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Der Jude Jesus

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Wenn die Christen Ostern feiern, dann haben die Juden Pessach, die Feier des Auszugs aus Ägypten, schon hinter sich. Beide bringen damit ihren Glauben an Gott, der sie nicht im Stich läßt, zum Ausdruck. Die Haggada, die Erzählung vom Exodus, hat für die Juden eine ähnlich zentrale Bedeutung wie für die Christen die Botschaft von Jesu Auferweckung: Der Bund Gottes mit den Menschen reicht über die Geschichte, ja über die irdische Zeit hinaus.

Um zu einem „Weltethos" zu gelangen, ist es notwendig, sich auf gemeinsame Wurzeln und Werte zu besinnen. Dazu gehört für Christen die Erkenntnis, daß Gott das Volk Israel als erstes zur Verkündigung seiner Botschaft berufen und mit ihm einen Bund geschlossen hat, der bis heute nicht gelöst worden ist.

Jesus von Nazaret war ein Jude. Die Apostel waren Juden. Juden riefen „Hosianna" und „Crucifige". Juden forderten und Juden beweinten seinen Tod. Die Geschichte beweist: Die Trennlinie zwischen Gut und Böse schneidet durch jede Gemeinschaft, durch jedes Volk, noch genauer gesagt, durch jeden Menschen.

Trotzdem erleben wir immer noch und immer wieder den Versuch, eine Kollektivablehnung „der Juden" religiös zu untermauern. Der Dämon des Antijudaismus erhebt seit dem Sturz der kommunistischen Regime in ganz Osteuropa neuerlich seine Fratze. Er war immer da, er manifestierte sich zeitweise auch während der kommunistischen Herrschaft, aber nun hat er einen neuen Bundesgenossen gefunden: die Notwendigkeit der Nachfolgeregime, einen Sündenbock für alles, was schiefläuft, zu benennen. Nichts bietet sich dafür verführerischer als der Vorwurf an, alles Übel habe von der .jüdisch-bolschewistischen Allianz" ihren Ausgang genommen.

Diese Version ist heute wieder offen im Umlauf - nicht nur in Rußland, sondern auch in Rumänien, Ungarn, Kroatien und Polen. In Ungarn haben sich immerhin Staatspräsident Arpäd Göncz und auch die katholische Kirche gegen diese gefährliche Vereinfachung gewandt. In Polen hat der als „Kryptojude" beschimpfte ehemalige christlichdemokratische Ministerpräsident Tadeusz Mazowiecki von seiner Kirche nicht gerade unzweideutigen Feuerschutz erhalten. Auch Litauer und Esten, Ukrainer und Slowaken kramen ihr altes Feindbild Jude wieder hervor. Nirgendwo ist Antisemitismus offizielle Regierungspolitik - aber das Ressentiment verpestet die politische Luft.

In Osterreich hat Bischof Reinhold Stecher bei der Eröffnung der neuen Synagoge in Innsbruck und Weihbischof Helmut Krätzl bei Eröffnung der neuen Räume des Wiener Informationszentrums im Dienst der christlich-jüdischen Verständigung dieser Tage Worte der eindringlichen Mahnung gesprochen. Man sollte von der Behauptung, nirgendwo sei der Judenhaß so schlimm wie in Österreich, im Interesse der Wahrheit endlich einmal lassen. Aber der Hinweis auf eine gesamteuropäische Epidemie'macht das Übel, das viele mitzuverant-worten haben, nur noch schlimmer.

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