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Der Hüter des Hüters

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Aktenrückstände und der Streit der Großparteien um die Präsidentenstelle haben den Verfassungsgerichtshof wieder einmal in die Öffentlichkeit gerückt (FURCHE 46/1983).

Sein Stellenwert im politischen System ist aber der Bevölkerung kaum bekannt. Das hängt mit der Vernachlässigung des liberalen Erbes zusammen, an der Österreich leidet. Noch weniger ist jedoch die Bedeutung des Präsidenten bekannt.

Der Verfassungsgerichtshof ist ein Gerichtshof mit politischer Aufgabenstellung. Seine Aufgaben beziehen sich vor allem auf das Spannungsverhältnis von Individuum zu Kollektiv, das Verhältnis von Bund und Ländern, Staat und Gemeinden, Gesetzgebung und Vollziehung, Verwaltung und Gerichtsbarkeit Staat und Gesellschaft — und damit letztlich auf die Gesellschafts-strukturen insgesamt.

Man hat den Verfassungsgerichtshof als Nebenregierung bezeichnet, die auf Grund der Verfassung den übrigen Staatsorganen den Rahmen, die Schranken und - in gewissem Ausmaß - auch den Inhalt ihrer Tätigkeit vorzeichnet. Er bringt als Konstituante (grundlegende verfassungsgebende Versammlung) in Permanenz die Verfassung zum Sprechen und bestimmt, wie ihre Worte funktionieren. Er ist als Hüter der Verfassung ein Garant der umfassenden Gewaltenteilung und damit ein Garant unserer freien Gesellschaft. Daher ist es einleuchtend, daß das Amt des Präsidenten ein politisches Amt ist.

Der Präsident des Verfassungsgerichtshofes ist gewissermaßen der Hüter des Hüters. Er wird auf Grund eines Vorschlages der Bundesregierung vom Bundespräsidenten ernannt und personalisiert so das Verfassungsverständnis der politischen Führung.

Er leitet den Verfassungsgerichtshof und überwacht seine Geschäftsführung. Er weist jede anfallende Rechtssache, ohne dabei irgendwie gebunden zu sein, einem der ständigen Referenten zu, ausnahmsweise auch einem anderen Mitglied, aber er kann auch einen Koreferenten bestellen.

Das für die Gerichtsbarkeit geltende Prinzip der festen Geschäftsverteilung ist hier durch das Prinzip der präsidialen Zuteilung ersetzt. Das läßt immer wieder die Frage stellen, nach wel-chen Kriterien die Zuweisung der Rechtssachen auf die Referenten erfolgt. Da die Referenten aus dem Kreis der Mitglieder von den Mitgliedern des Verfassungsgerichtshofes gewählt werden, hat der Präsident auch diesbezügliche Beeinflussungsmöglichkeiten.

Der Präsident ordnet die Verhandlungen und die Sitzungen an. Er führt den Vorsitz und hat die Leitung bei den Verhandlungen und Beratungen. Aber er hat als Vorsitzender grundsätzlich kein Stimmrecht. Hat aber von mehreren Meinungen wenigstens eine die Hälfte der Stimmen auf sich vereinigt, stimmt auch der Vorsitzende mit.

Die allgemeine Leitungsbefugnis, also das Recht, die Sitzungen anzuberaumen, die Tagesordnung zu erstellen und die Leitung der Beratung geben dem Präsidenten schon formell viele Möglichkeiten, auf die Meinungs- und Willensbildung des Gerichtshofes einzuwirken — und zwar nicht nur im Timing, der zeitlichen Abstimmung also.

Der Präsident ist auch der Hauptträger der Verfassungsjustizverwaltung. Er hat für die sachlichen und verwaltungspersonellen Erfordernisse vorzusorgen. Er wählt das Verwaltungs-personal aus, bestimmt seine Verwendung und weist es zu.

Uber die formellen Möglichkeiten hinaus beeinflußt er schon durch seine Amtsauffassung und Persönlichkeit Arbeit wie Atmosphäre im Gerichtshof. Das kann dann besondere Bedeutung ha ben, wenn der Präsident das Amt „hauptberuflich“ ausübt.

Grundsätzlich sind die Mitglieder des Verfassungsgerichtshofes ja Nebenberufsrichter, die hauptberuflich in anderen Bereichen tätig sind. Lediglich Verwaltungsbeamte, die zu Mitgliedern ernannt werden, sind, soweit und solange sie nicht im Ruhestand sind, außer Dienst zu stellen. Im Gegensatz zur Mehrheit der Mitglieder muß er überdies seinen Wohnsitz in Wien haben.

Schon diese rechtlichen Regelungen legen die Vermutung nahe, daß ein außer Dienst gestellter Verwaltungsbeamter, der Präsident wird, eine besonders enge Beziehung zum Gerichtshof entfalten wird. Dies und die präsidialen Vorrechte geben ihm besondere Startbedingungen. Wie für alle Mitglieder besteht für den Präsidenten als Altersgrenze, nach deren Erreichung sein Amt endet, der 31. Dezember des Jahres, in dem er das 70. Lebensjahr vollendet hat.

Das Amt ist in hohem Maße personsbezogen. Der Stil der Amtsführung teilt sich dem ganzen Gerichtshof mit. Da die Referenten die Rechtssprechung inhaltlich prägen, bleibt diesbezüglich dem Präsidenten weniger Raum als „Autorität“.

Die Form der Verfassungsgerichtsbarkeit nach innen und außen ist aber vor allem seine Sache. Form meint hier die äußere Form der Erledigungen, den sprachlichen Stil, die Konformität und Kontinuität der Rechtssprechung, die Selbstdarstellung des Gerichtshofes, das Auftreten in der Öffentlichkeit, Kontakt und Kommunikation nach innen und nach außen. Das Format des Präsidenten kann und soll sich in jenen vielen Einzelheiten ausdrük- ken, die in ihrer Gesamtheit die Verfassungsgerichtsbarkeit ausmachen.

Der Autor ist Professor für Rechtslehre an der Universität für Bodenkultur und OVP- Landtagsabgeordneter in Wien.

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