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Der Hetzjagd zweiter Teil

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Brauchen die Wiener Philharmoniker Lorin Maazel als Strauß-Dirigenten? Oder er sie als Zugpferde in der TV-Arena? Dazu eine pointierte Stellungnahme des engagierten Publizisten.

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Brauchen die Wiener Philharmoniker Lorin Maazel als Strauß-Dirigenten? Oder er sie als Zugpferde in der TV-Arena? Dazu eine pointierte Stellungnahme des engagierten Publizisten.

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Hugo Wolf hat nicht nur nachdenkliche und schwermütige, er hat auch lustige Lieder geschaffen. Das lustigste ist vielleicht der .Abschied” nach Worten von Eduard Mörike. Da ist von einem Rezensenten die Rede, der nach einem Besuch bei einem Rezensierten - „Unangeklopft ein Herr tritt abends bei mir ein” - unsanft hinausbefördert wird: „Dergleichen hab' ich nie gesehn, all* meine Lebtage nicht gesehn, einen Menschen so rasch die Trepp' hin-abgehn...” Dazwischen lag eine kritische Auseinandersetzung des Rezensenten mit dem Rezensierten: „Nun, lieber junger Mann, sehn Sie doch gefälligst 'mal Ihre Nas' so von der Seite an!”

Warum ist Hugo Wolf dieses Meisterstück musikalischen Humors so trefflich gelungen? Weil er selbst eine Zeitlang Rezensent war und seine praktischen Erfahrungen mit Rezensenten hatte — Wiener Rezensenten. Die mit mehr oder weniger Musikalität auf Musik und Musiker Eingeschossenen traf Karl Kraus einmal mit einem seiner Wortpfeile in der „Fackel”: „Die Wiener Musikkritiker sind mit ganz wenigen Ausnahmen von einer derartigen Unfähigkeit und Unwissenheit, daß man sie nur mehr nach dem größeren und geringeren Schaden, den sie verursachen, beurteilen kann.”

Einer, den Karl Kraus gewiß nicht zu den Ausnahmen gezählt hätte, Franz Endler von der „Presse”, hat sich inzwischen nach Art des Rezensenten bei Mö-rik/Wolf auf Lorin Maazel eingeschossen. Nach dem Abschuß Maazels als Staatsoperndirektor hat folgerichtig nunmehr sein Abschuß als Neujahrskonzertdirigent zu erfolgen.

Wien, das vielfach einer Halbwelt gleicht und eine Vorliebe für Halbheiten hegt, geht beim Hosianna et crucif ige immer aufs Ganze. Das bestimmt auch den kleinen Horizont der Anti-Maazel-

Kampagne im „Großformat”. Den gespenstischen Hintergrund bilden nicht gerade die erfreulichsten Facetten österreichischer Geschichte, Wiener Wesensart und Lokaltradition.

Etwas von Nasen hat bei Maazel schon anl äßlich seines ersten Auftretens als Dirigent eines Neujahrskonzertes 1980 mitgespielt. Damals — fast schon vergessen — flatterten Flugzettel mit antisemitischen Parolen vom Balkon des Goldenen Saales, daß es eine braune Freude war. Als dann 1982 zwei abwegig Veranlagte das Podium ersprangen, um auf einem Transparent ihre „alternativen” Forderungen zu entrollen, dachte Maazel, wie er persönlich mitteilte, zunächst wieder an eine antisemitische Demonstration.

Wenn die Wiener Philharmoniker jetzt erwägen, Maazel als Neujahr skonzertdirigenten abzuwählen, hat dies sicher andere Motive. Dem Vorstandsprofessor Alfred Altenburger unterlief nur ein rhetorischer Danebengriff, als er in einer Radiosendung zum Thema Maazel und Neujahrskonzert Österreich expressis verbis als „deutsches Land” reklamierte, um des Maestros gewiß harte, aber nicht unbegründete Balkananschuldigungen zu entkräften.

Die Philharmoniker setzen sich allerdings dem Verdacht aus, vor sechs Jahren Maazel nur (oder hauptsächlich) deshalb gewählt zu haben, weil er designierter Staatsoperndirektor war. Und noch etwas, weit Schlimmeres, läßt sich nicht ganz von der Hand weisen: daß sie vielleicht, wie viele andere im Lande auch - man denke nur ans leidige Hainburg-, mehr auf diffuse Zeichengebungen aus journalistischem Hinterhalt achten als auf das eigene Urteil. Dieses müßte sie veranlassen, den besten Straußdirigenten, den es derzeit auf der Welt gibt, für die Welt (durch dals Neujahrskonzert) und für Wien zu erhalten.

Maazel hat die Tradition von Clemens Krauß und Josef Krips aufgegriffen. Wer diesen goldenen Faden zerreißt, vergreift sich nicht nur an einem Künstler, der in Wien möglicherweise noch „Nasenprobleme” hat. Dem aber, der dabei mithilft, gebührt stell” vertretend für alle, die nicht begreifen, was für ein Ton in Wien die Musik macht, das Wort Möri-kes: „Da geb' ich ihm ganz frohgesinnt einen kleinen Tritt nur so von hinten aufs Gesäße mit...”

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