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Der Islam in Westeuropa

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Wenn wir im folgenden eine Bestandsaufnahme des Islam in Westeuropa versuchen, wird man feststellen müssen: der Islam ist mehr denn je mitten unter uns, im Herzen von Europa!

IN JUGOSLAWIEN befindet sich der älteste bodenständige Block des Islam auf europäischem Boden. 1982 wurde die Zahl der Muslime auf vier Millionen geschätzt, davon entfallen etwa zwei Millionen auf Bosnien, Herzegowina und Kroatien, knapp eineinhalb auf die Albanerprovinz Kosovo, der Rest auf Serbien und Makedonien. In Kosovo kommt daher zum nationalen Problem auch das religiöse hinzu. Die Lage des Islam hat sich in vieler Hinsicht gebessert. Bis Ende 1982 wurden mehr als 600 neue Moscheen gebaut. Die muslimischtheologische Hochschule in Sarajewo wurde vergrößert, sie reicht aber für den Zustrom der lernbegierigen Theologen nicht aus. Es wird keineswegs verschwiegen, daß die arabischen Staaten tatkräftig mitgeholfen haben.

IN BULGARIEN leben etwa eineinhalb Millionen Muslime, davon etwa 300.000 Zigeuner, die in den westlichen Ländern traditionsgemäß Katholiken sind.

IN DER BR DEUTSCHLAND waren 1982 rund zwei Millionen meist aus Jugoslawien und der Türkei stammende Gastarbeiter. Ballungszentrum ist nicht das Industriegebiet am Rhein, sondern West-Berlin, wo der Islam mit

300.000 Mitgliedern zweitstärkste Konfession nach den Protestanten geworden ist (260.000 Katholiken). Der „deutsche Islam“ scheint durch seine Zugehörigkeit zur hanifitischen Richtung ein einheitliches Gepräge zu haben; die Ereignisse der letzten Wochen haben jedoch gezeigt, daß es auch hier große Spannungen unter den Muslimen gibt. Zehntausende Muslime stammen auch aus ara-

bischen Ländern, darunter 20.000 Palästinenser.

IN FRANKREICH hat der Islam ein ganz anderes Gepräge. Der Großteil der zwei Millionen Muslime kommt aus den ehemaligen Kolonien, hauptsächlich Algerien und Marokko; davon sind schon 400.000 französische Staatsbürger. Auch in Frankreich sind die Muslime die zweitstärkste Konfession (nur eine Million Protestanten und 700.000 Juden).

FÜR SPANIEN gilt gleiches: Dort gibt es mehr Muslime (etwa 200.000) als Protestanten.

IN GROSSBRITANNIEN stammen die auf eineinhalb Millionen geschätzten Muslime aus Pakistan, Bangladesh, Indien; dazu kommen noch viele Zuwanderer aus Ostafrika. Aber gerade in England hat der Islam eine neue Spiritualität entwickelt: man

spricht von einer Renaissance der islamischen Mystik, die von der Därqawl-Bruderschaft (Zentrum in Norwich/Norfolk) getragen wird. Die alten klassischen Mystiker (Sufi) werden in „Sufi-Häusern“ meditiert.

IN ÖSTERREICH gilt der Islam seit Kaisers Zeiten als staatlich anerkannte Konfession. Mitte der 70er Jahre soll es an die 150.000 muslimische Gastarbeiter in Österreich gegeben haben, also mehr als Protestanten. Smail Ba- lic gibt ihre heutige Zahl mit 90.000 an. In Wien steht bereits eine Moschee am Hubertusdamm; bald wird auch im VII. Bezirk (Ber- nardgasse 5) der Gebetsruf eines Muezzin erklingen.

Für das Jahr 2000 werden von manchen 20 bis 25 Millionen Muslime in Westeuropa vorausgesagt. Diese vollkommen neue religiöse Situation ist anscheinend noch überhaupt nicht in das Bewußtsein der Europäer vorgedrungen. Die sich daraus ergebenden Probleme werfen bereits ihre Schatten voraus. Wie soll sich der Islam in die europäische Gesellschaft einordnen, gibt es doch im orthodoxen Islam keine Trennung von Kirche und Staat? Darf man hoffen, daß sich allmählich ein europäischer Weg finden läßt, der das für rein muslimische Länder entworfene islamische Recht modifiziert?

DDr. Claus Schedl leitet das Institut für Religionswissenschaft an der Universität Graz.

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