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Der höchste Souverän ist das Wesen Mensch

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„Sie können versichert sein, daß das amerikanische Volk und unsere Regierung unserer klaren Verpflichtung weiter nachkommen werden, die Respektierung der Menschenrechte nicht nur in unserem eigenen Land, sondern auch im Ausland zu fördern,“ schrieb Präsident Carter am 21. Jänner 1977 an Professor Sacharow. Gerade weil heute weltweit im Rechtsbewußtsein der Völker die Menschenrechtsidee immer wirksamer aufbricht, werden die „Dissidenten“ immer mehr, da wie dort diejenigen, die sich gegen Unrecht im politischen Gemeinwesen zur Wehr setzen und - wo dies die politische Ordnung in Freiheit ermöglicht - als Stimme des öffentlichen Gewissens in der Kritik offen und ohne persönliches Risiko sprechen können. Die Gewissensgefangenen werden aber überall dort, wo die Staaten sie mit Gewalt zum Stillschweigen bringen wollen, zur politischen Hypothek der Herrscher, ob sie Militärdiktatoren oder totalitäre Parteien sein mögen. Dem Aufbruch der Idee der Menschenrechte weltweit entspricht eine heimliche Allianz eben der Menschen über alle Grenzen der Staaten und Systeme hinweg.

Dem sozialistisch-marxistischen Vorwurf gegenüber der bürgerlichen Formulierung der Menschenrechte, sie sei eine abstrakte Formel von ebenso abstrakter Freiheit, entspricht von dieser Seite der Versuch, die Menschenrechte für alle in einer Gesellschaft der Gleichen zu erkämpfen. Dieses kollektivistische Denken baut darauf auf, daß letztlich der gesellschaftliche und historische Hintergrund über die Verwirklichung der Menschenrechte entscheidet. Im Klartext ist damit die ökonomische Basis angesprochen, deren Veränderung in kommunistische Eigentumsverhältnisse erst die Menschenrechte ermögliche.

Ein konsequenter Materialismus ist nun einmal ein Determinismus. Das führt dazu, daß das Recht als Idee und geistige Wirkkraft - auch die Menschenrechte - vermaterialisiert wird und zu einem ökonomischen Produkt wird. Der Produzent heißt dann logisch, ohne Möglichkeit einer objektiven Fehlerhaftigkeit und damit Kritik am System, Arbeiterklasse oder noch genauer (Kommunistische) Partei!

Eigenartig ist dann, aber nur vordergründig, die Flucht dieser Menschenrechtstheorie in die staatliche Souveränität! Ist doch der Sozialis- mus/Kommunismus eine der modernen internationalistischen Ideen und Bewegungen. Staatliche Souveränität über die Menschenrechte wird aber nur für die Zeit und Situation der friedlichen Koexistenz in Anspruch genommen und hier eben von einem „sozialistischen“ Staatensystem, gegenüber dem „kapitalistischen“. Menschenrechtskritik als Sozialkritik am Kapitalismus ist durchaus legitim, am Sozialismus nach dieser Geschichtsdeutung aber reaktionär! Darum tut sich auch der Eurokommunismus schwer, sich grundsätzlich an einer Menschenrechtskritik an den „Bruderstaaten“ zu beteiligen. Wenn auch in einzelnen Fällen, wie wenn es sich um politische Pannen handelte, solches geschieht.

Die kommunistische Menschenrechtsideologie bleibt wie ein kommunizierendes Gefäß bestehen, hier gibt es keine Trennung. Die Logik ist sogar eindeutig, daß gerade nach dem Verständnis der Menschenrechte im sozialistisch-marxistischen Denken die Intervention zugunsten der Erhaltung oder auch Herbeiführung kommunistischer Machtverhältnisse im Dienste der Menschenrechte überall - im eigenen Machtbereich, in den Entwicklungsländern und auch in Ländern des westlichen Einflußbereichs - denkbar ist und beinhart verfolgt wird, wo es ohne unmittelbare Kriegsgefahr möglich ist. Die Berufung auf die Souveränität erfolgt also gleichsam auf Zeit und oberhalb einer gewissen Gefahrenschwelle. Das ermöglicht anderseits aber die interessante Carter’sche Version der Trennung zwischen ideologischem Engagement der USA für ihre Idee von Freiheit und Menschenrechten und den realpolitischen Beziehungen mit der Sowjetunion und ihren Verbündeten in den Fragen, bei denen Konsens möglich und nötig ist, wie in der Abrüstungsfrage.

Man wendet jedoch nicht zu unrecht den USA gegenüber ein, sie sollten die Menschenrechtsprobleme im eigenen Land ernster nehmen. Die liberale Tradition durch 200 Jahre, die Herausstellung der Freiheit im individualistischen Sinn haben zu schweren sozialen Krisen und Ungerechtigkeiten großer Bevölkerungsgruppen dort geführt. Den Präsidentenberater Brze- zinski könnte man als Kronzeugen an- rufen, wenn er schreibt: „Die Weltpolitik richtet sich stärker an der Gleichheit als an der Freiheit aus, mit Forderungen politisch stärker aktivierter Massen, die sich mehr auf materielle Gleichheit als auf spirituelle und legale Freiheit konzentrieren.“

Was wir hier erleben, ist für den naturrechtlich Denkenden nichts anders als der Ruf nach der Sicherung des Gemeinwohls gegenüber den Auswüchsen des liberalistischen Individualismus, abgesehen davon, daß das westliche Denken im „System“, weil es kein dogmatisch-materialistisches ist, durchaus selbstkritisch ist und ein Andersdenken (Dissens) nicht aus dem gesellschaftlichen Grundkonsens herausfallt und zur innenpolitischen Herausforderung schlechthin werden muß.

Damit fällt aber auch ein historisch-materialistisch begründetes Souveränitätsdenken in zwei Weltsystemen weg und wird ein geistiger und wirklich globaler Internationalismus und Humanismus sichtbar.

Es gibt für die Menschenrechte nur einen Souverän, das ist nicht ein Sozialsystem, kein Staat wie immer er heißt, sondern das Wesen Mensch oder das menschliche Wesen. Nur ist dieses nicht ein „Gattungswesen“, sondern eine allen Menschen innewohnende und im Geistigen begründete Würde. Insofern diese Würde nicht bestehen kann ohne gesellschaftliche Kooperation und ohne Rechte, die zugleich voreinander auch Pflichten konstituieren, ist dieses Wesen des Menschen sowohl individueller wie sozialer Natur. Diese Rechte und Pflichten des Menschen gehen nach den Worten Johannes XXIII. (Pacem in terris, Nr. 10, unter Berufung auf Pius XII) „unmittelbar und gleichzeitig aus seiner Natur“ hervor.

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