auch nichts, daß Zilk im Zusammenhang mit der österreichischen SAT 1-Premiere von der „Selbstbestimmung des Menschen“ und einem großen Schritt in eine neue Fernsehzukunft sprach.

Sein Kredo, daß es in einer Demokratie nie genug Bücher, Zeitungen, aber auch nicht genug Programme geben kann, hat in der SPÖ dort seine Grenze, wo nicht nur die Beschneidung der elektronischen Informationsfreiheit zum politischen Kalkül gehört.

„Wir haben nicht die Aufgabe, Besserwisser zu sein“, wird so zum persönlichen Bekenntnis ohne große politische Bedeutung. Aber immerhin: Die Unterhaltungsfreiheit ist mit SAT 1 ein Stück größer geworden.

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